Duisburg. . Wer trägt Schuld an der Loveparade-Katastrophe? Die Frage wird wohl nicht vor Gericht geklärt. Eine Entscheidung, die für unser Rechtssystem spricht.
Fünf Jahre hat die Justiz in Duisburg ermittelt, gut 3500 Zeugen wurden gehört, mehr als 44.000 Seiten Akten gefüllt - und am Ende gibt es keinen Schuldigen? Der Beschluss des Landgerichts Duisburg, zur Loveparade-Katastrophe keine Anklage zuzulassen, hat viel Kritik ausgelöst. Von "ekelhaft" bis "völlig unverständlich" reichen die Reaktionen. Doch es gibt auch Stimmen, die für Verständnis werben.
"Das ist eine mutige Entscheidung des Gerichts", meint Gereon Wolters, Professor für Strafrecht an der Ruhr Universität Bochum. "Ich glaube nicht, dass sich das Gericht die Entscheidung leicht gemacht hat. Die Kammer hat jetzt natürlich den 'schwarzen Peter', aber sie dürfte dem öffentlichen Druck standhalten." Dass ein Gericht einer Anklage der Staatsanwaltschaft nicht folgt, sei in Deutschland "sehr selten". In manchen Fällen sei eine solche Entscheidungen ein Beweis für die Rechtsstaatlichkeit eines Landes, meint Wolters: "Wir wollen alle einen Schuldigen, aber wenn wir keinen finden, dann dürfen wir auch keinen erfinden".
Auch eröffnete Prozesse brachten keinen Frieden
„Die Nichtzulassung der Anklage ist eine Bankrotterklärung der Justiz", kritisierte am Dienstag indes der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum, Partner einer Düsseldorfer Anwaltskanzlei, die mehrere Nebenkläger im Loveparade-Verfahren vertritt. Angehörige hätten "einen Anspruch darauf auch im Andenken an ihre Toten, dass die Sache jetzt nicht zu den Akten gelegt wird", forderte Baum.
Es finden jedoch einige Beispiele in der deutschen Rechtsgeschichte, die zeigen, dass auch eröffnete Strafprozesse nach Katastrophen keinen Frieden brachten - oder die erhoffte Genugtuung über das Urteil: Der Prozess zum Flughafenbrand in Düsseldorf vom 11. April 1996 mit 17 Toten und 88 Verletzten wurde nach fünf Jahren eingestellt; es gab nur Geldauflagen, die Schuldfrage konnte nicht eindeutig geklärt werden. Der Prozess zum Einsturz der Eislaufhalle von Bad Reichenhall vom 2. Januar 2006 endete für drei der Angeklagten mit Freispruch. Auch das Verfahren um das ICE-Unglück von Eschede vom 3. September 1998, bei dem 101 Menschen ums Leben kamen, wurde nach acht Monaten eingestellt. Es sei letztlich nicht nachzuweisen gewesen, wer genau die individuelle Schuld trage.
Bei der Loveparade läuft es womöglich auf das gleiche hinaus: Fehler Beteiligter haben sich am 24. Juli 2010 derart kumuliert, dass das Unglück seinen Lauf nahm. Doch das Gericht muss den zehn Beschuldigten ihre Schuld am Tod von Loveparade-Besuchern jeweils individuell nachweisen. Nach Auffassung der Kammer am Landgericht Duisburg sei absehbar, dass sich dieser Beweis nicht führen lasse. Für Prof. Gereon Wolters ist dieses juristische "Zwischenverfahren" - bei dem man als Richter zu prüfen habe, ob die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung größer ist als die eines Freispruchs - eine notwendige Filterfunktion des Rechts: "Letztlich schützt es uns davor, zu Unrecht angeklagt zu werden". Ein Gericht habe auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den Beschuldigten.
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