Essen. Angeschlagene Branchen, kaum Praktikumsplätze und schlechtere Noten: Corona erschwert Jugendlichen die Suche nach einem Job. Das sind ihre Pläne.

Es ist ein Jahr her, als Lehrer und Eltern mahnten: „Die Schülerinnen und Schüler, die im nächsten Jahr ihren Abschluss machen, sind noch viel schlimmer dran.“ Zwar fühlt sich Theo Kerstan „eigentlich ganz gut vorbereitet“ auf die Abiturprüfungen, die in diesen Tagen anstehen. Doch was dann? Praktika, Hochschultage, Jobmessen: In der Corona-Krise haben Jugendliche kaum Möglichkeiten, sich in der Berufswelt umzusehen – und müssen sich dennoch entscheiden.

Theo Kerstan liebt die Musik, beherrscht Schlagzeug und Klavier. „Mein Vater spielt in einer Band“, erzählt der 18-Jährige. Hin und wieder habe er die Nächte am Mischpult verbracht und den Musiker bei Auftritten als Tontechniker unterstützt – und so seinen eigenen Traumberuf gefunden. Doch die Corona-Krise hat die Veranstaltungsbranche hart getroffen. „Viele Unternehmen sind sich nicht sicher, ob sie in diesem Jahr überhaupt ausbilden wollen.“

Theo Kerstan (18) macht ab August 2021 eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker.
Theo Kerstan (18) macht ab August 2021 eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Knapp zwanzig Bewerbungen hat der Abiturient abgeschickt, von etwa der Hälfte erhält er nicht einmal eine Antwort. Sechs Mal stellte er sich der Geschäftsführung verschiedener Unternehmen vor, beantwortete dutzende Multiple-Choice-Fragen und zeigte sein Können beim Probearbeiten – bis es schließlich klappte. „Ich werde eine Ausbildung zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik machen“, freut sich der Schüler des Max-Planck-Gymnasiums in Gelsenkirchen. Angst, dass Corona der gesamten Branche das Genick brechen könnte, hat er nicht. „Irgendwann muss es ja wieder weitergehen.“

Oberstufenschülerin befürchtet schlechte Noten wegen Corona

Und auch eine Jahrgangsstufe tiefer macht die Pandemie den jungen Erwachsenen das Leben schwer: Zehra Zantur, Schülerin der Lessing-Schule in Bochum, befürchtet, dass die Corona-Krise ihr den Studienplatz kosten könnte. Die 17-Jährige möchte Medizin studieren; um mit anderen Studienbewerbern mithalten zu können, braucht sie einen Schnitt von 1,0. Und normalerweise wäre das für die Bochumerin auch kein Problem: „Ich bin mündlich sehr stark“, sagt Zantur, die verpatzte Klausuren so gut ausgleichen könne. Doch derzeit seien es verstärkt Abgaben und Tests, die bewertet würden. Sie „entsprechen nicht der Qualität meiner mündlichen Noten“.

Mit dem TMS, dem Test für medizinische Studiengänge, möchte sie ihren Schnitt nach den Abiturprüfungen im nächsten Jahr verbessern. Eine Ausbildung zur Krankenpflegerin „kommt für mich nicht infrage“, sagt Zehra Zantur. Sie möchte studieren – wenn nicht Medizin, dann Hebammenkunde. Oder Physiotherapie.

Medizin, Grundschullehramt und Wirtschaftsmathematik: Die Schüler der Lessing-Schule in Bochum Zehra Zantur (17), Kawssar Omerpur (19) und Nico Fischer (16) habe schon konkrete Vorstellungen, wie es nach dem Abitur weitergehen soll.
Medizin, Grundschullehramt und Wirtschaftsmathematik: Die Schüler der Lessing-Schule in Bochum Zehra Zantur (17), Kawssar Omerpur (19) und Nico Fischer (16) habe schon konkrete Vorstellungen, wie es nach dem Abitur weitergehen soll. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Wie schwer es derzeit ist, den Arbeitsmarkt zu erkunden und sich für einen Beruf zu entscheiden, weiß man in der 8b: Das Praktikum beim Tierarzt? „Abgesagt.“ Ein Einblick in den Alltag bei der Polizei? „Leider nicht möglich.“ Der Schnuppertag beim Physiotherapeuten? „Konnte nicht stattfinden.“ Selbst wer eine Zusage für einen Praktikumsplatz hatte, musste diesen mit der Rückkehr in den Distanzunterricht nach den Osterferien wieder absagen, erklärt Till Schaefer, Koordinator für Studien- und Berufsorientierung an der Lessing-Schule. Stattdessen gab es digitale Schnuppertage – mit Videos und virtuellen Rundgängen. „Es ist nicht dasselbe wie vor Ort“, sagt die 13-jährige Pia Michalski.

Zwei der Achtklässler hatten Glück, sie konnten sich vom Unterricht freistellen lassen und ein freiwilliges Praktikum machen: Doch Thore will eigentlich Journalist werden, ein Praktikum war aber nur beim Bäcker möglich. Samira Arifi möchte zur Polizei, bekam aber nur in der Krankengymnastik eine Stelle.

Online-Unterricht: „Meine Noten sind sogar besser geworden“

Wie wichtig Praktika und Hochschultage für die spätere Berufswahl sind, weiß Oberstufenschüler Nico Fischer. Jura, Wirtschaftswissenschaften oder Mathematik? „Ich habe viel ausprobiert.“ Ein Einblick in die Arbeit beim Bochumer Landgericht und einer Investmentbank in Düsseldorf, sowie Mathematik-Vorlesungen, die der 16-Jährige im Rahmen der Schüler-Uni besuchte, halfen ihm schließlich bei der Entscheidung: „Ich möchte Wirtschaftsmathematik studieren“, ist sich Nico Fischer heute sicher.

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Doch Corona durchkreuzte auch seine Pläne: Eigentlich wollte der Schüler ein halbes Jahr lang eine High School in den USA besuchen, sein Englisch verbessern, eine andere Kultur kennenlernen. Anfang vergangenen Jahres ging es endlich los. Doch als sich das Virus ausbreitete, musste er den Auslandsaufenthalt nach nur zweieinhalb Monaten abbrechen.

Auch Sebastian Neusser wäre nach dem Abitur gerne für ein paar Monate vereist, hat den Gedanken „wegen Corona aber nicht weiterverfolgt“. Stattdessen will er in die Fußstapfen seines Vater treten: „Ich habe mich bei der Polizei beworben“, erzählt der 18-Jährige, der trotz „klarem Ziel“ auch einen Plan B in der Tasche hat: Sollte er den Eignungstest bei der Polizei nicht schaffen, möchte er ein freiwilliges soziales Jahr im Krankenhaus oder Kindergarten machen – und währenddessen (hoffentlich) in andere Bereiche hineinschnuppern.

Um sein Abschlusszeugnis muss sich der Abiturient jedenfalls keine Sorgen machen. „Meine Noten sind sogar besser geworden“, freut sich der Schüler des Don-Bosco-Gymnasiums in Essen. Lernpläne, Referate und viel Disziplin hätten ihm dabei geholfen: „Wer an Homeschooling denkt, hat oft Schüler im Kopf, die lange schlafen und sich irgendwann vor den Laptop setzen“, so Neusser. Doch längst nicht alle Lehrer böten Online-Unterricht an, die Schüler müssten ihren Tag selbst organisieren – was auch Vorteile mit sich bringe: „Ich denke, das ist eine ganz gute Vorbereitung für das spätere Berufsleben.“

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Mehr als 70 Prozent der 14- bis 20-Jährigen in Deutschland beklagen, dass sich die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt durch Corona verschlechtert haben. Das zeigt eine aktuelle Befragung der Bertelsmann Stiftung. Bei Jugendlichen mit niedriger Schulbildung sind es sogar 78 Prozent. Rund ein Viertel glaubt, die Chancen auf einen Studienplatz seien durch Corona beeinträchtigt.

Mehr als die Hälfte der Befragten ist außerdem der Auffassung, dass die Politik wenig bis gar nichts für junge Menschen tut, die einen Ausbildungsplatz suchen. Weitere 20 Prozent sagen, dass die Politik zwar eher viel tue, aber noch immer nicht genug. „Wir müssen jedem jungen Menschen eine Ausbildungsperspektive geben, gerade in der Krise“, fordert Vorstandsmitglied Jörg Dräger. Das sei eine Frage der Chancengerechtigkeit und diene der Fachkräftesicherung.