Essen. Dramatisch einbrechende Stadthaushalte lassen um die Kulturszene des Ruhrgebiets fürchten. Gefragt wäre jetzt gemeinsames koordiniertes Handeln - aber ausgerechnet die Kulturhauptstadt-Bewegung hat in dieser Hinsicht bislang noch recht wenig bewegt.
Die aufsehenerregendsten Bauten der Antike und des Barock entstanden immer in der Spätzeit – wenige Jahre bevor kein Geld mehr da war, die ganze Pracht zu bezahlen. So ähnlich kommt manch einem zurzeit das Ruhrgebiet auf der Startlinie der Kulturhauptstadt vor. Es grassiert die Sorge, dass der wahrlich vorzeigenswerten, spektakulär reichhaltigen Kulturszene des Reviers spätestens 2011 die Fundamente wegbröseln könnten. Und das Zittern wächst mit jedem neuen dreistelligen Millionenloch, das ein Stadtkämmerer nach dem anderen zwischen Duisburg und Dortmund in den vergangenen Wochen entdeckt hat.
Norbert Bude, Oberbürgermeister von Mönchengladbach und zugleich Chef des NRW-Städtetags, hat jüngst noch in der Zeitschrift„Politik und Kultur” betont, dass die Kultursparte ohnehin keinen sinnvollen Beitrag zur Sanierung des städtischen Haushalts erbringen kann. Dazu sind die Beträge – im Verhältnis zum Gesamthaushalt einer Stadt – zu gering. Bude warnt eindringlich davor, kulturelle Einrichtungen zu schließen. Denn damit drohe der Zusammenbruch des gesamten städtischen Gefüges, eine Verödung, eine „Enturbanisierung”. Schon jetzt sind die Kulturetats allerorten derart eingefroren, dass es schon schwer falle, die alljährlichen Tarifsteigerungen des öffentlichen Dienstes zu finanzieren: „Mehr Sparen geht nicht.”
Schon jetzt sind die Schwierigkeiten groß genug. Theater, Museen, Musikschulen und Bibliotheken an Rhein und Ruhr sind nach den Kürzungsrunden der vergangenen Jahre längst auf einem Niveau angelangt, ab dem eine fatale Abwärtsspirale droht: Wenn ein Theater anfängt, Stücke aus dem Spielplan zu streichen, kommen weniger Besucher. Wenn ein Museum nur noch den eigenen Bestand zeigt und keine Wechselausstellungen mehr, kommen immer weniger Besucher. Und wenn eine Bibliothek vorwiegend aus den Bestsellern von vorgestern besteht, kommen fast gar keine Besucher mehr.
Mit immer knapperen Etats wird es zudem immer schwieriger, Spitzenkünstler zu halten. Ein Stefan Soltesz, der das Essener Aalto-Theater zu einem der führenden Opernhäuser der Republik gemacht hat, wird leicht woanders einen Arbeitsplatz finden.
Die größte Chance für das Ruhrgebiet, die drohenden Folgen der städtischen Haushaltskatastrophen abzumildern, würde im gemeinsamen, koordinierten Handeln liegen. Doch in dieser Hinsicht hat ausgerechnet die Kulturhauptstadt-Bewegung bislang noch recht wenig bewegt. Mit dem Schwärmen von der „polyzentrischen Metropole” Ruhrgebiet ist sogar ein neuer Mantel gefunden worden, unter dem sich zur Not auch weiterhin nebeneinander herwurschteln ließe.
Revier-Kulturdezernent wäre die einfachste Lösung
Die einfachste Koordinations-Lösung hingegen wäre ein Kulturdezernent für das gesamte Revier. Und in Oliver Scheytt, der bis Ende 2010 noch Chef der Kulturhauptstadt-GmbH, gäbe es wohl auch jemanden, der sich von allen denkbaren Kandidaten am wenigsten gegen ein solch verantwortungsvolles Amt sträuben würde. Aber so weit geht der „Wandel durch Kultur und Kultur durch Wandel”, den sich die Kulturhauptstadt auf die Fahnen geschrieben hat, denn doch nicht: Jede Stadt hätte die Sorge, bei Entscheidungen eines zentralen Kultur-Zampanos schlechter wegzukommen als die Nachbarstadt.
So bleibt nur zu hoffen, dass sich im Ruhrgebiet wenigstens bei der Finanzierung von Kultur nach 2011 mehr Gemeinsamkeit einstellt. Schließlich werden Theater, Konzerthäuser und Museen ja auch gemeinsam genutzt. Not sollte nicht nur erfinderisch machen, sondern auch kooperativ. Sonst droht jeder für sich allein zu sterben.