Bochum. Im Bergbaumuseum sucht die Doktorandin Annika Diekmann nach dem Ort der Varusschlacht. Haben Legionen einen metallurgischen Fingerabdruck?

Kennengelernt hat Annika Diekmann das Forschungslabor des Bergbaumuseums bereits in der 9. Klasse: als Schülerpraktikantin. Ihr Berufswunsch, in die Chemie zu gehen, war danach eher noch stärker; aber natürlich hätte niemand vorausgesehen, dass sie heute in eben diesem Labor mit Handbohrer, Seitenschneider und Pinzette einer historischen Frage von äußerster Brisanz nachgeht. Einer der größten, der man in Deutschland nachgehen kann: Wo war eigentlich die Varus-Schlacht? „Das Thema“, sagt die junge Chemikerin, „ist schon sehr, sehr spannend.“

„Zur Erinnerung“ kann man nach über 2000 Jahren ja nun nicht mehr schreiben, nur soviel: Im Jahr 9 nach Christus gewannen die Germanen gegen Elitesoldaten der Weltmacht Rom unter dem Feldherren Varus die gleichnamige große Schlacht so deutlich, dass Rom danach den Versuch drangab, Germanien zur Provinz zu machen. Das Reich blieb am Rhein stehen. Diese Schlacht am Teutoburger Wald ist so etwas ist wie ein deutscher Gründungsmythos, ihre Lokalisierung aber bis heute weitestgehend unbefriedigend geblieben: irgendwo im Nordwesten Deutschland, höchstens noch Westfriesland.

Der Ort der Schlacht wurde schon vielfach gefunden: an 700 verschiedenen Stellen

Annika Diekmann füllt in einem Labor des Deutschen Bergbaumuseums in Bochum Säure in einen Probenbehälter.
Annika Diekmann füllt in einem Labor des Deutschen Bergbaumuseums in Bochum Säure in einen Probenbehälter. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Von Herzen streiten seit hunderten von Jahren daher Historiker, Hobbyhistoriker, Lehrer, Pfarrer und sonstige Bildungsbürger um den Ort des Geschehens mit der manchmal durchscheinenden Tendenz, ihn in der eigenen Stadt oder wenigstens der eigenen Gegend gefunden zu haben. Das gelang in all den Jahrhunderten rund 700 Mal. Und ja, Bochum, Dortmund, Duisburg und Unna stehen auch auf der Liste.

Jetzt also nimmt sich die Naturwissenschaft der Glaubensfrage an, und die Volkswagen-Stiftung finanziert die Untersuchung der Doktorandin Diekmann. Was sie aufzuspüren hofft, ist der „metallurgische Fingerabdruck“ der beteiligten Legionen. Sie untersucht 350 Fundstücke vom allerwahrscheinlichsten Schlachtfeld, dem in Kalkriese bei Osnabrück, um herauszufinden, ob dort Varus’ Legionen (Armeen) beteiligt waren, nämlich die 17., die 18. und die 19.

„Gürtelschnallen, Anhänger, Nägel, Ringe, Dinge, die man schnell verliert“

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Dazu nimmt sie – beispielsweise mit jenem Handbohrer – winzige Pröbchen von Metallgegenständen aus Kalkriese. „Gürtelschnallen, Anhänger, Nägel, Ringe, Dinge, die man schnell verliert“, sagt die 30-Jährige. Sie kommen in ein Bad aus Wasser, Salz- und Salpetersäure, lösen sich auf, und dann lässt sich die genaue metallurgische Zusammensetzung messen – eben jener Fingerabdruck.

Daraus kann man Schlüsse ziehen auf den Herstellungsort und das verglichen mit Funden an Orten, von denen man genau weiß, welche Legionen dort standen. Und es wird jetzt noch viel kleinteiliger: Weil im Tross jeder Legion eigene Schmiede und deren individuelle Altmetallbestände mitreisten für Reparaturarbeiten, wird der metallurgische Fingerabdruck im Zuge eines Feldzuges immer spezieller.

7000 Fundstücke bei Kalkriese beweisen zumindest eine große Schlacht

Helfer untersuchen eine Grabungsstelle auf dem Gelände in Kalkriese. Noch immer finden sie viele römische Relikte.
Helfer untersuchen eine Grabungsstelle auf dem Gelände in Kalkriese. Noch immer finden sie viele römische Relikte. © picture alliance/dpa | dpa Picture-Alliance / Friso Gentsch

In den 1990er-Jahren war man sicher, den Ort der Schlacht in Kalkriese gefunden zu haben: 7000 Fundstücke bewiesen einen großen Kampf hier zwischen Römern und Germanen. Heute ist das Gelände ein großes, attraktives (Freilicht)Museum. Letzte Sicherheit aber herrscht noch immer nicht, denn Jahre nach Varus kam noch der Feldherr Germanicus mit seinen Legionen des kriegerischen Weges, um das Schlachtfeld zu räumen.

In Roms Politik geschah anschließend, was auch in der Gegenwart nicht völlig unbekannt ist: Germanicus bekam als vermeintlich großer Sieger die Ehre eines Triumphzuges, und damit verschwand Rom gesichtswahrend aus dem germanischen Schlamassel.

Aus den Ergebnissen müssen Schlussfolgerungen gezogen werden

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Annika Diekmanns Forschungsarbeit wird damit nicht leichter. „Wird ein metallurgischer Fingerabdruck sowohl in Kalkriese als auch an einem von Varus’ Aufenthaltsorten gefunden, so kann dies bedeuten, dass Varus in Kalkriese war“, so die Chemikerin: „Es könnte aber auch bedeuten, dass die Legionen von Germanicus beim Passieren des Schlachtfeldes von Varus Gegenstände eingesammelt und dann bei Kalkriese wieder verloren haben.“

Sie hoffe, „erste Ergebnisse Ende des Jahres zu erhalten“. Sie seien dann wasserdicht, weil sie nach wissenschaftlichen Methoden erhoben wurden. Man sagt ja auch: Die Chemie muss stimmen. Etwaige Schlussfolgerungen müssten freilich „interdisziplinär kritisch diskutiert werden“. Klingt, ehrlich gesagt, nicht nach einem vorzeitigen Schluss der Debatte, wo Varus vor 2011 Jahren wohl war.