Essen. Ausbildung und Homeoffice – passt das zusammen? Vier Jugendliche erzählen, wie sie den Ausbildungsstart während der Corona-Pandemie erlebt haben.
Viel Abstand und wenig Leute – den Start ins Berufsleben hätten sich viele junge Erwachsene wohl anders vorgestellt. Zwar gehören Unsicherheiten und Nervosität zum Ausbildungsbeginn dazu, die Jugendlichen werden in der Corona-Krise jedoch vor ganz besondere Herausforderungen gestellt.
Lea Schumann und Lars Sandkühler haben im September ihre Ausbildung im Chemiepark Marl begonnen. „Wir wussten bis zum ersten Tag nicht, wie die Ausbildung in diesem Jahr ablaufen wird“, sagt die 21-jährige angehende Chemikantin. Denn Corona hat selbstverständlich auch die Ausbildungspläne vieler Unternehmen ordentlich durcheinander geworfen.
So gibt es im Ausbildungszentrum in Marl, in dem die Jugendlichen in den ersten Ausbildungsmonaten berufsfeldübergreifende Grundkenntnisse erwerben, derzeit ein Zwei-Schichten-System. Vormittags arbeitet die halbe Azubi-Gruppe praktisch, also übt zum Beispiel, wie man eine elektrische Leitung verlegt. Die anderen Schüler bearbeiten währenddessen theoretische Aufgaben im Homeoffice. Am Nachmittag werden die Lernorte getauscht.
Homeoffice in der Ausbildung: Fluch oder Segen?
„Die Auszubildenden sind in diesem Jahr deutlich einsamer unterwegs“, sagt Antonius Kappe, Leiter der Ausbildung im Chemiepark Marl. Denn vielen falle das Kontakteknüpfen mit Maske und Abstand schwer. „Wir haben Whatsapp-Gruppen gebildet, um einfache Fragen schnell untereinander klären zu können“, sagt Lea Schumann. Neue Freundschaften schließen könne man so aber nicht.
Doch einige Auszubildende gewinnen der Arbeit im Homeoffice auch etwas Positives ab. Lars Sandkühler, der eine Ausbildung zum Elektroniker für Automatisierungstechnik bei Evonik macht, war seit März kaum noch in der Schule. Das Berufsleben sei „ein extremer Unterschied“ zum monatelangen Zuhausesein, so der 16-Jährige. Durch das zeitweise Arbeiten im Homeoffice könne er sich langsam an die neue Situation gewöhnen.
Viele Jugendliche waren bei der Berufswahl auf sich allein gestellt
Längst nicht alle Jugendlichen hatten im Frühjahr schon einen Ausbildungsplatz in der Tasche. „Viele waren in diesem Jahr bei der Berufswahl auf sich allein gestellt “, sagt Frank Piontkowski, Berufsberater bei der Arbeitsagentur Oberhausen. Denn persönliche Beratungsgespräche in der Schule sowie Praktika zur Berufsorientierung seien coronabedingt kaum möglich gewesen.
Ausbildungsstart noch im Januar möglich
Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz stehen auch im Herbst noch sehr gut. Knapp 11.000 Lehrstellen waren laut der Bundesagentur für Arbeit in NRW zum regulären Ende des Ausbildungsjahres im September noch unbesetzt, darunter rund 3000 alleine im Ruhrgebiet.
Unternehmen können noch bis Ende Januar 2021 Auszubildende einstellen. Die Industrie- und Handelskammern sowie die Bundesagentur für Arbeit in NRW haben Nachvermittlungsaktionen gestartet, damit möglichst viele Bewerber und Betriebe in diesem Jahr doch noch zusammenfinden. Die rund 8900 Jugendliche, die bisher keine Lehrstelle gefunden haben, müssen nicht zwingend bis nächstes Jahr warten.
Auch Maximilian Abelt stand im Mai noch ohne Ausbildungsplatz da. Der 21-Jährige hat im vergangenen Jahr sein Fachabitur mit dem Schwerpunkt Wirtschaft und Verwaltung gemacht und anschließend ein Jahr lang in einem Logistikunternehmen gearbeitet. „Ich denke, ein bisschen Angst hat man immer, wenn man so spät noch keinen Platz hat – auch ohne Corona“, sagt Abelt. Daher sei er „richtig erleichtert“ gewesen, als die Zusage kam.
Seit August macht Maximilan Abelt eine Ausbildung zum Kaufmann im Groß- und Außenhandel bei eku Kabel und Systeme in Bochum. Das Arbeiten im Homeoffice ist für die Auszubildenden im ersten Lehrjahr jedoch nicht vorgesehen. „Wir müssen bei den meisten Aufgaben noch kontrolliert werden“, so der 21-Jährige.
Doch auch dem angehenden Kaufmann fehlt das Miteinander. „Eine Weihnachtsfeier wird es in diesem Jahr wohl nicht geben. Das finde ich besonders schade.“ Denn viele Kollegen würden den Auszubildenden bei der Feier im Dezember das „Du“ anbieten.
Pflegeschüler bekommen Aufgaben per E-Mail zugeschickt
Nala Seidu hat bereits im März ihre Ausbildung in der Pflegeschule der St. Elisabeth Gruppe in Herne begonnen, kurz bevor Schulen geschlossen und Krankenhäuser für Besucher gesperrt wurden. „Wir hatten uns gerade erst richtig kennengelernt“, sagt die 24-Jährige. „Da ging es auch direkt wieder nach Hause.“
In den ersten Monaten der Ausbildung lernen die Schüler normalerweise, wie man Patienten wäscht und anzieht oder den Blutdruck misst. Stattdessen bekamen die Auszubildenden Aufgaben per E-Mail zugeschickt. „Wir mussten uns vieles selbst beibringen“, sagt Nala Saidu, alleinerziehende Mutter eines einjährigen Sohnes. „Der ein oder andere hat nach nur wenigen Wochen das Handtuch geworfen.“
„Man konnte uns ja so nicht auf die Patienten loslassen“
Da nicht alle Pflegeschüler vor ihrer Ausbildung schon praktische Erfahrungen in der Pflege gesammelt hatten, wurde der Praxiseinsatz auf der Station nach hinten verschoben und der Theorieblock verlängert. „Man konnte uns ja so nicht auf die Patienten loslassen“, sagt die Pflegeschülerin. Erst nachdem der Unterricht in der Schule wieder möglich war und die Auszubildenden einige Inhalte nachgearbeitet hatten, begann für sie die praktische Arbeit im Krankenhaus.
„Am ersten Tag war ich richtig nervös“, erinnert sich die 24-Jährige. Trotzdem habe sie von Anfang an gewusst: „Das ist genau das Richtige für mich.“ Die Arbeit mit kranken und pflegebedürftigen Menschen sei zwar nicht immer einfach. Die Anerkennung von Patienten, Freunden und der Familie hätten sie in der Corona-Krise jedoch bestärkt. „Wir sind jetzt nicht mehr nur die Po-Abwischer, sondern so etwas wie Helden.“