Mülheim. Am Theater an der Ruhr entstand mit „Ich und andere Lügen” ein Jugendstück mit jungem Ensemble, eine Hymne auf das Großwerden. Regisseur Albrecht Hirche schickt das Publikum hinter die Bühne – das verspricht den Willen zur Wahrheit, zum Blick auf das Unbewusste.
Was verbirgt sich unter den überweiten Kapuzen der Generation Praktikum? Kinder, die möglichst schnell groß werden müssen, um als Partnerersatz zu funktionieren, um sich durch Turbo-Abi und Bologna-Studium zu katapultieren. Beschleunigung überall, wo man hinsieht. Nie – so scheint es – war die Jugend stärker determiniert. Wer unter ihnen „Ich will” sagt, läuft Gefahr zu lügen oder naiv zu sein.
Am Theater an der Ruhr entstand dennoch ein Jugendstück mit jungem Ensemble, eine Hymne auf das Großwerden. Selbst wenn „Ich und andere Lügen” erst einmal am Nullpunkt der Illusionen ansetzt: Regisseur Albrecht Hirche schickt das Publikum hinter die Bühne – das verspricht den Willen zur Wahrheit, zum Blick auf das Unbewusste.
Und so wird auch das Spiel der sieben Darsteller, Profis aus dem jungen Ensemble und Laien, eine Mischung aus Selbstoffenbarung und Dressur. Sie wandeln am Grad zwischen Figur und eigener Person. In Kapuzenpullovern rennen sie um bunte Plastikeimer, eine Stimme aus dem Off dirigiert – Assoziationsspiel ist angesagt: „Mutter, Jungs, Zahnspange, Nutella” dröselt die Welt der Jugendlichen auf. Franka fühlt sich zu hässlich: „Wer gut aussieht, ist besser als der, der schlechter aussieht” – im Rückzugsraum „Kapuze” wird abgewogen. Wer sich traut, Gesicht zu zeigen, wird beurteilt: „Marcos Nase zeigt, dass er Einzelgänger ist”. Aus Identität wird – gruppendynamisch viel geschmeidiger – Identifikation. Wird Uniformität: Hirche lässt die Situation unter den Jugendlichen zuspitzen als Franka allmählich ausgegrenzt und von ihren Freunden in einem Turm aus Plastikeimern isoliert wird. „Wenn du raus kommst, töten wir dich”, flüstert Marco.
Versöhnliches Ende
Franka bricht aber aus und lebt. „Ich und andere Lügen” endet versöhnlich, als die Schauspieler Devendra Banharts Generationshymne „Cripple Crow” anstimmen und ihre kleinen Fehler offenbaren: Der eine findet sich zu blöd, zu klein, zu faul oder gar „zu preußisch”, wie Star-Regisseur und Theater-Chef Roberto Ciulli vor vorgehaltener Kamera gesteht. Die Botschaft: Es leicht nehmen. Und seltsam, aber wahr: Niemand unter den Geständigen fühlt sich an diesem Mittwochabend zu groß.