Ruhrgebiet. . Im Ruhrgebiet ist es relativ einfach, bestreikte Zugverbindungen mit Bus, U- und Straßenbahn zu umfahren. Freilich: Man muss deutlich mehr Zeit einplanen und sich die passenden Anschlüsse vorher heraussuchen. Das ist nicht immer leicht. Die Strecke von Bochum nach Essen im Selbsttest.
Sie stehen in der Straßenbahn und reden von früher, denn früher war alles viel schlechter: „Damals kamen wir gerade aus dem Urlaub . . .“, erinnert sich eine junge Frau an gewiss schreckliche Dinge im Rahmen eines Lokführerstreiks; andere Straßenbahn, andere Frau, andere Zumutung: „. . . musste sogar bei einem Kollegen übernachten.“ An diesem vernieselten Donnerstagmorgen hat das Ruhrgebiet sein Thema, das ist der erneute Streik – den man in der Stadtlandschaft mit Bussen, U- und Straßenbahnen jedoch viel besser umfahren kann als auf dem Land.
Der einschlägige Versuch beginnt im Bochumer Süden um 9.05 Uhr und führt zum Arbeitsplatz in Essen-Mitte. 20,4 Kilometer. Sonst sind das 25 Minuten mit dem Auto – ohne Stau, also nie. 50 Minuten mit Bus und Zug, wenn die Anschlüsse sitzen. Die Eisenbahn mit der Straßenbahn zu umfahren, ist vielen eine gängige Übung: An Streiktagen habe man schon mal „bis zu zehn Prozent Zuwachs“, sagt Nils Hoffmann von der Essener Evag.
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Bahnpendler haben sich wegorganisiert
Seine Bogestra-Kollegin Sandra Bruns sagt, die Fahrzeuge würden dann zu Pendlerzeiten „richtig voll“, weil ja auch die verhinderten Bahnfahrer „zur gleichen Zeit fahren wie alle anderen Pendler“. Über 100 Bahnen und 200 Busse sind dann allein für die Bogestra unterwegs – und da soll man nicht nach Essen kommen?
Donnerstag, Tag 1 der Mutter aller Bahnstreiks, steckt voller Ungereimtheiten. So viele Bahnpendler haben sich wegorganisiert! Kein Gedränge am Bahnsteig – und in den Zügen, die fahren, viele freie Plätze. „Ich sitz’ tatsächlich im Zug, ich bin total geschockt“, sagt ein junger Mann im RE1 Richtung Ruhrgebiet in sein Handy. Händler in den Bahnhöfen klagen über Umsatzrückgänge, aber andere konnten lesen und haben vorausschauend Aushilfen abbestellt und, wenn man so will, kleinere Brötchen gebacken.
Flexible Fahrgäste
Zwei Linien und 22 Haltestellen später ist es an der Haltestelle „Bochum-Höntrop Kirche“ ein bisschen kalt und ziemlich fad. 9.55 Uhr, die halbe Strecke ist geschafft; wäre nicht wenigstens vorhin der harmlose Betrunkene in der Straßenbahn gewesen mit seiner entschlossenen Meinung über seine Mitfahrer („Ihr geht mir alle auf den Keks“ – darauf ein Paderborner!), es wäre rein gar nichts passiert. Drüben auf der anderen Straßenseite sind drei Bogestra-Mitarbeiter in gelben Warnwesten befasst mit einer Kundenbefragung, und ihnen sind durchaus morgens Bahnfahrer begegnet, die Haken schlugen: „Diese Frau, die von Essen nach Herne musste“, sagt Elvira Neyka. Da kommt auch schon der Bus nach Steele. . .
Fahrgäste, sagt Pro Bahn, seien heutzutage flexibler im Umgang mit Bahnstreiks: „Die intelligente Nutzung von Internet und Smartphones federt manche Härten ab“, so Sprecher Lothar Ebbers. Gestern lobt er auch das Konzept der Bahn AG: „Die Ersatzfahrpläne scheinen zu funktionieren. Es hätte schlimmer kommen können.“ Die Bahn habe vor allem Linien mit großen Fahrgastkapazitäten – etwa Doppelstock-Züge – mit nicht streikenden Lokführern besetzt.
Fünf bis sechs Stunden von Großenbaum nach Mengede
Und die sich mit dem Bus durchschlagen? Bekommen auf der VRR-Seite gezeigt, wie das geht: Selbst wer eine Fantasiestrecke eingibt, die man seinem ärgsten Feind nicht an den faltigen Hals wünschen würde, etwa von „Duisburg-Großenbaum Bahnhof Westseite“ nach „Dortmund-Mengede Amtshaus“, bekommt eine zugfreie Antwort: Es dauert fünf bis sechs Stunden, es fordert sechs bis neun Mal Umsteigen, es geht über Düsseldorf, Ratingen, Velbert, Hattingen, Bochum, es gibt mehr als genug Revier zu sehen – aber es geht.
Dagegen ist Bochum-Essen natürlich ein Klacks. Es waren 42 Haltestellen auf drei Bus- und zwei Straßenbahnlinien. Es dauerte 2:04 Stunden, je zur Hälfte Fahr- und Wartezeit. „Schon da?“, sagen Kollegen. Lesen Sie morgen: Die Lokführer streiken? Wir laufen! Scherz.