Rheinberg. .
Gerda Kasubke ist eine Frau, die sich nicht leicht einschüchtern lässt. Aber wenn sie an einen ganz bestimmten Mittwochabend im Jahr 2008 zurückdenkt, wird ihr noch nachträglich ein bisschen mulmig. Regelmäßig mittwochs treffen sich Kunstbegeisterte in Gerda Kasubkes Keller, um mit dem Künstler Aloys Cremers zu malen. Eine tolle Runde, lustig, aufgeschlossen, lebhaft und laut. Bis ein lauter Knall sie verstummen ließ. Die Erde bewegte sich, die Kellerwand knackte und ächzte, bis sich ein fingerbreiter Riss zeigte - und dann war’s totenstill. Mal wieder hatte ein Erdstoß Rheinberg am Niederrhein erschüttert. Ursache: der Bergbau unter der Stadt.
Der Riss ist von der RAG geflickt worden. Aber wie steht’s mit den Rissen, die nicht sichtbar sind? Welche Folgen haben die ständigen bergbaubedingten Erdbeben für die Menschen selbst gehabt? Und daran schließt sich die Frage an, um die es seit gestern vor dem Rheinberger Amtsgericht geht: Haben die Betroffenen Anrecht auf Entschädigung wegen der Beben?
Die wenigen Stühle im Gerichtssaal sind sofort belegt, an den Fenstern, mitten im Saal und an der Tür drängeln sich insgesamt rund 50, 60 Zuschauerinnen und Zuschauer. Viele davon älter, sie müssen eine Stunde stehen.
Geschirr fällt aus dem Schrank
Geklagt hat ein Rheinberger, Jörg L., unterstützt wird er von der Schutzgemeinschaft Bergbaubetroffener, die darauf setzt, ähnlich wie im Saarland über ein entsprechendes Urteil eine Einigung mit der RAG zu erreichen (siehe Infobox). L. erzählt von Geschirr, das aus dem Schrank fällt, weil es durch die Erdbeben verrutscht ist, von einer Lampe, die eines Abends am Boden liegt, von unruhigen Nächten, in denen er nach den Erschütterungen senkrecht im Bett steht.
Was zumutbar ist und was nicht, muss das Gericht jetzt herausfinden. Grundlage ist Paragraf 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Danach kann der Eigentümer eines Grundstückes von dem Benutzer eines anderen Grundstückes einen Ausgleich verlangen, wenn von diesem aus unzumutbare Einwirkungen auf das eigene Grundstück ausgehen. Die Erschütterungen, die durch den Kohleabbau unter Rheinberg ausgelöst worden sind und die Lebensqualität mindern, könnten eine solche Einwirkung sein.
Nur, was ist zumutbar in einem Gebiet, das nach Recherchen der Richterin im Internet ohnehin eine aktive Erdbebenregion sein soll? Der Seismograf, der in Xanten steht, misst danach in der niederrheinischen Bucht pro Woche zwei bis drei schwache Beben. Muss die Schlussfolgerung deshalb lauten, dass die berühmte Zumutbarkeitsgrenze in Rheinberg höher liegen muss als im Saarland?
Der Kläger hat die Messdaten der Beben mit der Schwinggeschwindigkeit pro Sekunde angegeben. Eine Maßeinheit, die, so RAG, entscheidend für die Auswirkung von Erschütterungen auf Gebäude sei. Hier gehe es aber um die Folgen für die Menschen, da würden auch Angaben zu Dauer und Frequenz der Beben gebraucht. Die fügen sich in einem komplexen Berechnungsverfahren zum sogenannten Kb-Wert zusammen. Der aber fehlt in der Klageschrift. So sei es schwer möglich, die Rheinberger Verhältnisse mit denen im Saarland zu vergleichen. Die RAG hat die Zahlen bereits umgerechnet, Jörg L. schaltet dafür einen Sachverständigen ein. Die neue Stellungnahme soll bis 30. Januar vorliegen, die Entscheidung am 20. Februar verkündet werden.
Die Schadensersatzforderung von Jörg L. liegt bei gut 1000 Euro. Der ideelle Wert der Musterklage liegt allerdings höher. Behrens: „Es geht darum, zu zeigen, dass wir uns nicht alles gefallen lassen.“