Mülheim. . Die Stadt Mülheim bittet Anwohner der Paul-Kosmalla-Straße zur Kasse, weil ihre Straße nach 115 Jahren fertiggestellt worden sei.
Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Haus gekauft. 20 Jahre wohnen Sie schon darin. Das Haus ist alt, wie viele in Mülheim aus der Jahrhundertwende. Wenigstens drei Generationen haben vor ihnen darin gewohnt, verschiedene Familien. Doch jetzt flattert ein Bescheid der Stadt ins Haus: Sie sollen „Erschließungskosten“ zahlen für ihr erworbenes Eigentum, das an eine Straße angeschlossen wurde – vor etwa 115 Jahren.
So ähnlich ergeht es derzeit den Anwohnern der Paul-Kosmalla-Straße und Velauer Straße, die dort teils seit Jahrzehnten leben. Zur Bürgerinformation am vergangenen Donnerstagabend in Heißen sieht man viele schlohweiße Haare. Generationen haben vor ihnen in den Häusern gewohnt, in manchen Fällen haben sie gar mehrfach den Besitzer gewechselt. Erschließungsbeiträge zahlte niemand. Ein Schwarzer-Peter-Spiel?
Das preußische Fluchtliniengesetz von 1875. . .
Nicht nur für Anwohner mag dies wie eine Posse klingen. Die Erklärungsversuche der Stadt für ein Jahrhundert altes Versäumnis sind langatmig, beginnen im Jahr 1875 mit dem preußischen „Fluchtliniengesetz“ und enden beim §127 des modernen Baugesetzbuches.
Demnach sei eine Straße erst fertig, wenn der letzte Randstein gesetzt sei, erläutert Klaus Schankat vom Tiefbauamt. Im Jahr 1961 habe zuletzt der Rat der Stadt auf einer zweieinhalbseitigen Liste über fertige Straßen befunden – die Paul-Kosmalla-Straße sei nicht dabei gewesen. Die Stadt schließt nun umgekehrt daraus: Die Straße sei eben nicht fertig gewesen.
Offenbar wirkte ein wenig preußisches Beamtentum
Doch fertig bis zum letzten Stein war hier wohl nie etwas, bis heute ist daran gebaut und umgebaut und erweitert worden. Ob noch ein Stein von damals neben dem anderen steht, ist schwer zu sagen.
Dabei können der Leiter des Planungsamtes, Felix Blasch, und Klaus Schankat vom Tiefbauamt nicht einmal etwas für diese Misere. Sie müssen die Suppe nur auslöffeln, die ein offenbar wenig preußisches Beamtentum ein Jahrhundert lang verschnarcht hat. Müssen in alten Akten der Stadt in Dachgeschossen nach Einträgen und vergilbten Fotos von Straßen graben, die zeigen, wann welche Straße in welchem Zustand war. Denn die Erhebung der Gebühren ist Bundesgesetz, eine kommunale Pflicht.
Hat die Stadt sich anderswo außergerichtlich geeinigt?
Am Katzenbruch in Speldorf haben sie es vor Jahren durchexerzieren müssen, berichtet Schankat. Schwere Fragen galt es zu klären: Hätte schon 1911 abgerechnet werden müssen, ist 1929 die Beitragsfreiheit zugesichert worden? „Alle Klagen wurden zurückgezogen“, so Schankat. Nur nicht: mit welchem Ergebnis. Hat die Stadt sich außergerichtlich geeinigt?
Die Paul-Kosmalla-Straße ist kein Einzelkind: 191 solcher und ähnlicher Fälle nicht eingeholter Erschließungsbeiträge liegen auf dem Verwaltungstisch. Schankat versucht zu beruhigen: „Die Gebühr wird sie nicht umbringen.“ Er rechnet mit Forderungen bis zu 3000 Euro – nicht Reichsmark.
>>> STADT FORDERT ZUSÄTZLICH ABGABEN
Auf die Anwohner der Paul-Kosmalla-Straße kommen zusätzliche Kosten zu. Diesmal nach Kommunalabgabengesetz. Denn die Straße wird erneuert. Anwohner: „Ich fühle mich von ihnen doppelt abkassiert“.
Nächster Info-Abend zur Eltener Straße und Lönsweg: Di. 11.12., 18.30 Uhr, Zur Alten Dreherei 11, Gebäude B, Raum 1.10.