Duisburg. . Die Duisburger Staatsanwälte halten an ihrer Anklage fest. Nun muss das Oberlandesgericht über einen Loveparade-Prozess entscheiden
Gibt es doch noch eine Chance auf ein Loveparade-Verfahren? Am Tag, nachdem das Duisburger Landgericht die Anklage zurückgewiesen hat, streiten sich die Juristen – die Opfer leiden. Bis zu einer endgültigen Entscheidung, die nun das Oberlandesgericht Düsseldorf treffen muss, wird es mehrere Monate dauern.
Das sagen die Staatsanwälte
Sie widersprechen dem Gericht vehement: Die von den Richtern angeführten Zweifel am Gutachten des Panikforschers Keith Still seien „nicht gerechtfertigt“, sagte Anna Christiana Weiler, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Duisburg. Still habe nachvollziehbar dargelegt, dass die maximale Durchflusskapazität von Besuchern im Karl-Lehr-Tunnel bei der Planung und Genehmigung der Veranstaltung nicht beachtet worden sei. Das Gutachten halte man weiter für geeignet.
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Zudem sei es nicht das Hauptbeweisstück, wie die Richter sagen, die einen Mangel an anderen „tragfähigen Beweismitteln“ beklagten. „Wir haben in der fast 600-seitigen Anklageschrift allein auf 32 Seiten Beweismittel aufgelistet“ sagte Weiler der WAZ. Zu den Beweisen zählten etwa die Aussagen von 149 der insgesamt 3400 im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen. Hinzu kommen 400 Urkunden und Schriftstücke sowie 1000 Stunden Videomaterial.
Die Ermittler werfen den Richtern vor, sie hätten ein eigenes Gutachten in Auftrag geben müssen, wenn sie an dem von Keith Still Zweifel hegten. Das sei im derzeit laufenden Zwischenverfahren „gängige Praxis“. Die Nichtzulassung des Hauptverfahrens sei „nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft“, so Weiler. Man setze nun alles daran, dass das Hauptverfahren noch eröffnet wird. „Auch im Interesse aller Hinterbliebenen und Betroffenen.“
Das sagen die Richter
Darüber muss nun der dreiköpfige Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf entscheiden. Das Gericht erklärte allerdings gestern, dass die Bearbeitung angesichts des Umfangs der Unterlagen „mehrere Monate“ dauern werde. Denn der Senat sichtet nicht nur den 460-seitigen Entschluss auf Nichtzulassung der Duisburger Strafkammer, er muss das komplette Aktenmaterial durcharbeiten.
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Am Ende kann das OLG die Entscheidung der ersten Instanz bestätigen – das wäre endgültig. Es kann aber auch ein Verfahren gegen alle oder nur einzelne Beschuldigte anordnen. Dieses würde dann üblicherweise wieder vom Duisburger Landgericht geführt werden.
Dieses ist der Auffassung, dass ein neues Gutachten einzuholen, in dieser Phase des Verfahrens „von Gesetzes wegen untersagt“ sei. Zwar dürfe das Gericht bei seiner Bewertung „einzelne Beweiserhebungen anordnen, es könne aber nicht das zentrale Beweismittel durch ein neues ersetzen“.
Das sagen die Opfer
„Als wären unsere Töchter noch mal getötet worden!“ Als „Ohrfeige“ bezeichnen die Eltern der beiden spanischen Todesopfer Clara und Marta die Entscheidung des Gerichts. Sie zeigten sich von den deutschen Gesetzen, „ungeeignet für ein modernes Land wie Deutschland“, tief enttäuscht. Es seien Grundrechte verletzt worden. „Die Antwort der Justiz“, schreiben die Eltern, „kommt spät und ist falsch.“ Nach Meinung der spanischen Hinterbliebenen „hat das Landgericht Duisburg Angst vor den Mächtigen gehabt“ und die Opfer „vernachlässigt“.
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Das sagen auch die Eltern eines 25-Jährigen aus Hamm, der bei der Loveparade starb. Der Gerichtsbeschluss, von dem sie aus den Medien erfuhren, sei „eine Katastrophe nach der Tragödie“, sagten sie dem „Westfälischen Anzeiger“. Die Angehörigen hätten im Falle eines Prozesses daran teilgenommen: „Wir hätten uns die Menschen, die für den Tod unseres Jungen mitverantwortlich sind, anschauen wollen.“ Nun aber könnten sie nicht abschließen: „Wir sollen wir jemals Ruhe finden?“
Solche Gefühle bestätigt der Dortmunder Traumaexperte Ulrich Zielke. Es könnten nun alte Wunden wieder aufreißen. Gerade Menschen, denen es bislang nicht gelungen sei, Abstand zu den Ereignissen vor sechs Jahren zu gewinnen, „könnten die Gefühle von Wut und Ohnmacht als erneute Traumatisierung erleben“.
Wie Nicole Ballhause aus Essen: Die Sicherheits-Mitarbeiterin der Loveparade schickte am 24. Juli 2010 die Besucher auf den gefährlichen Weg zum Festivalgelände, kämpft seither mit Schuldgefühlen. „Die möchte ich endlich loswerden“, sagte sie dem WDR. Nun aber fühle sie sich, „als ob nur ich die Schuld habe“.