Duisburg. Kein Gerichtsverfahren zur Loveparade-Katastrophe. Angehörige reagieren geschockt. Auch der ehemalige Oberbürgermeister Adolf Sauerland äußert sich.
Edith Jakubassa und Friedhelm Scharff saßen Dienstagmorgen um halb sieben in ihrer Wohnung in Hochheide am Frühstückstisch, als die Nachrichten im Radio vermeldeten, dass der Loveparade-Prozess geplatzt sei. „Wir dachten erst, wir hätten uns verhört. Als wir es dann realisierten, hat es uns richtig aus den Socken gehauen“, erzählen die Eltern von Marina Jakubassa, die zu den 21 Toten der Loveparade-Katastrophe zählte und damals das einzige Opfer war, das aus Duisburg kam.
Kein Balsam auf die ewige Wunde
Natürlich sei die Nichtzulassung eines Hauptverfahrens durch das Duisburger Landgericht in all den langen Jahren des Wartens stets eine mögliche Variante gewesen. „Wenn der Tag dann aber wirklich da ist, fühlt es sich noch einmal ganz schlimm an“, sagt Scharff und fügt nach kurzem Innehalten hinzu: „Auf diesen Moment kann man sich gar nicht vorbereiten.“
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Allzu viel hatten sie sich von einem Prozess zwar nicht erhofft, sagt Marinas Stiefvater. Doch zumindest sollte die juristische Aufarbeitung vor Gericht so etwas wie Balsam auf eine Wunde sein, die sich auch fast sechs Jahre nach dem verhängnisvollen Tag am 24. Juli 2010 einfach nicht verschließen mag.
Sichtlich betroffen trat gestern Mittag auch OB Sören Link im Rathaus vor die Mikrofone und Kameras. Für ihn ist der Verfahrensstopp des Gerichtes eine Gratwanderung. Er ist Dienstherr der bislang sechs städtischen Beschuldigten, die nun wohl nicht angeklagt werden. Zugleich übernahm er für Duisburg nach der Abwahl Sauerlands ab 2012 stets Verantwortung für die Loveparade-Katastrophe, war Gesprächspartner für Opfer und Hinterbliebene.
Keine Antwort
„Ich bin kein Jurist und kann deshalb keine fachliche Einschätzung abgeben. Ich bin aber sicher, es wird in den nächsten Tagen viele geben, die die Begründung des Gerichts fundiert bewerten können“, sagte er zum Beschluss des Landgerichtes und ergänzte: „Aber ich bin ein Mensch. Und als solcher leide ich mit den Angehörigen, mit den Eltern, Partnern, mit den vielen Verletzten und Traumatisierten.“ Sie alle würden schwer daran tragen, „dass es auf die Frage, wer die Schuld an dieser Katastrophe trägt, noch immer keine Antwort gibt“.
Wer seinen Sohn, seine Tochter, sein Liebstes verloren habe, der frage nicht nach Verfahrensfehlern oder danach, warum ein Gutachten verwertbar ist oder nicht. Link weiter: „Jene dürfen Unverständnis äußern, dass es mehr als ein halbes Jahrzehnt brauchte, um diese Katastrophe aufzuarbeiten, ohne dass am Ende jemand strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden konnte.“ Für viele sei es ein Schlag ins Gesicht gewesen, dass die damalige Stadtspitze und der Geschäftsführer des Veranstalters nicht auf der Liste der Beschuldigten standen, so der OB. „So ist der heutige Tag für viele eine weitere Enttäuschung“, sagte Link zum Abschluss und verließ den Raum wortlos.
Adolf Sauerland äußert sich kurz
Auch die damalige Stadtspitze, der 2012 abgewählte Oberbürgermeister Adolf Sauerland, äußerte sich gegenüber der Redaktion nach langem Schweigen, wenn auch kurz: „Ich will dazu nichts sagen. Jetzt bewahrheitet sich, was ich damals gesagt habe“. Sauerland hatte eine persönliche Schuld und Fehler der Verwaltung stets verneint.
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Erschüttert und zornig zeigte sich auch der frühere Duisburger Feuerwehrmann Ralf Strutz, der mit einer Klagewegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gescheitert war: „Wenn man sieht, wie mit vielen Betroffenen bislang umgegangen wurde, kommt in einem sofort die Wut hoch.“ Er sei zwar kein Jurist, dennoch schreie die Ungerechtigkeit zum Himmel. „Für mich steht fest: Die ganze Sache stinkt. Das ist ein klarer Fall von Staatsversagen.“
Betroffenheit auch in der Duisburger Politik
Reaktionen zu dem Beschluss der Richter kommen auch aus der Politik. „Was man nicht versteht, kann man nicht kommentieren. Dass über eine Katastrophe, die 21 Tote, viele Verletze und Traumatisierte hinterlassen hat, kein abschließendes Urteil eines Gerichtes gefällt werden soll, ist unbegreiflich“, erklärte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Oliver Hallscheidt und erinnert daran, dass zumindest die Bürger mit der Abwahl Sauerlands die politische Verantwortung geklärt hätten. Peter Böttner aus dem CDU-Fraktionsbüro wollte die Entscheidung der Richter nicht kommentieren oder juristisch bewerten, die Reaktionen von den Betroffenen seien aber „menschlich nachvollziehbar“.
„Das ist der GAU für die Betroffenen“, meinte Martina Ammann-Hilberath für die Linksfraktion. Unverständnis äußern die Bündnisgrünen: „Die Entscheidung des Gerichts ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und der Angehörigen der Opfer“, erklärte die Fraktionssprecherin Claudia Leiße. Duisburg habe das Recht auf eine gründliche Aufklärung vor einem ordentlichen Gericht, zumal erst gar nicht gegen den Veranstalter, den damaligen Oberbürgermeister oder die Polizei ermittelt worden sei. „Jetzt sollen alle erhobenen Vorwürfe, Feststellungen und Behauptungen ungeklärt im Raume stehen bleiben. Das wäre ein harter Schlag gegen das Vertrauen in unseren Rechtsstaat“, so Fraktionsgeschäftsführer Gerd Schwemm.
Der FDP-Vorsitzende Thomas Wolters erklärte: „Viele Menschen hatten große Hoffnung in diese gerichtliche Untersuchung gesetzt, weil sie sich Aufklärung darüber erwarteten, wer für die dramatischen Ereignisse verantwortlich ist. Insofern ist auch nur zu verständlich, wenn die Einstellung der weiteren Verfolgung mutmaßlich Schuldiger nun mit teils großer Empörung aufgenommen wird.“
Eltern der spanischen Opfer empört
Die Eltern der spanischen Opfer Clara und Marta, äußern sich in einer Mail zu der Entscheidung des Gerichts. Sie sind entrüstet, weil sie sich in ihren Grundrechten beschnitten sehen: "Wir haben uns schutzlos gefühlt, weil unsere Anwälte in der Untersuchung nicht teilnehmen durften, weil nur der Staatsanwalt untersuchte."
Dem "deutschen Volk" danken die beiden Familien für das entgegengebrachte Verständnis und den Umgang. Es möge Einfluss nehmen auf die Regierenden.
"Unserer Meinung nach hat das Landgericht Duisburg Angst vor den Mächtigen gehabt und die Verletzen und Familien vernachlässigt. Das ist ungerecht und wir werden gegen diese Entscheidung Beschwerde einreichen. Bis Straßburg, wenn nötig."