Dortmund. Beim Programmparteitag in Dortmund legten die politischen Senkrechtstarter fest, mit welchen Schwerpunkten sie in den Wahlkampf ziehen wollen: Flexible Schullaufbahnen, kleinere Klassen, elternunabhängiges Bafög. In Umfragen sind die Piraten mittlerweile an den Grünen vorbeigezogen.
Die Piratenpartei will bei der Landtagswahl in NRW vor allem mit dem Thema Bildung punkten. Das beim Programmparteitag in Dortmund beschlossene System der "flexiblen Schullaufbahn" sieht vor, das Sitzenbleiben praktisch abzuschaffen und feste Klassenverbände durch Kurssysteme abzulösen. Schüler mit Lernschwächen sollen nicht mehr eine Klasse, sondern nur einzelne Fächer wiederholen.
Für jedes Kind wollen die Piraten ein individuelles Lernprogramm festlegen. Allerdings plädierte ihr Spitzenkandidat Joachim Paul dafür, das Modell zunächst ausführlich und vorsichtig zu erproben. "Wir brauchen eine Politik der kleinen Schritte", sagte er der WAZ.
Freie "Bürgeruniversitäten" gefordert
In den Grundschulen will die Partei nur noch maximal 15 Kinder pro Klasse zulassen. Neben kostenlosen Kita-Plätzen fordern die Piraten, Bafög an alle Studenten unabhängig von der finanziellen Situation ihrer Eltern zu zahlen. Studiengebühren sollen nicht wieder eingeführt werden. Um die Weiterbildung zu stärken, sollen flächendeckend "freie Bürgeruniversitäten" an Rhein und Ruhr entstehen.
In der Innenpolitik lehnen die Piraten verdachtsunabhängige Online-Überwachung ab und wenden sich gegen mehr Video-Kontrollen. Stattdessen soll die Polizeipräsenz an Brennpunkten der Kriminalität erhöht werden. Der Landtag soll künftig alle vier – statt bisher: fünf – Jahre gewählt werden. Eine Senkung des Wahlalters auf 16 sowie auf 14 Jahre bei Kommunalwahlen lehnte der Parteitag mit rund 400 Teilnehmern jedoch ab.
Kostenfreier Nahverkehr, aber kein Finanzierungsvorschlag
Auf der Tagesordnung stand außerdem die Forderung nach einem "fahrscheinlosen Nahverkehr". Dabei sollen Bus und Bahn frei benutzbar sein. Um dieses System zu finanzieren, sollen alle Bürger eine Abgabe zahlen müssen.
Trotz Kritik aus anderen Parteien verzichteten die Piraten auch gestern weitgehend auf konkrete Finanzierungsvorschläge für ihre Projekte. Stattdessen forderten sie erneut die "vollständige" Offenlegung des Landesetats. Die Kritik von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), der komplette Haushalt sei im Internet nachzulesen und "transparent", wiesen sie zurück. "Das ist absoluter Unsinn", sagte ein Redner.
In mehreren Positionspapieren, die dem Programm angehängt werden, beziehen die Polit-Neulinge hingegen klar Stellung zur Finanzpolitik und der Sanierung des Haushaltes. Ausgabenkürzungen greifen demnach zu kurz und sollen nicht "den Kern der Konsolidierungsbemühungen" bilden. "Die Piraten streben zusätzlich eine Erhöhung der Einnahmenseite an", heißt es in dem Papier. Die Vermögenssteuer bringen die Piraten in dem Zusammenhang ebenso ins Spiel wie eine Neuregelung für den ermäßigten Mehrwertsteuersatz.
Nach neuen Umfragen liegen die Piraten in NRW bei elf Prozent
Für großen Jubel unter den Piraten sorgte am Wochenende eine neue Umfrage zur Landtagswahl. Während sie in Umfragen bislang immer knapp über der Fünf-Prozent-Hürde lagen, sieht eine am Samstag veröffentlichte Umfrage die Partei bei elf Prozent und damit vor den Grünen. Bei der Wahl vor zwei Jahren erhielten sie noch lediglich 1,6 Prozent der Stimmen.
Eine bundesweit erhobene Umfrage attestierte den Piraten, dass sie sich zur Volkspartei mausern könnte. Nach einer am Sonntag veröffentlichten repräsentativen Emnid-Erhebung hat die Partei ein Wählerpotenzial von bis zu 30 Prozent. Fast jeder dritte Wahlberechtigte könne sich vorstellen, die neue Partei zu wählen. Eine große Mehrheit der Befragten sieht in der Piratenpartei eine klassische Protestpartei, die "ganz anders als die anderen Parteien" sei. Als zweitwichtigsten Grund für den Erfolg der Piraten sehen die Befragten das Image als "jung und wild". Die von der Partei als Markenzeichen propagierte Internetaffinität wurde erst an dritter Stelle der wichtigsten Eigenschaften genannt.
In der Sonntagsfrage kommt die Piratenpartei in der Emnid-Umfrage bundesweit auf 12 Prozent und damit auf einen Rekordwert. Die Grünen verlieren in der wöchentlichen Erhebung einen Punkt ebenfalls auf 12 Prozent. Dies ist der schlechteste Wert seit Februar 2010. Die SPD stagniert bei 26 Prozent. Damit hätte ein rot-grünes Bündnis keine Chancen. Die Unionsparteien erreichen in der Umfrage 35 Prozent (minus 1) und die FDP stagniert unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde bei vier Prozent. Die Linkspartei käme auf sieben Prozent. (mit Material von dpad)