Frankfurt/Main. . Ein Arbeitgeber, zwei Gewerkschaften - das macht den Tarifstreit bei der Bahn so kompliziert. Mit dem bevorstehenden weiteren Streik lässt die Lokführergewerkschaft GDL den Konflikt nun vollends eskalieren.
Seit inzwischen vier Monaten ist die Auseinandersetzung zwischen der Bahn und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im Gang. Mehrmals schien eine Annäherung möglich - dann aber stoppte die GDL die Gespräche wieder. Der jetzt angekündigte gut viertägige Streik verstärkt den Druck auf die Bahn gewaltig. Aber auch die GDL muss den langen Ausstand rechtfertigen.
Worin besteht der Kern des Konflikts?
Die GDL will ihre Verhandlungsmacht in Tarifrunden ausdehnen. Ihr genügt es nicht mehr, nur für die rund 20 000 Lokführer Tarifregeln auszuhandeln. Sie erhebt Anspruch auf GDL-Tarifverträge auch für etwa 17.000 andere Eisenbahner. Darunter sind außer 8800 Zubegleitern auch Gastronomen in den Speisewagen, Lokrangierführer, Instruktoren, Trainer und Zugdisponenten (Planern). Für diese Berufsgruppen hat bisher allein die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Tarifverträge abgemacht.
Wie begründet die GDL diesen Anspruch?
Die Gewerkschaft beruft sich auf Artikel 9 des Grundgesetzes. Darin ist die Koalitionsfreiheit verankert - also auch das Recht, für alle Berufe Gewerkschaften zu gründen. Die GDL leitet daraus ab, dass sie für all ihre Mitglieder Tarifverträge abschließen darf - Stichwort: Tarifpluralität. "Dieses Grundrecht ist in Gefahr und damit die Funktion von Gewerkschaften an sich", stellte der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky fest.
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Was hält die Bahn dem entgegen?
Die Bahn wolle der GDL ihre Rechte nicht nehmen, erwidert der Konzern. Auch stelle niemand ihre Existenz infrage. Anders als von der GDL unterstellt, verbiete das Grundgesetz jedoch keine Spielregeln für Tarifverhandlungen zwischen einzelnen Gewerkschaften. Die Bahn hat von Anfang an klargemacht, dass sie verschiedene oder sich gar widersprechende Tarifverträge für ein und dieselbe Berufsgruppe unbedingt vermeiden will.
Wie soll das konkret gelingen?
Die Bahn plädiert ebenso wie die EVG und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) für das Mehrheitsprinzip: Es soll jeweils diejenige Gewerkschaft Tarifverträge aushandeln dürfen, die in der betreffenden Berufsgruppe die Mehrheit hat. Das wäre bei den Lokführern wie bisher die GDL, bei allen anderen aber die EVG. Die Berufsgruppe "Zugpersonal", bei der die GDL eine Mitgliedermehrheit von 51 Prozent reklamiert, gebe es so bei der Bahn überhaupt nicht, betont jedenfalls das Unternehmen. Die GDL wähle einen willkürlichen Zuschnitt aus mehreren Berufsgruppen.
Was steht eigentlich in dem jüngsten Vertragsentwurf?
Die Bahn hatte am Wochenende der GDL einen "Tarifvertrag zur Regelung tariflicher Verfahrensfragen" vorgeschlagen. Darin wird auf sieben Seiten detailliert festgehalten, wie sich EVG, GDL und Bahn bei Tarifverhandlungen eng abstimmen müssen und was bei Meinungsverschiedenheiten zu tun ist. Der Vertragsentwurf sieht auch ein Verhandlungsmandat der GDL für die Zugbegleiter vor.
Der springende Punkt jedoch: Sollten sich beide Gewerkschaften nicht über Tarifregelungen für diese Berufsgruppe verständigen, soll letztlich das Ergebnis der Verhandlungen mit der EVG gelten. Weselsky sprach daher von einer "Scheinzuständigkeit für Zugbegleiter", die die GDL nicht akzeptieren könne.
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Was kostet der bisher längste Lokführerstreik die Wirtschaft?
Die Bahn selbst kostet ein Streiktag mindestens einen einstelligen Millionenbetrag. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) warnte, bei einem ununterbrochenen Ausstand von mehr als drei Tagen seien in der Industrie Produktionsunterbrechungen zu erwarten. Die Schäden könnten dann schnell auf mehr als 100 Millionen Euro pro Tag steigen. Selbst unter günstigen Umständen - etwa einer frühen Streikankündigung - beliefe sich die Summe auf mindestens 50 Millionen Euro. (dpa)