Berlin. In einem Berliner Hotel verkündete GDL-Chef Claus Weselsky die Ablehnung eines erneuten Angebotes der Bahn. Dabei machte er der Arbeitgeberseite massive Vorwürfe und erhob sich zum Verteidiger des Grundgesetzes. Sein Pulver hat er nach dem kommenden Ausstand anscheinend noch nicht verschossen.

Blaulicht, Polizei. Streifenwagen und Motorräder, dazu zwei schwarze Limousinen mit verdunkelten Scheiben. Die Kameraleute und Fotografen vor dem Maritim-Hotel staunten nicht schlecht: Polizeischutz für den Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) – zu was so eine Streikandrohung doch führen kann. Am Ende war es nur falscher Alarm. Der Konvoi machte kehrt, es war wohl jemand anders. Claus Weselsky zog es vor, ganz im Stile eines Arbeitnehmervertreters im unscheinbaren Taxi vorzufahren – ohne Polizeischutz.

Für den anschließenden Teil hätte der Gewerkschaftsboss den aber sicher nur zu gern an seiner Seite gehabt. Im Blitzlichtgewitter und begleitet von einem halben Dutzend Kamerateams kämpfte er sich in den ersten Stock in den völlig überfüllten Raum, der für die Pressekonferenz vorgesehen war.

Weselsky betrat den Raum – und ging gleich wieder

Kaum hatte Weselsky ihn betreten, war er aber auch schon wieder weg. Gemeinsam mit seinen beiden Stellvertretern Lutz Schreiber und Norbert Quitter zog er sich in das Hotelrestaurant zurück und damit den Zorn der wartenden Journalisten auf sich. Zehn Minuten später waren die drei „Streikhähne“ zurück. Man habe sich kurz über das Angebot der Bahn beraten und sei zum dem einstimmigen Beschluss gekommen, dass es nichts mehr sei als der „hilflose Versuch eines Arbeitgebers“, der sich verrannt habe.

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Klar in der Sache, deutlich im Ton, niederschmetternd für alle Bahnfahrer. Zehn Minuten und einen Satz bis zum längsten Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn.

Den Rest seiner Ausführungen nutzte Weselsky zu harten Angriffen auf den Bahnvorstand, auf die Politik, auf die Medien, auf andere Gewerkschafter, auf ehemalige Kollegen. Der Rundumschlag saß. Ihm ginge es um die Verteidigung des Grundgesetzes und das wolle die Bahn mit ihrem Angebot außer Kraft setzen. Da machten auch die Medienvertreter große Augen. Ob ihn denn der Wunsch der Bundeskanzlerin, zu einer Schlichtung zu kommen, kalt lasse? „Man kann nicht schlichten über das Grundgesetz.“ Ob er denn nicht das Angebot der Bahn mit ausgehandelt habe? Er werde seine Grundrechte nicht an der Garderobe abgeben.

Weselsky verweist auf 100 Tage langen Bahnstreik

Der GDL-Chef als Verteidiger des wichtigsten Gesetzes der Republik. Ein großes Bild, das der 55-Jährige da von sich zeichnete. Ja, das Medienecho hinterlasse bei ihm Spuren. „Aber wir sind unseren Mitgliedern diesen Kampf schuldig.“ Kneifen käme jetzt nicht infrage. „Ich weiß nicht, ob es noch genügend Gewerkschaftsführer in Deutschland gibt, die dieses Charisma haben“, so Weselsky.

Genug? Nein, für den GDL-Chef noch lange nicht. Denn sein Pulver habe er auch mit dem längsten Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn noch nicht verschossen. Kühl verwies der Gewerkschaftsboss auf eine Tarifauseinandersetzung bei einer kleinen Bahn in Norddeutschland. Mehr als 100 Tage befanden sich die Arbeitnehmer damals im Ausstand.

Andeutungen über eine mögliche Ausweitung der Streiks machte Weselsky auch gegenüber dem "Hessischen Rundfunk": "Ich möchte nicht darüber nachdenken, bis Weihnachten zu streiken. Wir wissen, wie hart es ist, den Fahrgästen die Eisenbahn zu entziehen." Und der Berliner GDL-Chef Frank Nachtigall sagte der "Berliner Zeitung": "Den Begriff Eskalation mag ich nicht, er ist auch nicht angebracht. Es ist allerdings im Bereich des Möglichen, dass die nächste Aktion für eine noch längere Zeit angesetzt wird." (mit WE)