Datteln/Waltrop. Einen Tag nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Münster geht auf der Kraftwerksbaustelle von Eon der Betrieb ganz normal weiter. Von einem möglichen Baustopp ist nichts zu merken. Manche Anwohner stört das auch nicht sonderlich.
Bagger kriechen über das Gelände, Kräne hieven Metallteile gen Himmel und Arbeiter, die sich gegenüber dem gigantischen Kühlturm wie orangefarbene Ameisen ausnehmen, wuseln wie selbstverständlich durcheinander. Der Dattelner Süden am Tag nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Münster. Das Urteil, das den Bebauungsplan für unwirksam erklärte. Von Baustopp am Eon-Kraftwerk keine Spur.
"Da dürfen wir keinen Kommentar zu abgeben"
Alles wie immer also? Etwas wirkt anders. Vor Tor eins der Baustellenzufahrt stehen zwei Männer in dunkelblauen Uniformen. Ein Schriftzug auf dem Rücken weist sie als „Feuerwehr” aus. Männer von der Betriebssicherheit, wie sich herausstellt. Mit rot-weißen Hütchen haben sie die Ein- und Ausfahrt zur Baustelle einspurig gemacht. So ist's einfacher zu kontrollieren, wer rein darf. Journalisten dürfen nicht. Ob sie immer hier stehen? Die Männer wechseln einen Blick, dann sagt einer: „Da dürfen wir keinen Kommentar zu abgeben.” Beim „Energietreff” gebe es Auskünfte.
Ein guter Tipp. Denn von dort, einem für Besucher eingerichteten Treffpunkt, lässt sich die Baustelle viel besser beobachten: Das Stahlgerüst, das den Kessel umrahmt wie ein roter Käfig. Das Dach, das daneben liegt und aussieht wie ein überdimensionaler Schildkrötenpanzer.
Gassi gehen im Schlagschatten des Kühlturms
Im Schlagschatten des 180 Meter hohen Kühlturms, der sich bereits in voller Größe erhebt, gehen Petra und Siegwald Thiele gerade mit ihren beiden Hunden Gassi. „Das Kraftwerk stört mich nicht”, sagt Petra Thiele. „Wo soll's denn hin?”, fragt ihr Mann. „Lieber hier, wo nicht so viele Leute wohnen, als in einer Großstadt.” Wenn kein Strom aus der Steckdose komme, sei das schließlich auch nicht schön, fügt der 51-jährige Dattelner hinzu und regt sich auf. Über diejenigen, die den Antrag gestellt haben, der nun nichtig sei. Über diejenigen, die über den Antrag entschieden hätten. Oder über Leute, die immer gegen alles seien.
Diese Leute, das sind Marieluise und Heinrich Greiwing. Das Ehepaar war gegen den Energieriesen Eon vor Gericht gezogen – und hat gewonnen. Am Donnerstag knallten die Sektkorken, gestern schotteten sich die Greiwings gegenüber der Öffentlichkeit ab. „Ich bitte um Verständnis”, wehrte ihr Berliner Rechtsanwalt Philipp Heinz die Kontaktanfrage dieser Zeitung ab. Über die Familie sei mehr hereingebrochen als gedacht. Es habe „diverse Anfeindungen” gegeben von Leuten, „die sich vom Kraftwerk Geschäfte erhoffen”.
Die Juristen sitzen zusammen
Die Kläger wollen also vorerst keine Stellung nehmen, die Arbeiter auf der Kraftwerksbaustelle dürfen nicht. „Es gibt keine Statements von Mitarbeitern”, erklärt Franzisika Krasnici aus der Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens und wedelt mit einem faxfrischen Zettel. Darauf steht wortreich, was ohnehin zu sehen ist – dass es erst einmal weitergeht wie bisher. Ebenso wie die Stadt Datteln sieht sich Eon auf der sicheren Seite, wenngleich auf die Urteilsbegründung des Oberverwaltungsgerichts gewartet wird. „Unsere Juristen sitzen zusammen”, sagt Krasnici. Das weitere Vorgehen werde „eruiert”.
Wie es weitergeht, würde Jochen Schäfer auch gerne wissen. Der 48-jährige Waltroper kommt gerade aus dem nahegelegenen Baumarkt. Muss es abgerissen werden?, fragt sich der Bautechniker. „Da werden ja schon ein paar Millionen in den Sand gesetzt worden sein. Zahlt das dann der Steuerzahler?” Respekt hat er aber vor dem Ehepaar Greiwing; „Das war mutig. Die haben Schneid. Hut ab vor der Familie.”
Umweltpreis von RWE
Ursula Salbreiter hat von ihrem Fenster Ausblick auf das Steinkohlekraftwerk. Aber es stört sie nicht. „Wir Dattelner sehen das wohl etwas gelassener. Wenn's hier nicht gebaut wird, wird's woanders gebaut. Aber eigentlich müssten Sie meinen Mann fragen – der ist gerade drüben und schaut sich die Baustelle an.” Den späten Zeitpunkt des Urteils, den findet die 58-Jährige allerdings „ein wenig lustig”.
In die Kategorie lustig fällt wohl auch, dass die Greiwings mit der Bürgerinitiative BiB für ihr besonderes Engagement 2007 einen regionalen Umweltpreis gewonnen haben – gestiftet von RWE.