Bochum. Nicht nur laut einer Bochumer Studie sinkt die Zahl der Corona-Neuinfektionen bei Kindern und Jugendlichen. Ärztin nennt mögliche Gründe.
Am Sonntag sank die Zahl der mit Corona infizierten Kinder und Jugendlichen in NRW erstmals wieder unter die 5000er-Marke. Sieben Tage zuvor waren es noch mehr als 5600 unter 20-Jährige, die sich pro Woche neu angesteckt hatten. Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen den Trend: Auch die Bochumer Stars-Studie zählte in den vergangenen zwei Wochen deutlich weniger positive Abstriche bei Minderjährigen . Koordinatorin Dr. Folke Brinkmann ist „überrascht“.
Drei Wochen ist es her, da schlug die Oberärztin an der Bochumer Universitätskinderklinik Alarm: „Corona ist angekommen“, sagte Brinkmann damals, die Neuansteckungen stiegen, wie bei den Erwachsenen, „exponentiell“. Damals, eine gute Woche nach den Herbstferien, waren unter den untersuchten Kindern, die in der Notaufnahme oder in Kinderarztpraxen abgestrichen wurden, mehr als zwölf Prozent der Patienten mit Corona infiziert. Schon im Oktober hatten sich die Zahlen im Vergleich zum Vormonat verzehnfacht .
Vorsichtiger Optimismus: Positive Ergebnisse zuletzt halbiert
Seither testen die Bochumer Kinderärzte nicht weniger. Aber bei 180 bis 200 Abstrichen pro Woche entdeckten sie zuletzt nur noch bei sechs bis sieben Prozent der Fälle eine Corona-Infektion. Noch ist Dr. Folke Brinkmann, die auch bei der zeitgleich laufenden Antikörper-Studie „CorKid“ keinen weiteren Anstieg erkennt, vorsichtig mit den Ergebnissen, nennt sie aber „erfreulich“.
Sind die Kinder also doch keine Infektionstreiber, wie nicht nur Brinkmann schon im Frühjahr vermutete, sind die Schulen doch nicht mitverantwortlich? Die Bochumer Lungenfachärztin vermutet, dass die Schutzmaßnahmen in den Schulen funktionieren . Kollegen, die an „Stars“ beteiligt sind, bestätigen das: Die Kinderärztin Dr. Katrin Terhart hatte unter den untersuchten Kindern mit Erkältungssymptomen seit dem Sommer nur einen einzigen Covid-Fall. „Ich sehe gut behütete Kinder, die Eltern halten sich sehr gut an die Kontaktbeschränkungen.“ Auch unter den Jugendlichen , die mit rot leuchtender Corona-Warnapp zum Teil auch aus der Nachbarstadt Herne zu ihr kommen, trügen Maske, seien vorsichtig – und beim Test negativ.
Corona: Infektionszahlen bei Kindern und Jugendlichen gehen laut Statistik zurück
Von einem „Plateau“, von dem es „hoffentlich langsam runtergeht“, spricht ihre Kollegin Dr. Claudia Simon. Auch in ihrer Praxis seien die Zahlen leicht gesunken, besonders bei den kleineren Kindern. Bei den Jugendlichen aber seien die Infektionszahlen „auf hohem Niveau stabil“, hier sei es „zu früh zu sagen, es geht deutlich zurück“. Das deckt sich mit der Statistik des Landesgesundheitsministeriums: Danach sind mehr als doppelt so viele Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 19 Jahren infiziert als in der Altersgruppe bis neun Jahre.
Trotzdem gehen die Zahlen auch in den Ruhrgebietsstädten insgesamt zurück: In Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Oberhausen sanken sie zuletzt deutlich. Mülheim zählte am Sonntag elf infizierte Kinder und 21 infizierte Jugendliche (ab zehn) weniger als eine Woche zuvor. In stark betroffenen Städten wie Herne, Dortmund, aber auch Bochum ist ein statistischer Rückgang der wöchentlichen Neuansteckungen in der betroffenen Altersgruppe allerdings noch nicht klar erkennbar.
Studie an mehr als 100 Kinderkliniken bestätigt: Dunkelziffer gibt es nicht
Aus einer am Montag vorgestellten Erhebung von mehr als 100 deutschen Kinderkliniken geht hervor, dass es auch die oft vermutete hohe Dunkelziffer von Infektionen an Schulen eher nicht gibt. Die Kinderärzte werteten dazu Daten von mehr als 110.000 jungen Klinikpatienten aus, die zwischen Juli und dem 18. November routinemäßig auf Corona getestet worden waren: Nur 0,53 der Kinder und Jugendlichen sei demnach positiv gewesen. „Wir schließen daraus“, sagte der Chefarzt der Passauer Kinderklinik, Matthias Keller, „dass die Ansteckungsgefahr an Schulen eher überschätzt wird.“ Es gebe deutliche Hinweise, dass die Infektionsquellen in der Mehrzahl außerhalb des schulischen Bereiches liegen.
Verbände fordern: Lasst die Schulen offen!
Das bestätigt auch eine Untersuchung aus Hamburg: Die Stadt verfolgte zwischen den Sommer- und Herbstferien die Infektionsketten von fast 400 Corona-positiven Schülern und fand heraus, dass sie sich viermal so häufig außerhalb wie innerhalb der Schule angesteckt hatten. Auch steckten andersherum die wenigsten zunächst unerkannt Erkrankten ihre Mitschüler an. Auf Grundlage dieser Studien fordert die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene, Schulen und Kitas grundsätzlich offen zu lassen. Sie seien „keine Hotspots der Pandemie“. Quarantänen ganzer Klassen oder ganzer Schulen ließen sich aus den Daten nicht begründen.
Auch die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin stützt sich auf die neuen Zahlen und ist dagegen, Klassen oder gar ganze Schulen zu schließen. Zwar waren in NRW in der vergangenen Woche mehr als 70.000 Kinder und Jugendliche in Quarantäne . Es sei aber „zu beachten, dass die wenigsten Schüler in Quarantäne tatsächlich infiziert sind“.
>>INFO: DIE STUDIEN STARS UND CORKID AUS BOCHUM
Ein gutes Dutzend Kinderarztpraxen in ganz NRW, das Institut für Humangenetik und das für Virologie an der Ruhr-Universität Bochum beteiligen sich an der CorKid-Studie der Bochumer Universitätskinderklinik . Es ist die bundesweit größte, sie soll klären helfen, inwieweit Kinder an der Verbreitung des Corona-Virus beteiligt sind. Der Bund fördert das Projekt mit 566.000 Euro. Im Rahmen der Routine-Vorsorge-Untersuchungen wird Kindern (und ihren Eltern) dreimal Blut für einen Antikörpertest abgenommen, insgesamt sollen 3000 Kinder (ohne Symptome) zwischen sechs Monaten und 18 Jahren untersucht werden. Finden sich Antikörper im Blut heißt das, sie haben (womöglich unbemerkt) eine Sars-CoV-2-Infektion hinter sich. Die Ergebnisse gehen direkt ans RKI. Die Teilnahme ist freiwillig.
Für die Stars-Studie der Bochumer Kinderklinik sind in Kinderpraxen und Notfallambulanzen seit Mai mehr als 3000 Kinder auf Corona getestet worden. Oberärztin Dr. Folke Brinkmann koordiniert beide Studien.