Bottrop/Dorsten/Hünxe/Dinslaken. . In fünf Jahren schließen die letzten Bergwerke in NRW. Bis dahin wird noch tüchtig Kohle gefördert. Erdbebenwarten registrieren seit Januar auffallend viele Bergbau-Beben im Bereich des Bergwerks Prosper-Haniel in Bottrop. Laut RAG geht es um einen bestimmten Flöz. Beben dürfte es noch für Monate.

Nach wenigen Sekunden war alles vorbei. Doch der Schreck hielt umso länger an: „Lag noch im Bett und es wackelte ordentlich“, „Hatte das erste Mal seit über 30 Jahren Angst, dass das Haus zusammenbricht“, berichteten Augenzeugen, nachdem Ende Dezember in Haltern am See die Erde ungewohnt stark bebte. Ausgelöst durch den Bergbau. Während es dort seitdem weitgehend ruhig blieb, bebt die Erde im Raum Bottrop und Dorsten seit Januar ungewohnt oft. Nicht so stark, aber zum Teil mehrmals täglich.

Die Erdbebenwarte der Ruhr-Uni Bochum zählte von Januar bis Ende Februar 46 Erdbeben. Epizentrum: Dorsten. Die Erdbebenwarte der Uni Köln registrierte im gleichen Zeitraum 37 „seismische Ereignisse“ und verortet das Epizentrum jeweils in „Königshardt“; im gesamten Jahr 2013 wurde dieser Ort nur 30-mal genannt. In allen Fällen sind es „bergbauinduzierte“ Beben. Ausgelöst durch den Steinkohleabbau im Bergwerk Prosper-Haniel.

Erdbeben durch einen Abbau-„Endspurt“?

Stephan Heitmann vom „Initiativkreis Bergbaubetroffener“ in Bottrop interpretiert die Beben als Zeichen eines „Endspurts“. Ende 2018 muss auch Prosper-Haniel den Betrieb einstellen. Dann laufen die Kohlesubventionen bundesweit aus. „In dem Bergwerk lässt man jetzt keine Gelegenheit mehr aus, noch ein paar Abbau-Rekorde zu brechen“, glaubt Heitmann.

So hat es Klaus Wagner bereits erlebt, Gründer der Bürgerinitiative „BISBU“ im Dorstener Ortsteil Altendorf-Ulfkotte. „Bis zum Jahr 2005 haben wir vom Abbau bei uns nichts gespürt“, erinnert sich der 68-Jährige. Aber mit Inkrafttreten des letzten Rahmenabbauplans für das Bergwerk Lippe, das auf Druck der Bergbaugegner dann bereits Ende 2008 dicht machen musste statt erst Ende 2010, „ging der Ärger los. Da ist unser Dorf kaputt gemacht worden“. Zwar habe die RAG Gebäudeschäden damals zeitnah reguliert. Doch die Erde habe in diesen verbliebenen vier Jahren andauernd und spürbar gebebt, sagt Wagner. „Das war auch eine psychische Belastung“.

Screenshot.jpg
© Abbaugebiete im Bereich des Bergwerks Prosper-Haniel in Bottrop. Die hellgrünen Bereiche sollen noch erschlossen werden, in den dunkelgrünen wird aktuell Kohle gefördert. Pfeile geben die Abbau-Richtung an. (Screenshot: WE, Quelle: RAG/Bürger-Informations-Dienst)

Merkt man die Beben vor Ort derzeit überhaupt?

Erderschütterungen oberhalb der Grenze zur "Belästigung" 

Laut Messskala erreichte keine der Erdbewegungen im Raum Bottrop bis dato die Erdbeben-Stärke 3,0, wie im Dezember in Haltern. Statt dessen aber wackelte die Erde zeitweilig bis zu viermal innerhalb von 24 Stunden. Forscher sprechen von "ziemlich kleinen Beben". Aber bereits ab einer Magnitude 1,2 seien solche Beben an der Erdoberfläche zu spüren, als "sehr kräftige Schläge", beschreibt Prof. Klaus G. Hintzen, Leiter der Erdbebenwarte Bensberg der Universität Köln.

Die RAG wiederum überwacht den Bergbau anhand der "Erderschütterungen" an der Erdoberfläche. Die im Internet veröffentlichten Tabellen zeigen, die Werte liegen sehr oft über der in DIN-Normen als „Belästigung“ definierten Grenze von drei Millimetern pro Sekunde (Tageswert), bzw. 0,1 Millimeter (Nachtwert). Laut Seismologen ist der Umkreis solcher Beben deutlich kleiner, als bei natürlich Erdbeben, die sich meist in zehn bis 20 Kilometern Tiefe ereignen. Dafür aber wirkten Bergbaubeben mitunter stärker, weil die Quelle nur wenige Hundert Meter unter der Erdoberfläche ist.

RAG räumt Kohleabbau als Ursache für Beben ein

„Das Problem ist der Hochleistungsbergbau“, sagt Ulrich Behrens vom Vorstand des Landesverbands Bergbaubetroffener NRW. Die Sonderbetriebspläne erlaubten Prosper-Haniel sechs- bis sieben Meter Abbaufortschritt pro Tag. Auf 200 bis 300 Metern Breite. Je schneller es unten vorangehe, desto häufiger vibriere die Erde darüber. Problematisch seien zudem Abbaupausen, etwa an Wochenenden. „Jedes Anfahren der Schrämwalzen verursacht Probleme“, sagt Wagner.

Die Initiativen drängen deshalb seit Jahren darauf, „dass das Tempo unter Tage gesenkt wird“. Oder der Abbau kontinuierlich auf sieben Tage die Woche verteilt wird, nicht nur auf fünf. Zudem kämpfen die Initiativen für Entschädigungen für psychische Belastungen, die selbst diffuse aber eben wiederholt auftauchende Beben verursachen könnten. Zurzeit laufen mehrere Musterklagen. Weil die RAG in NRW Zahlungen verweigert, wie sie im Saarland zugesprochen wurden: „Weder Häufigkeit noch Intensität der Erderschütterungen im Ruhrgebiet sind mit denen im Saarland zu vergleichen“, erklärt RAG-Sprecher Christof Beike.

Auch interessant

Beben-Quelle in 1000 Meter tief liegendem Flöz 

Warum es nun zu den Beben bei Bottrop kommt: Laut Bergwerksbetreiber RAG unterfahre man derzeit im "Baufeld Haniel-West" sogenannte Abbaukanten. Ursache der Erdstöße sei der Abbaubetrieb eines Flözes, rund 1000 Meter unterhalb der Dinslakener Bergerstraße, westlich vom Flugplatz Schwarze Heide.

„Der Betrieb läuft mit einer gleichmäßigen Abbaugeschwindigkeit von 4 bis 4,5 Metern am Tag im 5-Tage-Betrieb“, erklärt RAG-Sprecher Beike. 2500 bis 3000 Tonnen Steinkohle werden alleine aus diesem Flöz pro Tag aus der Erde gegraben. Das gesamte Bergwerk fördert pro Jahr vier Millionen Tonnen Kohle. Dadurch entstehen Hohlräume, die die darüberliegenden Gesteinsschichten unter Spannung setzen. Brechen sie, bebt die Erde. Die Dorstener Bergbau-Initiative hat die geologische Situation mit einem Foto auf Ihrer Website verdeutlicht: es zeigt einen Schweizer Käse.

Beben könnten sich noch bis Herbst häufen

Bei der RAG räumt man ein, dass solche Erschütterungen „unangenehm und störend sind“. Zu verhindern seien sie „leider nicht“. Die stärksten bisherigen Erschütterungen habe man im unbebauten Bereich der Schwarzen Heide an der Stadtgrenze zu Dinslaken gemessen.

Anwohner im Umfeld von Prosper-Haniel müssen sich auf weitere Erschütterungen einstellen, heißt es bei der RAG: „Der Abbaubetrieb in Flöz G1 soll voraussichtlich im Oktober 2014 beendet sein“. Schäden an Gebäuden sind laut RAG "auf Grund der in bebauten Gebieten registrierten Stärke der Erderschütterung nicht zu erwarten".