Hamburg/Essen. Nachdem Polizisten in Hamburg von Randalierern angegriffen wurden, berichtet die Gewerkschaft der Polizei von ähnlichen Situationen in NRW. In Aachen etwa mussten sich Beamte nach einer solchen Attacke zurückziehen. Radikale Gegenmaßnahmen sind in Nordrhein-Westfalen aber nicht in Sicht.
Hamburgs Senat hat große Teile der Stadt zum „Gefahrengebiet“ erklärt. Der Begriff erinnert an die Sturmflut 1962. Doch 52 Jahre nach der Naturkatastrophe geht es der SPD-Alleinregierung unter Olaf Scholz um die Verhinderung von Gewalt-Szenen auf der Straße.
Seit einer Woche konnten in der HH-City bis zur Binnenalster und von den Landungsbrücken bis Altona Nord die hier wohnenden knapp 100 000 Bürger jederzeit von Polizei gestoppt, nach ihren Personalien befragt und nach Gegenständen durchsucht werden. Das alles ohne Verdacht. Erst am Donnerstag gab die Stadt bekannt, das "Gefahrengebiet" deutlich zu verkleinern.
Scharfe Maßnahmen sollen weitere Übergriffe verhindern
Den Hamburger Ausnahmezustand, mit lautstarkem Hubschrauberdröhnen als Begleitmusik, begründet der Senat mit Passagen im Landespolizeigesetz. Als auslösendes Moment gilt spätestens ein dramatischer Vorfall am Tag vor Silvester. 50 mutmaßliche Linksextremisten hatten auf der Reeperbahn angeblich die Davidwache angegriffen. Drei Beamte wurden schwer verletzt. Die Angreifer sollen aus der Hausbesetzerszene stammen.
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Scholz und sein Innensenator Neumann verteidigen die Gefahrengebiet-Anordnung genau so heftig wie es die oppositionelle Bürgerschafts-CDU tut. Linke, Grüne und FDP halten sie dagegen für unverhältnismäßig. Sicher ist: In keinem anderen Bundesland ist bisher so konsequent auf eine Kriminalitätslage reagiert worden, in der Polizisten zu Opfern geworden sind. Das Ziel: „Neuen Übergriffen“ auf die Ordnungshüter soll vorgebeugt werden.
Polizei in Aachen zogen sich nach Attacke zurück
Tatsächlich nehmen solche Angriffe bundesweit zu. Das hat kürzlich eine Umfrage erbracht. Auch in NRW. Vor wenigen Monaten ist es in Aachen zu einem dramatischen Vorfall gekommen.
26. Oktober 2013, 18 Uhr: In der Elsassstraße will eine Streifenwagencrew einen Mann wegen „Inverkehrbringen von Falschgeld“ zur Verantwortung ziehen. Der 21-jährige flüchtet. Als ihm ein Polizeibeamter zu Fuß folgt, beginnt eine 10- bis 15-köpfige Gruppe den Uniformierten zu jagen. Am Ende stehen 60 Bewohner des Viertels 20 Polizeibeamten gegenüber. Die Polizei zieht sich zurück. Sie habe die Lage „entschärfen“ wollen, erklärt sie.
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Seither ist Polizei in starker Formation regelmäßig in der Aachener Oststadt unterwegs. In den ersten vier Wochen nach dem Vorfall wurden 789 Personen überprüft, 32 wegen illegalen Aufenthaltes festgenommen, es gab 63 Strafanzeigen wegen Drogendelikten. Der Druck soll weitere Monate aufrechterhalten werden.
Der Landtag beschäftigt sich mittlerweile mit der Sache. Aber Düsseldorfs SPD-Innenminister Ralf Jäger will und kann nicht so weit gehen wie sein Hamburger Parteifreund. Denn eine Generalermächtigung für ganze Stadtteile und auf unbegrenzte Zeit, Unverdächtige anzuhalten, gibt es im NRW-Polizeigesetz genau so wenig wie in den Gesetzen anderer Bundesländer mit Ausnahme der Hansestadt.
Was in Hamburg möglich ist, geht in NRW nicht
Arnold Plickert ist Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) an Rhein und Ruhr und durchaus ab und an zu scharfen Worten bereit. Aber hier hält er die NRW-Linie für richtig: Was in Hamburg möglich sei, „können wir hier nicht“, sagt er, „aber es ist auch nicht nötig“. Das rechtliche Instrumentarium reiche aus. Auch die NRW-Polizei könne in gewissen Bereichen Personen verdachtsunabhängig anhalten, ihre Identität feststellen und durchsuchen. Dies sei allerdings anders als in der Hansestadt nur an Orten möglich, an denen Straftaten vermutet werden – in Rotlichtbereichen, der Drogenszene „oder wo gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen“ verstoßen werde. Plickert: „Das Verfahren ist im letzten Jahr in der Dortmunder Nordstadt mit Erfolg angewandt worden“.
Der GdP-Vorsitzende sagt, in Nordrhein-Westfalen gebe es nirgendwo eine Situation mit ähnlichem Hintergrund wie in Hamburg. Aber er räumt ein, dass auch in NRW solche Grenzen bald erreicht sein könnten.
Handys helfen bei der Mobilisierung gegen die Polizei
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„Aachen war schon ein Grenzbereich“. Der Vorfall sei fatal, „weil davon eine gewisse Signalwirkung ausgeht“. Im Moment gehe es noch um Einzelfälle. „Aber in bestimmten Stadtteilen möchten gewisse Jugendbanden für sich definieren, was Recht ist und wer einschreiten darf“. In Dortmund, „nachts um halb drei“, seien „die Kollegen auf der Einsatzfahrt zu einem Raubdelikt“ gewesen. „Sie wurden durch eine Straße nicht durchgelassen unter der Maßgabe: Hier bestimmen wir“. Plickert: „Das Problem ist das Handy. Sie können darüber mobilisieren. In siebeneinhalb Minuten haben Sie zwanzig Leute da stehen“.
Am Ende, so der GdP-Chef, „geht es immer wieder um die Frage der Personalstärken. „Wir machen 2,5 Millionen Überstunden in NRW. Wenn noch weiter abgebaut wird, müssen wir den Bürgern sagen: Wir sind am Ende“.