Ruhrgebiet. In den Impfzentren zieht das Tempo deutlich an, Hausärzte fühlen sich die dagegen im Nachteil: Sie erhalten nächste Woche weniger Impfstoff.
„Ausgebremst.“ So fühlen sich Hausärzte in der Region, als ihre Apotheken am Donnerstag die Bestellbestätigung für die kommende Woche schicken: Für die Praxen gibt es weniger Corona-Impfstoff. Gleichzeitig lädt das Gesundheitsministerium weitere Geburtsjahrgänge in die Impfzentren ein, nun schon sieben in nicht einmal zwei Wochen. Wie passt das zusammen?
Es ist noch nicht lange her, da sah ein 77-jähriger Dortmunder einen Impftermin noch nicht einmal am Horizont. Und dann ging alles ganz schnell, binnen nur drei Tagen flatterten gleich drei Angebote ins Haus: Anruf vom Hausarzt, er stehe auf der Liste. Einladung vom Minister, der Jahrgang 1943 ist eröffnet. Resterampe von Astrazeneca für Über-60-Jährige. Die erste Impfung bekam der Mann schließlich auf ein ärztliches Attest, es war Möglichkeit Nr. 4.
Ministerium öffnet Impfzentren für die nächsten Jahrgänge
Es geht schneller mit den Impfungen in NRW, das war zuletzt der Eindruck. Die Hausärzte, seit Osterdienstag dabei, sorgten für neue Rekorde. 206.000 Menschen ab 77 haben allein in Westfalen seit Ostern einen Impftermin gemacht. Ab Freitag können sich die Geburtsjahrgänge 1944 und 1945 für eine Impfung anmelden, schon ab Montag Bürger bis 73. „Es geht schneller“, sagt eine Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), „weil mehr Impfstoff da ist.“ Und weil die 1,6 Millionen Unter-80-Jährigen in NRW nun jahrgangsweise aufgerufen würden – anders als die 1,2 Millionen Älteren –, das Chaos bleibe inzwischen aus.
„Das Impfgeschehen“, frohlockt Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann am Donnerstag, „nimmt Fahrt auf.“ Für die erste Million Erstgeimpfter habe man noch zwei Monate gebraucht, für die zweite Million noch einen Monat, für die dritte nun: „Weniger als zwei Wochen.“ Seit die Hausärzte mitimpfen, geht alles noch schneller. Auch wenn sie zunächst nur durchschnittlich 20 Spritzen pro Woche geben konnten.
Wer nur Biontech will, kriegt gar nichts
Nur sollte das anders werden „spätestens ab der dritten Woche“, hieß es. Die ist nun in Sicht, und Tatsache ist: In Bochum zum Beispiel erhalten die Praxen ab dem 19. April nur noch 16 Impfdosen. Bestellbar waren zunächst fast 50. Nun gibt es zehn von Astrazeneca und sechs von Biontech, erhältlich nur im Paket: Für eine Lieferung macht der Bundesgesundheitsminister zur Bedingung, beide Vakzine abzunehmen. Wer nur Biontech will, kriegt gar nichts. „Das ist“, ulkt ein Bochumer, „wie auf dem Hamburger Fischmarkt.“
Die Hausärzte indes finden das nicht zum Lachen. Die Kollegen „kochten“, berichtet Dr. Eckhard Kampe, Bezirksleiter der KVWL für Bochum, Herne, Hagen, Witten und Hattingen. Man habe so viel Werbung für die Impfung in den Praxen gemacht, „jetzt stehen wir da und haben keinen Impfstoff“. Das entspreche „nicht der Strategie“. Eine Begründung konnten die Apotheker ihren Kunden nicht liefern.
Die KVWL erklärt gegenüber dieser Zeitung, die Gesamtmenge des Impfstoffes werde nicht weniger: Es bestellten nur wesentlich mehr Praxen, die über Ostern noch Urlaub gemacht hätten. So bleibe, formuliert es eine Sprecherin, „für jeden weniger vom Kuchen übrig“.
Hausarzt klagt: „Wir haben keinen Impfstoff“ für Patienten auf der Warteliste
„Man kann sich auf nichts verlassen“, sagt dennoch Kampes Duisburger Kollege Dr. Helmut Gudat von der KV Nordrhein. Seine Praxis informiert ihre Patienten inzwischen erst, wenn die gelieferten Kühlboxen „über die Türschwelle sind“: „Dann wissen wir, was wirklich drin ist.“ Wie bei den meisten Ärzten ist auch bei ihm die Liste derer, die geimpft werden sollen, lang. Die Aufgabe, die Kranken vorzuziehen, bezeichnet Gudat als „lebensrettende Maßnahme“. Ohnehin sei die Auswahl ein „potenzielles Minenfeld“, weiß auch Dr. Wilhelm Vermaasen, Vorsitzender des Bochumer Hausärztenetzes. Eckhard Kampe sagt: „Wir haben Hunderte von Berechtigten auf der Warteliste“, die Realität aber sei: „Wir haben keinen Impfstoff für sie.“
Oder welchen, der nur bedingt beliebt ist. Das Vakzin von Astrazeneca, das nach seltenen Fällen von Hirnvenenthrombosen nur noch an Menschen ab 60 Jahren verimpft werden darf, will offenbar nicht jeder Impfberechtigte haben. Allein im Impfzentrum in Gelsenkirchen blieben in den ersten Apriltagen Hunderte Dosen liegen. In Witten spricht Dr. Arne Meinshausen, Sprecher der Ärztlichen Qualitätsgemeinschaft, von einer „hohen Quote“ von Menschen, die den Impfstoff verweigern. „Der überwiegende Teil der Patienten will nicht mit Astrazeneca geimpft werden.“ Viele, bestätigt auch Helmut Gudat in Duisburg, lehnten das Vakzin „kategorisch ab“.
Bei Sonderaktion: Alle Termine binnen Stunden vergeben
In Bochum macht Dr. Eckhard Kampe allerdings andere Erfahrungen: Die weitaus Meisten nähmen Astrazeneca gern, „Hauptsache, ich bin überhaupt geimpft“, sagen ihm die Patienten. „Ich nehme, was ich kriegen kann“, hört auch sein Kollege Vermaasen. Bei der Sonderaktion des Landes, als nach der neuen Impf-Empfehlung 450.000 Dosen Astrazeneca freigegeben wurden, waren die Termine innerhalb von drei Tagen restlos vergeben, in einzelnen Impfzentren sogar binnen Stunden.
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Es werde auf Dauer nichts liegen bleiben, glauben die Ärzte. Im Gegenteil: In Herne etwa warnt Gesundheitsdezernent Johannes Chudziak am Donnerstag vor neuen Engpässen. Spätestens für Mai fehle es an verbindlichen Zusagen für Impfstofflieferungen. Zwar werde es öffentlich so dargestellt, als gebe es einen „ständigen Schwung steigender Impfdosen“, so Chudziak. „Das Gegenteil ist der Fall.“
Tatsächlich war vom Bund, der für die Belieferung der Hausärzte zuständig ist, spätestens für die übernächste Woche ein Plus angekündigt worden. Eine Million Biontech- und eine halbe Astra-Dosen solle es dann geben, hat in Bochum Dr. Kampe gehört. „Das wäre dann etwas besser. Aber der große Wurf ist es nicht.“