Ruhrgebiet. Der Wald ist tot, es lebe der Wald. Nachdem Dürre, Stürme und Borkenkäfer viele Bäume zerstört haben, wird im Ruhrgebiet verstärkt aufgeforstet.

Stille ist. Nur ein paar Vögel zwitschern am Eilper Berg in Hagen. Aber da rattert kein Harvester mehr und auch das Kreischen der Sägen ist verstummt. Monatelang haben Arbeiter weggeschafft, was die Natur hier hinterlassen hatte. Totes Holz – fast ausschließlich Fichten. Wäre der Wald eine Armee mit Bäumen als Soldaten, man würde sagen, er hat die Schlacht gegen Käfer, Sturm und Dürre verloren.

Wahrscheinlich sogar den ganzen Krieg. Aber der Wald wird wiederkommen. Nicht heute, nicht nächstes Jahr aber irgendwann. Und dann wird er ein anderer sein. Dafür sorgen Thomas Kämmerling und seine Leute.

Alte Kiefern wird es in NRW wohl bald nicht mehr geben

Kämmerling ist Betriebsleiter bei Ruhr Grün, also flapsig gesagt, der Oberförster des Regionalverbandes Ruhr. Und der wiederum pflegt und bewirtschaftet mehr kommunalen Wald und Freiflächen im Land als irgendjemand sonst - fast 20.000 Hektar. Kämmerling weiß also, wovon er spricht, wenn er sagt. „40 Prozent der Fichten in NRW sind abgestorben. Ende des Jahres werden es wohl 50 Prozent sein. In schon fünf Jahren könnten ältere Bestände dieser Baumart in ganz NRW Vergangenheit sein – in der Metropole Ruhr mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit.“

Da hilft es auch nichts, dass der Borkenkäfer in diesem Jahr einen eher schlechten Start hatte. So kalt war das Frühjahr, dass es 2021 wohl nur zwei Generationen geben wird. Aber wer mit Kämmerling durch die Wälder des Reviers streift, der ahnt angesichts der zu hohen Stapeln geschichteten Stämme am Wegesrand, was der Betriebsleiter kurz darauf bestätigt. „Das kommt zu spät.“

Setzlinge stehen in langen Reihen

Thomas Kämmerling zeigt auf eine Fläche, auf der die ersten Setzlinge wachsen.
Thomas Kämmerling zeigt auf eine Fläche, auf der die ersten Setzlinge wachsen. © Funke Foto Service | Ralf Rottmann

Überall in den Wäldern des Regionalverbandes ist deshalb aufgeräumt worden, um Platz zu schaffen, für etwas Neues. „Hier oben“, sagt der 56-Jährige und zeigt auf eine mehrere Fußballfelder große Fläche, „sah es vor ein paar Jahren noch ganz anders aus.“ Tote Bäume standen dort damals, von der Hitze ausgelaugt, vom Borkenkäfer zerfressen oder von Jahrhundertstürmen geknickt. Nur noch wenige Reststämme liegen im Wald und warten auf den Abtransport.

An ihrer Stelle wachsen nun Setzlinge in langen Reihen. Alle grün, keiner braun. Der kühle aber feuchte April, der von der Witterung her ähnliche Mai - „das Wetter hat uns in die Karten gespielt.“ Mischwald wächst hier heran. Mindestens vier unterschiedliche Baumarten sollen es sein, mit denen die sogenannten Kalamitätsflächen aufgeforstet werden, um den Wald robuster zu machen.

Mischkulturen haben viele Vorteile

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In den Wäldern von Ruhr Grün sind es – unter anderem mit Eiche, Buche, Kirsche, Bergahorn, Douglasie, Küstentanne, Roteiche, Edelkastanie - meist sogar deutlich mehr. „Was die Natur von sich aus wachsen lässt, nehmen wir meist gerne mit“, sagt Kämmerling und kann den Vorteil solcher Mischkulturen in einem Wort zusammenfassen: „Risikostreuung“. Denn ein Schädling, der auf Eichen steht, verschmäht möglicherweise Buchen – und umgekehrt. Und die eine Art verträgt das zunehmend wärmere Klima oder die Trockenheit besser, als die andere.

Freien Lauf sollte man der Natur allerdings nicht immer lassen. Denn je nach den gegebenen Standortbedingungen kann der Wildwuchs den Setzlingen Licht und Wasser wegnehmen. Und „ehe man sich versieht“ – Försterjargon für den Zeitraum mehrerer Monate, meist auch Jahre – „ehe man sich versieht“ also, hat sich durchgesetzt, was man gar nicht haben wollte. „Deshalb beobachten wir die Flächen ganz genau und regulieren im Bedarfsfall die Mischungsverhältnisse.“

„Im Zweifel gilt: Wald vor Wild.“

Viel mehr Probleme bei der Wiederaufforstung macht allerdings etwas ganz anderes. Setzlinge und „heranwachsende“ Bäume stehen nämlich auf dem Speiseplan von Rehen und anderem Schalenwild. Vor allem durch das „selektive Äsungsverhalten des Rehwildes“ steht die Biodiversität auf dem Spiel. „Ein komplexes Thema“, sagt Kämmerling. Aber auch hier kann er den Weg von Ruhr Grün in einem Satz zusammenfassen. „Im Zweifel gilt Wald vor Wild.“

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Mit anderen Worten: Werden Verbiss, Fege- und Schälschäden zu groß, greifen die Förster des Verbandes zum Jagdgewehr. „Wir zählen das Wild nicht mehr“, bestätigt der Betriebsleiter, „wir nehmen die Schäden an der Vegetation als Indikator.“ Zum Vergleich dienen mehrere eingezäunte Flächen, auf denen Pflanzen und Gehölze ohne Wildeinfluss gedeihen können.

Menschen haben gemerkt, wie schön es in der Natur ist

Stürme, Dürre und der Borkenkäfer haben viele Bäume zerstört.
Stürme, Dürre und der Borkenkäfer haben viele Bäume zerstört. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

„Ökologisches Wildtiermanagement“ nennen Forstleute wie Kämmerling das. Tierschützer bemängeln trotzdem, dass das Wild nur noch „unter dem Aspekt der Einwirkung auf forstliche Ziele“ betrachtet werde. Dadurch werde der Begriff der Hege unterwandert. Naturschützer sehen das etwas anders. Angepasste Schalenwildbestände, räumt der NABU Deutschland ein, seien die Grundvoraussetzung für einen zukunftsfähigen Wald in Nordrhein-Westfalen.

Und Wald, glaubt Kämmerling, hat Zukunft. Nicht nur in ökologischer und wirtschaftlicher Hinsicht, sondern vor allem als Erholungsraum. „Viele Menschen“, weiß der Ruhr Grün-Chef, „haben erst in der Pandemie gemerkt, wie schön es in unseren Wäldern im Ruhrgebiet ist. Und nicht wenige, werden auch kommen, wenn Corona endlich ganz vorbei ist.“