Mülheim. Sechs Abrissbagger nehmen sich gerade in Mülheim zwei Eisenbahnbrücken vor. Jede wiegt 1800 Tonnen. Dienstag sollen sie weg sein. Styrum bebt.
Norbert Strathmann ist ja eigentlich der oberste Instandhalter der Bahn im Raum Duisburg, aber gerade geht um ihn herum ziemlich viel kaputt. Doch das wenigstens planmäßig. Der 60-Jährige steht auf einer erhöhten Plattform und schaut zufrieden auf ein grandioses Zerstörungswerk unter blauem Himmel: Sechs Abrissbagger gehen auf Eisenbahnbrücken los. Die Plattform zittert.
Am Wochenende hat die Bahn begonnen, zwei von fünf direkt nebeneinander liegenden Eisenbahnbrücken über die Autobahn 40 in Mülheim abzureißen. Der Abriss war nötig geworden, weil im September an dieser Stelle ein Tanklaster gebrannt hatte. Mit großer Treffsicherheit geschah das Unglück dort, wo die wichtigste Autobahn und die wichtigste Zugstrecke des Ruhrgebiets einander kreuzen.
„Mir fällt kein Ort ein, wo man ein größeres Verkehrs-Chaos verursachen könnte“
„Mir fällt kein Ort ein, wo man ein größeres Verkehrs-Chaos verursachen könnte. Vielleicht noch irgendwo bei Köln“, sagt Bahn-Sprecherin Kirsten Verbeek. Denn die Folge ist: eine Kaskade abwechselnder, gleichzeitiger oder auch sich überlappender Streckensperrungen. Viele Menschen stehen nun immer wieder im Stau oder sitzenin Ersatzbussen zwischen Essen, Mülheim, und Duisburg und schunkeln vor Freude.
Mülheim-Styrum jedenfalls bebt am Wochenende. Die Abrissbagger rangieren auf der gesperrten Autobahn, reißen den Beton in Brocken aus den Brücken oder bearbeiten sie mit Presslufthämmern und Hydraulikmeißeln. Tok-tok-tok-tok-tok, laut, sehr laut. Dazu fuhrwerkt weiteres schweres Gerät, und im Hintergrund stehen bereits die Bauteile, die nach den Abrissen zu einer Behelfsbrücken montiert werden. Jedes Teil ist 26 Meter lang.
Nach und nach finden sich Menschen ein, die dem Spektakel zuschauen wollen
Das ist ganz großes Baggerballett. Dazu wuseln 50 bis 60 Bauarbeiter herum, die alle gut zu tun haben. Da hinten irgendwo härtet Beton aus. Eine andere Gruppe arbeitet in der Böschung schon am Widerlager der neuen Brücke. Und wieder andere spritzen Wasser aus Schläuchen in die Abrisse, um den Staub zu binden. Styrum, ein Wimmelbild.
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Nach und nach finden sich am Rand der Baustelle, in sicherer Entfernung Menschen ein, die wollen gucken. Der sechsjährige Julian ist aus Essen herübergekommen, mit blauem Schutzhelm und gelber Warnweste, ein Profi, offensichtlich. Seine Mutter sagt: „Wir sind Baustellen-Bewunderer und große Fans der Firma Heermann“; Heermann ist eines der beteiligten Abbruchunternehmen. Die Fans machen Fotos.
„Wir waren heute nacht um 3 Uhr schon hier“
Nicht weit davon steht Nicola Krause-Heiber mit ihrem Dominik (4). Sie hat eigentlich ein Pferdegestüt, aber „Dominik ist so ein baggerbegeistertes Kind“, sagt sie. So baggerbegeistert, dass sie aus dem 215 Kilometer entfernten Gießen hergefahren sind, um das staubige Spektakel zu sehen. Das ist ja wohl nicht mehr zu toppen? Doch, locker: „Wir waren heute Nacht um 3 Uhr schon hier“, sagt ihr Vater Peter Krause-Heiber.
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Es gibt aber auch so viel zu sehen! Die verbogene Armierung, die aus den aufgerissenen Brückenleibern ragt. Die Tarantula-Bilder, wenn man oben steht: Die Brücken verdecken noch die Bagger, man sieht nur deren Arme sich bewegen. Der Schutt, der Schotter, die Schwellen, die auf die Autobahn herunterstürzen: Nach dem Abriss wird „Straßen NRW“ erst mal wieder die Fahrbahndecke erneuern müssen.
Mitte der Woche erscheint ein Kran, der sich selbst aufbaut
Man hätte sie mit einer Schutzschicht abdecken können, aber dann hätten die Arbeiten zwei, drei Tage länger gedauert. Gibt der Zeitplan nicht her. Schon zehn Tage ohne A40 tun weh. Und so arbeiten sie hier lange am Samstag und schon wieder früh am Sonntag. Die ruhigen Wohnstraßen drumherum halten sich derweil ganz fest die Ohren zu. „Man fühlt sich“, sagt ein Anwohner, „wie der Borkenkäfer, wenn der Specht klopft“.
Eine Woche werden sie hier noch arbeiten. Mitte der Woche soll ein 750-Tonnen-Kran erscheinen, der dann die Teile der Behelfsbrücke einpasst. „Der baut sich selber auf, das ist ein tolles Spektakel“, sagt der Chef, sagt Norbert Strathmann. Julian? Dominik? Was ist mit euch?