Wetter. . An der Spitze der Bundes-FDP geht es drunter und drüber. Generalsekretär Lindner tritt überraschend zurück, der Parteichef wirkt angeschlagen, in Umfragen stürzen die Liberalen ab. Was denkt die Basis darüber? Wir haben FDP-Mitglieder aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis dazu befragt.

Sie können es nicht fassen, was ihre Parteispitze in Berlin da anstellt: Drei Damen und acht Herren aus dem FDP-Kreisverband Ennepe-Ruhr sitzen am Abend nach dem Lindner-Rücktritt in einer Runde. Sie sind, wenn man so will, die Seele der Partei. Sie halten ihre Köpfe hin für diese FDP, sie opfern Feierabende, Wochenenden und hören sich vor Wahlen das Geschimpfe auf den Marktplätzen an. Und jetzt das! Krisenerprobt sind sie als Liberale alle. „Aber das ist wohl die schwerste Krise, die wir je hatten“, unkt Gilbert Gratzel.

Seit 27 Jahren ist Gratzel in dieser Partei. „Ich habe viel erlebt“, sagt er. Die Zerreißprobe kurz nach dem Ende der sozial-liberalen Koalition; über 70 verlorene Wahlen Anfang der 1990er-Jahre. Als Liberaler macht man halt was mit. Nun aber, so sehen es die meisten hier, tut sich eine Schlucht auf zwischen denen vor Ort in Wetter, Witten, Hattingen, Schwelm („Wir sind Westfalen. Bei uns läuft alles unaufgeregt und gut“) und denen dort oben („Das ist eine tiefe Krise der Bundespartei“).

Ausgerechnet Christian Lindner tritt ab. Das tut dieser Basis weh. Lindner ist hier „der Christian“. „Der Christian hat immer gleich auf Fragen geantwortet“, schwärmt Ronald Mayer, ein Anwalt im dunklen Anzug. Auf den Christian lassen sie hier nichts kommen: bodenständig, fleißig, ehrlich, Hoffnungsträger, Denker, Leitwolf. Kein einziger sagt bei Cola, Bier und deftigen Speisen so etwas Nettes über Philipp Rösler. Der Vorsitzende wird respektiert. Aber verehrt wird er nicht und schon gar nicht geliebt. Auch wegen des Missgeschicks beim Mitgliederentscheid.

Vorsitzender ohne Stil

Alle sind sich einig: Die FDP-interne Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm war eigentlich eine grundgute Sache. „70 Gäste sind Ende November zur Informationsveranstaltung nach Herdecke gekommen“, schwärmt FDP-Kreisvorsitzender Michael Schwunk. Es ist ja nicht alltäglich, dass die kleine FDP große Säle füllt. Der Entscheid war „lebendige Demokratie“, so Schwunk. Andere Parteien trauten sich so etwas gar nicht. Und dann hat es ausgerechnet der Vorsitzende verbaselt, indem er Tage vorm Abstimmungsende das Ergebnis vorwegnahm.

Dafür rügen sie ihn: „Das tut man nicht“, heißt es. Und: „Das ist kein Stil.“ Noch etwas kommt den Freidemokraten hier seltsam vor. „Warum geht das eigentlich immer so schnell mit der Nachfolge?“, will Marcel Heinol von der FDP Hattingen wissen. „Um 9.35 Uhr tritt einer zurück, und um 10 Uhr weiß man, wer der Nachfolger ist“, pflichtet Gilbert Gratzel bei. Sie wissen nicht, was an ihrer Parteispitze geschieht, sie wissen nur: Es ist nicht gut. Aber es sind genau diese Leute aus den Stadträten und FDP-Ortsverbänden, die anschließend Antworten geben sollen. „Auf der Straße steht ja kein Rösler. Wir müssen die Menschen überzeugen“, ärgert sich Marcel Heinol. Seine Diagnose ist hart: „Laut Sonntagsfrage liegen wir auf der Intensivstation“.

Was bleibt, ist Hoffnung. Zum Beispiel, dass „der Christian“ nicht verschwindet („Er hat ja ,Auf Wiedersehen’ gesagt“). Und Hoffnung, dass es noch was wird mit der Umgestaltung der Partei. Hoffnungsträger kommen ja nicht alle Tage. Der Bundestagsabgeordnete Johannes Vogel, ein Liberaler der sozialen Sorte, glauben sie, könnte so einer sein.

„Krise“ ist an diesem Abend ein populäres Wort. Die Basis rückt enger zusammen, sagt „Jetzt erst recht“, kann sogar noch lachen über einen Satz von Gilbert Gratzel: „Wenn wir bei einem Schönheitswettbewerb anträten, würden wir nicht gewinnen. Aber unsere Seele ist herrlich!“