Ruhrgebiet. Darauf ein Bier: In 34 Städten hat die Außengastronomie nach dem Lockdown wieder geöffnet. Das Pfingst-Wetter hielt die Menschen nicht drinnen.

Das Wetter war nicht so. Aber wen kümmern Regen und Wind, wenn nach sieben dunklen Monaten ausgerechnet am langen Wochenende die Wirte ihre Stühle wieder vor die Tür stellen… In mehr als 30 Städten im Land löste sich die Notbremse, alle Mann in die Biergärten! Und Frau auch. Frohe Pfingsten, frohes Prosten. Wehe, wenn sie (r)ausgelassen.

Es ist nun nicht so, als hätte es seit November nichts mehr zu trinken gegeben. Trotzdem sagt Stefan in Essen, er sei „ausgedürstet“; „ausgetrocknet“, verbessert Freundin Sandra. Die Menschen sind durstig, hungrig auch nach Gesellschaft. Natürlich kann man sein Bier zuhause trinken, aber, sagt Sabine und guckt ein bisschen angewidert, „das schmeckt einfach nicht mehr“. Reicht mit dem Lockdown, „die Leute wollen raus“.

Mit einem der drei „G“s darf jeder in den Biergarten

Gina, Kay, Maxi und Max (v.l.) trinken Apérol Spritz – und passend zum Sommergetränk kommt sogar die Sonne raus. Die Handys liegen schon deshalb auf dem Tisch, weil sie sich damit registriert haben. Der Test steckt auch darin.
Gina, Kay, Maxi und Max (v.l.) trinken Apérol Spritz – und passend zum Sommergetränk kommt sogar die Sonne raus. Die Handys liegen schon deshalb auf dem Tisch, weil sie sich damit registriert haben. Der Test steckt auch darin. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Deshalb sitzen sie hier, auf der Terrasse des „Fritzpatrick’s Irish Pub“ in Essen, in der Altstadt von Düsseldorf, beim Italiener, vor der Hausbrauerei, am Baldeneysee, in Oberhausen, in Mülheim, am Rhein und an der Ruhr, seit Pfingstmontag auch in Bochum, Duisburg, Gelsenkirchen, überall dort, wo eine Gaststätte auch nur einen halben Meter Platz hat vor der Tür. Vor der Tür, das ist entscheidend, nach drinnen dürfen die Gäste bislang nur in Münster, das eine Corona-Inzidenz hat, von der andere Städte noch lange träumen. „Schön“, steht frohlockend auf Schiefertafeln, „dass ihr wieder bei uns sein dürft.“ Sie dürfen, aber sie wollen auch.

Abstand halten sollen sie trotzdem, „unsere Gäste sind mit Abstand die besten“, werben sie in Düsseldorf, aber das genau ist es ja, was die Menschen nicht mehr wollen. „So schön, endlich mal wieder unter Leuten zu sein“, sagt Laura, die mit drei Freunden bei Weißwein in Düsseldorfs Kasematten sitzt, nassen Sand unter den Füßen. „So gut“, sei das, aber auch „so surreal“, findet Marion, sie wussten ja schon gar nicht mehr, wie das ist. Dicht an dicht hocken sie beieinander, getrennt nur von Plexiglas im Rücken oder dem Pelzkragen des Hintermanns, in den engen Altstadt-Straßen hält einer den Schirm für alle, die Maske liegt neben dem Bierglas auf dem Tisch.

Maskenpflicht gilt weiter – aber nicht am Tisch

Das ist erlaubt, es muss nur jeder ein großes G mitgebracht haben: Geimpft, Genesen, Getestet – für Letzteres haben viele Städte gleich in Kneipennähe noch zusätzliche Testzentren aus dem Boden gestampft: „Keinen negativen Test dabei? Jetzt hier… kostenlos und ohne Termin.“ Hier und da ist das Ergebnis schon automatisch zu scannen, an Säulen hängen riesige QR-Codes. Anderswo stecken Kellner und Gäste verschwörerisch über Smartphones die Köpfe zusammen. Wer in Düsseldorf durch das Gedränge flaniert, muss die Maske indes tragen, das Ordnungsamt hat alle ordnenden Hände voll zu tun. „Manche lernen es einfach nicht“, stöhnt ein Mitarbeiter. An Bußgeldern könnte die Stadt Tausende Euros verdienen allein in dieser Samstagnacht.

Und so wie am Wochenende soll es in der Landeshauptstadt tatsächlich nicht weitergehen dürfen: Zu später Stunde, berichtet die Polizei am Montag, kippt die gelöste Stimmung. Oberbürgermeister Keller spricht von „rechtsfreien Räumen“, von einer „explosiven Lage“. Die Menschen seien aggressiv geworden, auf der Kö gab es Autokorsos. Die wieder erlangten Freiheiten seien „als Freibrief“ für alles genutzt worden. Am Dienstag will sich die Stadt mit Wirten und der Polizei zu einem Krisengipfel treffen.

Nicht alle Wirte sind schon soweit

Karin und Eve (v.l.) sind durchgeimpft und dürfen sich „endlich wieder treffen“.
Karin und Eve (v.l.) sind durchgeimpft und dürfen sich „endlich wieder treffen“. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

In Essen bleibt alles weitgehend ruhig, wenn auch der Kommunale Ordnungsdienst viele Belehrungen aussprechen muss, weil Masken nicht sitzen und Abstände nicht eingehalten werden. Eve und Karin aber sind durchgeimpft, hurra!, „ein bisschen Unterhaltung und dass wir uns wieder treffen dürfen….“ Sie rücken gleich noch ein bisschen näher zusammen in ihrem Glück. Auch Max sagt: „Das hat einfach gefehlt“, die Gesellschaft mit anderen sei „Lebensqualität“, er hatte fast vergessen, dass das mal selbstverständlich war. „Die Leute sind froh, endlich wieder Leute zu treffen“, sagt im „Fitzpatrick’s“ Patrick Hunt. Er ist an diesem Wochenende ein glücklicher Wirt: „So schön, die bekannten Gesichter zu sehen!“

Als sie schließen mussten am 2. November, da ahnten sie ja nicht, dass der Lockdown mehr als ein halbes Jahr dauern würde. „Wahrscheinlich ist es besser, dass wir das nicht wussten“, sagt Hunt. Nicht alle Kollegen haben es geschafft, so kurzfristig wieder zu öffnen. Von der Facebook-Pinnwand der Essener „Zweibar“ tropft förmlich der Schweiß: Die Biergärten dürfen wieder öffnen?, „hossa, mich macht das ein wenig nervös! Sehe bereits die ersten Posts von Eröffnungen… schwitz. Wir sind noch nicht soweit.“

Viele Betriebe verweisen auf das nächste Wochenende, da soll die Sonne scheinen. Mancher Wirt hat das Wetter für ein Problem gehalten, schließlich, das sagt auch Patrick Hunt, „gibt es keinen Plan B, bei schlechtem Wetter reinzugehen“. Aber nach so langer „Trockenzeit“ darf das kühle Nass ruhig auch von oben kommen. „Das Wetter interessiert uns nicht“, sagt nicht nur Lynn in Düsseldorf. Sie harren aus in Steppjacken und pelzigen Mänteln, mit dicken Schals, die sie weghalten müssen, um trinken zu können. Sie sitzen draußen, komme, was das Wetter wolle, selbst wenn das Altbier vom Regen verdünnt wird und in Mülheims „Franky’s“ heftige Böen dem Bier den Schaum wegpusten oder die Sahne vom Kirsch-Streusel.

Bier aus dem Pappbecher? Eine Idee von gestern

Joumana (23), Pauline (22) und Marielle (22) sind „von gestern“: Sie haben sich das Bier wie in den Lockdown-Monaten von der Kneipe abgeholt.
Joumana (23), Pauline (22) und Marielle (22) sind „von gestern“: Sie haben sich das Bier wie in den Lockdown-Monaten von der Kneipe abgeholt. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Noch ist nicht alles „wie früher“, auch wenn vor der „Kokille“ geknobelt wird, auf großen Bildschirmen Fußball läuft und Cabrios zwischen Bierbänken schaufahren. „Ich lebe 20 Jahre in Düsseldorf, aber ich fühle mich wie neu hier“, sagt ein älterer Mann und hebt sein Altbierglas. Allein dieses Geräusch, staunt auch Max in Essen: „Endlich mal wieder anzustoßen!“ Andere müssen sich daran erst gewöhnen. Joumana, Pauline und Marielle, 22 und 23, haben ihr Bier wie zuletzt „to go“ im Plastikbecher zur Parkbank geholt. „Wir sind noch von gestern“, stellt Joumana fest, aber: „Ist entspannter“, muss nicht geplant werden und geht auch ohne Test (wenn auch ohne Toilette). Und ohne Schlangestehen: An den „Check-in“-Schaltern, die Kneipen neuerdings haben, warten die Menschen manchmal stundenlang, allein vor einer Bar in Düsseldorf stehen mehr als 50.

„Wir sind so froh, wieder draußen zu sein!“, sagt Stephan in Essen. „Wir haben so lange darauf gewartet.“ „Hauptsache, wir kommen mal raus!“, sagen auch Anna und Lynn, die für ein alkoholfreies Getränk extra aus Paderborn gekommen sind: „Wir wollten unbedingt, und wenn wir mal dürfen, dann nach Düsseldorf.“ Bolle reiste jüngst zu Pfingsten… Es ist nicht einmal halb sechs, da singt ein Mehr-als-Zehner-Tisch vor Essens „Fritzpatrick’s“ in leichter Schieflage schon „Schalala-lala“. Was der Wirt wohl gemeint hat, als er sagte, man mache um 23 Uhr lieber zu: „Man kann dann nichts mehr kontrollieren.“

Patrick Hunt glaubt, die Leute hätten im Lockdown „realisiert, was wichtig ist im Leben“, und das seien manchmal Kleinigkeiten: „Mit einem kleinen Bier in der Sonne zu sitzen.“ Auch wenn die gar nicht scheint.

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>>INFO: AUSSEN-GASTRONOMIE NOCH NICHT IN ALLEN STÄDTEN OFFEN

Liegt die 7-Tage-Inzidenz fünf Tage lang ,stabil’ unter 100, darf die Außen-Gastronomie wieder öffnen. Das ist spätestens seit Pfingsten in 34 Kommunen in NRW der Fall. In Münster, den Kreisen Coesfeld und Soest sind auch die Innenbereiche wieder offen, weil die Inzidenzen dort sogar die 50 unterschritten haben.

Am Pfingstmontag zogen Bochum, Duisburg und Gelsenkirchen nach. Dortmund, das erst am vergangenen Mittwoch unter die 100er-Marke rutschte, erwartet erste Öffnungen am kommenden Donnerstag – falls die Ansteckungszahlen nicht wieder steigen.