Essen. Zehn Monate Wartezeit sind keine Seltenheit, will man einen Termin im Ausländeramt Essen. Betroffene verlieren dadurch manchmal sogar die Arbeit.

Eigentlich möchte sich Valeria C.* nur in Essen anmelden, wie es sich gehört – doch das will seit über neun Monaten nicht gelingen. Die kanadische Studentin kann dort nicht zum Bürgeramt gehen, denn zuständig ist das Ausländeramt. Dort wollte sie vorsprechen, doch die Security weist jeden ab, der ohne Termin aufkreuzt. Und einen Termin gibt es nur per Mail. Ihre erste Anfrage schickte Valeria C. Mitte Dezember. Seitdem hat sie auf ihre Anfragen Eingangsbestätigungen bekommen, aber nie eine Antwort. Anrufe endeten nach Stunden in der Warteschleife mit Abbruch oder jemand legte einfach auf. „Es ist, als gäbe es dieses Amt gar nicht.“

Kleinigkeiten wie eine gemeinsame Adresse werden zum Problem

Also bleibt Valeria C. in Mülheim gemeldet, obwohl sie längst mit ihrem deutschen Freund in Essen wohnt. Im Grunde ist das praktisch, denn in Mülheim bietet das Ausländeramt eine offene Sprechstunde an. Doch sie will heiraten, erwartet ein Kind. Und damit die Heirat anerkannt wird, damit sie eine Aufenthaltserlaubnis bekommt und in die Familienkrankenversicherung ihres Mannes eintreten kann, muss das Paar eine gemeinsame Adresse haben ... „In Essen wird das nicht rechtzeitig klappen“, glaubt Valeria C. „Ein Bekannter hat gerade einen Termin bekommen – für August 2021. Wir werden uns wohl kurzzeitig bei den Eltern meines Mannes in Mülheim anmelden, auch wenn das nicht korrekt ist.“

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Es ist kafkaesk, aber eher der Normalfall als die Ausnahme. Der Notstand im Ausländeramt betrifft etwa ein Siebtel aller Essener Bürger, rund 80.000 sind Nicht-EU-Ausländer (inkl. doppelte Staatsbürgerschaften). Die Wartezeiten sind unterschiedlich lang, jedoch seien zehn Monate keine Seltenheit, erklären Pro Asyl und die Studentenvertretung AStA. Beide haben schon im Februar mit einer Petition und einem Brandbrief die Zustände scharf kritisiert. Kaum ein „Aufenthaltstitel“ werde fristgerecht erteilt oder verlängert.

Stattdessen sollen formlose Mails oder vorläufige Bescheinigungen den Aufenthalt bis zum Termin absichern. Doch ohne einen gültigen Titel können Studenten, Arbeitnehmer oder Flüchtlinge nur mit viel Glück ein Konto eröffnen, eine Wohnung, eine Arbeit oder auch nur einen Nebenjob finden. So werde Integration verunmöglicht, findet Inka Jatta, Leiterin von Pro Asyl. „Es gibt einige Leute, die haben ihre Arbeit verloren, weil sie nicht rechtzeitig ihren Aufenthaltstitel bekamen.“ Viele Institutionen kennen mittlerweile diese Notlösungen, berichtet sie, doch sobald der Bearbeiter weiter weg sitzt wie bei der Familienkasse bekommen Betroffene mit ihrem Mail-Wisch oft Probleme.

Ein unberechtigter Einwand und ein verhinderter Umzug

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Als der ägyptische Kardiologe Mohammed A. Mitte Januar nach Essen zog, meldete er sich gleich beim Ausländeramt. Er bekam einen Termin im Juli. In der Zwischenzeit war sein Visum ausgelaufen, er konnte nicht reisen, nicht umziehen. Und nun will man ihm keinen neuen Aufenthaltstitel ausstellen. „Ich hatte mich schon von Ägypten aus zur Fachsprachprüfung in Rheinland-Pfalz angemeldet. In Essen sagte man mir in sehr unfreundlichem Ton, ich müsse mich in NRW anmelden. Doch dadurch würde ich wertvolle Monate verlieren.“ Und eine Residenzpflicht für Prüflinge gibt es laut Ärztekammer Nordrhein gar nicht.

Ein Übersetzer aus Syrien dagegen wartet seit einem halben Jahr darauf, dass Essen den Nachzug seiner Frau bewilligt. Der war bereits im Januar von der deutschen Botschaft im Irak gestattet worden. „Das Schlimme ist nicht einmal die Wartezeit“, sagt er, „sondern dass man überhaupt keine Auskunft zum Status bekommt.“ Er hat nun einen geplanten Umzug nach Kassel verschoben, wo er seinen Master in Ökologischer Landwirtschaft beginnen wollte.

Auch die Stadt sieht das Problem

Christian Kromberg (CDU), Ordnungsdezernent von Essen
Christian Kromberg (CDU), Ordnungsdezernent von Essen © FUNKE Foto Services | André Hirtz

„Es ist auch aus meiner Sicht eine absolut nicht zufriedenstellende Situation“, sagt Ordnungsdezernent Christian Kromberg. Die Flüchtlingskrise habe die Verwaltung 2015 auf dem falschen Fuß erwischt - wie die gesamte Republik. Essen hatte gerade einen Personalabbau in allen Behörden beschlossen. Kromberg führt auch eine Verschärfung der Sicherheitsbestimmungen­ an. „Die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis dauerte früher fünf Minuten. Heute ist eine Dreiviertelstunde nötig.“

Hinzu komme eine „steigende Altersfluktuation“, aber auch „die herausfordernden Arbeitsbedingungen und die verbesserten Karrieremöglichkeiten führen zu Weggängen. Neue Mitarbeiter zu qualifizieren, dauert zwei bis drei Jahre“, erklärt Kromberg. „Da sie in nicht geringem Umfang von Kollegen angelernt würden und viele erfahrene Kollegen verrentet oder pensioniert worden sind, kann man auch nicht zu viele gleichzeitig ausbilden.“

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Längere Wartezeiten auf Termine gibt es auch in Nachbarorten – in Duisburg etwa beträgt sie laut Stadt etwa drei Monate. Während 2018 in Essen ein Mitarbeiter für rund 1.100 Kunden zuständig war, waren es in Dortmund 820, in Bochum 810, und in Köln nur 610 Kunden pro Mitarbeiter. Aufgrund zusätzlichen Personals kommt in Essen gegenwärtig ein Mitarbeiter auf 900 Kunden. „Wir sind sicher eine der Behörden, wo am meisten getan werden musste und muss“, sagt Kromberg. Vergleiche sind dennoch schwierig, da jede Stadt die Aufgaben anders auf ihre Ämter verteilt.

„Geduldete und Anerkannte dürfen nicht umziehen“, sagt Inka Jatta, aber sie betreut auch einige Studenten und Arbeitnehmer. Oft rät sie zum Umzug. „Mülheim ist immer ein heißer Tipp.“ Dort leitet Udo Brost das Ausländeramt: „Wir hatten auch Schwierigkeiten mit Wartezeiten. Doch dann haben wir gemerkt: Mit Terminvergabe läuft es noch viel schlechter, wir blockieren uns selbst, es gibt zu viel Leerlauf. Wir haben jetzt ein Mischung aus Terminen und Sprechstunden, das bringt Entlastung. Und wir haben unser Personal fast verdoppelt seit 2015.“ Mülheim ist pro Kopf deutlich höher verschuldet als Essen.

Studenten, Azubis und Pflegekräfte können hoffen

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Aber es gibt auch gute Nachrichten. Für hochqualifizierte Arbeitnehmer hat Essen bereits 2016 ein „Welcome- und ServiceCenter“ geschaffen, das allerdings erst ab einem Einkommen von 43.000 Euro (und 55.200 für Inhaber der Blauen EU-Karte) kundenfreundlich durch die Bürokratie lotst. Aktuell kommen nur rund 2500 Nicht-EU-Ausländer in diesen Genuss. Doch ab nächstem Jahr soll hier nach und nach auch Studenten und Azubis geholfen werden, ebenso wie Fachkräften in „Mangelberufen“, die unter der Gehaltsgrenze liegen, zum Beispiel Pflegekräften. Parallel laufe eine Digitalisierung-Offensive, erklärt Kromberg. „Wir werden die erste Behörde mit einer kompletten E-Akte sein.“ Seit Juli habe sich zudem die telefonische Erreichbarkeit deutlich verbessert. Ein Servicecenter im Einwohneramt übernimmt nun die gesamte Telefonie und Terminvergabe.

Tatsächlich kommt Valeria C. bei einem Testanruf in wenigen Minuten durch. Aber Auskunft bekommt sie nicht zu ihrer Terminanfrage vom Dezember. Da müsse sie eine Mail schreiben. (* Name geändert)