Ruhrgebiet. Ein neuer Wanderführer schickt Familien ins Ruhrgebiet: 40 Entdeckertouren für Kinder machen Lust auf Abenteuer zwischen Flüssen und Halden.

Spazierengehen ist uncool, Wandern gar: laaangweilig, mit mindestens drei A. Kinder zu einer Form des Laufens zu motivieren, die nicht Rennen heißt, gehört nicht zu den leichtesten elterlichen Übungen. Natalie Dickmann gelingt es, und nicht erst, seit sie ihren Sohn und seine Freunde mitnahm ins Ruhrgebiet. Aber Haldenstürme, Bergbaupfade und Tante Guste, Tiger, Schildkröten und Gummibärchen vereinfachten die Sache mit der Motivation ungemein: 40 kindgerechte Touren durchs Revier hat die Autorin gemacht und daraus ein Buch.

„Grüne Oasen im Ruhrgebiet“ trägt die Zeiten überdauernde Überraschung Auswärtiger im Titel. Dabei ist es ja nicht so, als sei die Natur hier „versteckt“, wie die Autorin schreibt und der Verlag gleich im ersten Satz der Buchbeschreibung: „Das Ruhrgebiet ist ein dicht besiedelter Ballungsraum, und doch versteckt sich inmitten der städtischen Infrastruk­tur auch ganz viel Natur.“ Geschenkt, Revierbürger wissen das, und sollen die anderen doch immer wieder staunen über das Grün (das immerhin ein Fünftel der Region färbt).

Seen, Bäche, Flüsse, Berge: Das Ruhrgebiet als Abenteuerspielplatz

Meist zusammen unterwegs: Natalie Dickmann mit Sohn Levin (8). 
Meist zusammen unterwegs: Natalie Dickmann mit Sohn Levin (8).  © Naturzeit-Verlag | Naturzeit-Verlag

Den Kindern wird es egal sein, die wollen Spannung, Aufregung, Abenteuer. Keine Waldwege so breit wie Autobahnen, lieber enge Pfade, Klettersteige und unterwegs ein Highlight: einen Bach zum Staudammbauen, ein Tiergehege, einen See. Zwischen „doof“ und „cool“ liegt viel mehr Unterschied als zwei Buchstaben. Auch Levin, der achtjährige Sohn von Natalie Dickmann, zieht zuweilen eine Schnute, wenn die Mutter „schon wieder wandern“ will. Aber es ist noch nie vorgekommen, sagt die, „dass es ihm nicht gefallen hätte“.

Und Mamas Buch macht wirklich Lust, Levin nachzulaufen. Durch Dortmunds Bittermark, hinauf zur Halde Hoheward in Herten, zum Geleucht in Moers, hinunter ins Muttental (Witten). Über den Leinpfad in Bochum-Stiepel, unter den Augen des Herkules durch Gelsenkirchens Nordsternpark, durch die Westruper Heide in Haltern. Laufen über die Achterbahn von „Tiger&Turtle“ in Duisburg, über den Ameisenbarfußpfad in der Üfter Mark (Schermbeck) oder zu den Mufflons im Wildgatter Heissiwald (Essen). Ewaldsee, Harkortsee, Hullerner See, Raffelberg, Stimberg, Gysenberg, Rumbach, Rotbach, Schwarzbach. Ruhr, Rhein, Emscher, Lippe.

Vieles dürfte Ortsansässigen bekannt vorkommen, aber doch nicht so: mit Altersangaben („ab 6“), mit Streckenlängen („4,8 Kilometer“), kindgerechten Zeiten („1h45“) sowie Höhenmetern. Und immer wieder Tipps zu Ausflugszielen, Adressen zur Einkehr, die nach Kinderteller klingen („Tante Guste“, „Wirtshaus Purzelbaum“) und, ganz beliebt, dem besten Weg zur „Picknickbank“. Man muss die Kinder bei Laune halten. Und auch für Erwachsene ist Spaß ja keineswegs verboten, geschweige denn ein Mammutmarsch vorgeschrieben.

Was in den Rucksack gehört und was zu einer spannenden Pause

Man hat immer seine drei, vier Klassiker“, sagt Natalie Dickmann, „und macht oft dieselbe Tour.“ Gar nicht nötig mit ihrem Buch in der Tasche. Sie selbst hat durch die Arbeit daran auch ein paar Lieblingstouren für Große im Revier entdeckt, Baldeneysteig und Kettwiger Panorama-Steig etwa, sie war ja ein Jahr im Ruhrgebiet unterwegs. Manchmal gibt sie Mann und Kindern dann auch frei: „Ich muss am Wochenende in den Wald, damit es mir gut geht.“

Pausen sind wichtig beim Wandern. Hier schnitzt Levin den den „Spieß“ für ein Stockbrot.
Pausen sind wichtig beim Wandern. Hier schnitzt Levin den den „Spieß“ für ein Stockbrot. © Naturzeit-Verlag | Naturzeit-Verlag

Natalie Dickmann beschreibt genau jeden Weg, schreibt immer in der ersten Person Plural (wir) und nimmt ihre „Wanderkinder“, wie sie sie nennt, auch auf diese Weise mit. Die Bilder zum Buch fotografiert sie selbst oder lässt sie Ehemann Andreas machen, und was soll man sagen: Da spazieren die Kleinen fröhlich über Stock und Stein, klettern und klimmen, stehen barfuß im Bach, sitzen im Schneidersitz auf der Mauer, balancieren über Brücken und Baumstämme. Und sehen entschieden nach Abenteuer aus. Und nach „freiwillig“.

Laaangweilig kann es mit der 39-jährigen Autorin aber auch nicht werden. Die streut ganze Kapitel über Vögel, Bäume und Wildtiere ein, erklärt, wo man „Pottsteine“ findet und wie man aus Flaschenkorken ein Boot baut für den Bach. Unter „Spiele in der Natur“ findet der Leser „Geocaching“und Schnitzeljagd, wie man aus Moos und Steinen Kunst im Wald macht oder mit Blättern oder Grashalmen Musik. „Man muss“, sagt die gelernte Verlagskauffrau, „eine Wandertour spannend verpacken.“ Sie selbst macht das so, wie schon ihre Eltern es taten: Teekesselchen spielen, „Ich sehe was, was du nicht siehst“ oder, wenn wirklich gar nichts mehr geht, Eisenbahn – Mama ist die Lok, am Wanderstock „hängen“ die Kinder.

Stromschnellen auf der Lippe, steile Hänge in Dortmund

Aber die Erfahrung zeigt: Sie hängen nicht durch. Tragen mit Stolz ihren Rucksack – auch, was da hineingehört, steht im Buch – und brauchen noch nicht einmal mehr „Benzin“. Früher, verrät Dickmann, hat sie bei Bergtouren mit Gummibärchen motiviert, inzwischen läuft Levin auch ohne. Wobei eine Pause mit Kuchen, Riegeln, Waffeln oder Frikadellen unbedingt dazugehört, manchmal auch schon nach wenigen Minuten: „Kinder brauchen immer etwas zu essen.“

So sieht das Buch aus: 264 Seiten, 18 Euro. 
So sieht das Buch aus: 264 Seiten, 18 Euro.  © Naturzeit Reiseverlag | Naturzeit Reiseverlag

Was nun das Schönste war für die Familie aus Tönisvorst, die sich aufmachte, das Ruhrgebiet zu entdecken? Hach, sie müsste „15 von 40 Touren“nennen, sagt die Autorin: „Da war’s schön und da war’s schön.“ Ihr selbst haben die Halde Rheinpreußen und der Waldsee besonders gefallen, dazu die steilen Hänge unter der Dortmunder Hohensyburg. „Das hätte auch in den Alpen sein können.“ Am meisten beeindruckt hat sie ohnehin der Süden, das Ruhrtal und seine Berge.

Levin und seine Freunde reden noch heute von den Schildkröten im Hexenteich von Menden, was nun nicht zum Ruhrgebiet gehört, aber trotzdem seinen Platz im Buch gefunden hat. Wie übrigens auch je eine Wochenend-Tour ins Sauerland und in die Eifel. „Tiere“, sagt Dickmann, „ziehen immer.“ Und Gewässer. Für ein paar Ausflüge hat sich die Familie auch aufs Rad gesetzt, entlang des Rheins oder des Kanals. Oder ins Boot: Zum Kemnader See paddelte Levin mit dem Kanu, auf der Lippe wurde er in Stromschnellen tüchtig nass. Was er vor Ort für verzichtbar hielt, im Nachhinein aber, wie noch fast jede Wandertour auch, für „ein Riesenabenteuer“.

Natalie Dickmann: „Grüne Oasen im Ruhrgebiet“. Aus der Reihe „Naturzeit mit Kindern“. Verlag Naturzeit, 264 S., 18 Euro.