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Essen. Diplomaten haben im Fall des nach Armenien abgeschobenen 18-Jährigen Harut Vardanjan vermittelt. Der erfolgreiche Schüler war einen Tag vor der letzten Prüfung für die Fachoberschulreife abgeschoben worden. Die Deutsche Botschaft in Eriwan will ihm nun helfen und dem Visum-Antrag zustimmen.

Er selbst mag es noch gar nicht glauben, aber drei Tage nachdem die WAZ über den nach Armenien abgeschobenen 18-jährigen Harut Vardanjan berichtete, mehren sich die Anzeichen, dass der Junge aus Ostwestfalen vielleicht schon bald wieder nach Deutschland zurückkehren kann. Diplomaten haben sich inzwischen für den jungen Mann eingesetzt, aber auch Mitglieder des NRW-Petitionsausschusses.

Verhaltene Freude

„Ich glaube es erst, wenn ich wieder da bin!”, erklärte Harut am Mittwoch der WAZ am Telefon. Harut war am 19. Mai, in der Nacht vor seiner letzten Prüfung für die Fachoberschulreife, von Mitarbeitern der Ausländerbehörde und Polizisten aus seinem Bett geholt worden und zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder Tigran in ein Flugzeug Richtung Armenien verfrachtet worden. Die Familie hatte elf Jahre in Kirchlengern gelebt, Harut, Klassenbester an der dortigen Erich-Kästner-Gesamtschule, war auf dem Weg, sein Abitur zu machen.

Noch verhalten klingen auch seine Lehrer und Rektor Eberhard Baecker. „Wir freuen uns, aber noch ein bisschen zögerlich. Wir wissen noch nicht, wie viel Substanz die gute Nachricht hat.” Die deutsche Botschaft in Eriwan hat inzwischen auf diplomatischem Weg bestätigt, man sei bereit, einem Visumsantrag Haruts zuzustimmen und ihm zu helfen.

Ein Anwalt soll ihn vom Militärdienst freikaufen

Es wird ihm empfohlen, sich einen armenischen Anwalt zu nehmen, der ihn vom Militär freikauft. Dann werde Harut einen armenischen Pass erhalten, der wiederum für den Visaantrag nötig ist.

„Wie ich erfahren habe, gibt es in Armenien ein Freikaufgesetz. Ein gängiges Verfahren, sich vom Militär befreien zu lassen”, erklärt Roland Drossert, Haruts früherer Klassenlehrer.

Sein Lehrer Drossert, der die aktuellen Fotos seines Schülers gesehen hat, die bei einem Besuch der WAZ in Armenien entstanden sind, war „total erschrocken” darüber: „Er ist abgemagert, sieht eingefallen aus!” Heute hat Harut einen Musterungs-Termin für das Militär. Vor dem Hintergrund der neuesten Entwicklung hat Drossert ihm geraten, dem fernzubleiben. Ohnehin befinde sich Harut seit Ende letzter Woche in einem sehr schlechten Zustand. Er habe am Telefon geweint, und auch bei einem Gespräch mit der Sozialpädagogin der Gesamtschule, Magret Albsmeier, „depressiv” gewirkt.

Trotz dieser Sorge keimt im ostwestfälischen Kirchlengern zaghaft Freude auf. Mit dem für Harut in den letzten Monaten gesammelten Geld will die Erich-Kästner-Gesamtschule den Anwalt, den Freikauf vom Militär und den Rückflug nach Deutschland bezahlen. Die Vorbereitungen dafür laufen schon. Denn Haruts Familie könnte das Geld nicht aufbringen. Als der im Telefonat mit unserer Redaktion von den 200 Euro für den Freikauf vom Militär erfuhr, reagierte er bedrückt: „Woher sollen wir das Geld nehmen?”

Die Schule hält für ihn einen Platz frei

Wenn alles gut läuft, wird Harut nun seine Ausbildung beenden können, sein Abitur machen und vermutlich auch noch in Deutschland studieren. Die Ausländerbehörde des Kreises Herford hatte kürzlich nach starkem öffentlichen Druck Haruts Abschiebung auf einen Tag begrenzt. Die Gesamtschule hält für ihn einen Platz in der elften Jahrgangsstufe frei.

„Die Klassenkonferenz hat ihn versetzt, weil er selbst mit einer Fünf in der verpassten Matheprüfung die Qualifikation erreicht hätte”, so Schulleiter Baecker. Harut könnte also von heute auf morgen wieder am Unterricht teilnehmen. „Aber wir gehen davon aus, dass es wegen seiner traumatischen Erfahrungen ein bisschen dauern wird”, sagt Baecker. Und noch einer wartet auf Harut: sein Freund Rodi. Dessen Mutter, Barbara Marten, will Harut bis zum Abitur aufnehmen: „Ich kenne ihn gut. Ich freue mich!”