Berlin. Staub vom Bauernhof schützt Kinder vor Allergien und Asthma. Eine Expertin erklärt, was das für Familien, die in der Stadt leben, heißt.

Kinder, die auf dem Bauernhof aufwachsen, haben deutlich seltener Allergien oder Asthma. Seit Jahren arbeitet die Wissenschaft daran, diesen sogenannten Farmeffekt zu verstehen und für die Entwicklung neuer Medikamente zu nutzen. Prof. Bianca Schaub, Abteilungsleiterin der Pädiatrischen Allergologie am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München, erklärt, was den Schutzeffekt ausmacht.

Frau Prof. Schaub, wie gesichert ist es, dass der Farmeffekt vor Allergien schützt?

Bianca Schaub: Kinder, die auf dem Bauernhof aufwachsen, haben deutlich seltener Allergien oder Asthma. Dieser Effekt ist mittlerweile weltweit belegt. Es gibt dazu Studien aus Europa, Amerika oder auch China.

Was macht diesen Farmeffekt aus?

Schaub: Nach den Ursachen suchen wir seit langem. Zuerst dachte man, dass das Endotoxin, ein Bestandteil der Zellwand bestimmter Bakterien, dafür ursächlich ist. Und das scheint auch tatsächlich eine Rolle zu spielen. Aber wir wissen mittlerweile, dass noch weitere Substanzen im Staub eines Kuhstalls für diesen Effekt entscheidend sind, und zwar verschiedene Transportproteine. Diese Eiweiße können Moleküle binden und in die Zelle transportieren.

Der Farmeffekt hat also sprichwörtlich mit dem Bauernhof und Tierställen zu tun?

Schaub: Ja, es geht primär um Bauernhöfe, die Milchwirtschaft betreiben. Kinder von Bauernfamilien sind meist schon in der Schwangerschaft und auch direkt nach der Geburt mit diesen bestimmten Endotoxinen und Transportproteinen in Kontakt. Und das schützt sie offenbar.

Wie genau funktioniert dieser Schutz?

Schaub: Man muss wissen, dass unser Immunsystem zwei Arme hat: das angeborene Immunsystem, mit dem man auf die Welt kommt, und das sofort reagieren kann. Und das erworbene Immunsystem, das erst lernen muss, auf verschiedene Substanzen wie ein Allergen zu reagieren. Früher dachte man, dass allergische Reaktionen und auch Asthma allein Erkrankungen des erworbenen Immunsystems sind. Heute wissen wir, dass daran beide Arme des Immunsystems beteiligt sind.

Und hier kommt jetzt der Farmeffekt ins Spiel. Die frühe Exposition mit Endotoxinen und Transportproteinen am Bauernhof stimuliert das angeborene Immunsystem, das dann wiederum mit dem erworbenen Immunsystem interagiert. Die Arme tauschen miteinander Signale aus, die es schaffen, eine so balancierte Reaktion zu vermitteln, dass das Kind nicht krank wird.

Erforscht seit Jahren den Farmeffekt: Prof. Bianca Schaub, Abteilungsleiterin der Pädiatrischen Allergologie am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München.
Erforscht seit Jahren den Farmeffekt: Prof. Bianca Schaub, Abteilungsleiterin der Pädiatrischen Allergologie am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München. © LMU Klinikum München | Steffen Hartmann

Kann ich mit meinen Kindern nicht einfach Urlaub auf dem Bauernhof machen?

Schaub: In mehreren Studien ist in der Tat untersucht worden, ob auch eine partielle Exposition helfen kann. Was wir anhand der Ergebnisse wissen: Je häufiger die Exposition, desto besser der Schutz. Und: Wichtig ist die Exposition in früher Kindheit, vor allem in den ersten drei Lebensjahren. Am besten ist der kontinuierliche, regelmäßige Kontakt.

Was können Eltern von Stadtkindern dennoch aus dem Farmeffekt lernen?

Schaub: Der Farmeffekt stützt die Hygiene-Hypothese. Kinder brauchen früh verschiedene Stimuli für das Immunsystem. Das heißt, dass Kinder draußen spielen sollten, ihre Umgebung sollte nicht überhygienisch sein. Sie sollten sich viel bewegen und das Immunsystem früh trainieren. Auch eine gesunde, ausgewogene und vielfältige Ernährung kann dazu beitragen vor Allergien zu schützen. Darauf können alle Eltern achten, auch in der Stadt.

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Kann die Wissenschaft den Farmeffekt nicht nachbauen und vorbeugend als Medikament verabreichen?

Schaub: Daran wird weltweit intensiv gearbeitet. Und die Daten sehen vielversprechend aus. Etwa dazu, den Bauernhof-Staub künstlich zusammenzusetzen, um ihn etwa als Kapsel, Flüssigkeit oder Spray über die Schleimhaut aufnehmen zu lassen.

Für Schwangere etwa oder für Babys und Kleinkinder?

Schaub: Also zunächst müssen diese Präparate erst mal sicher sein. Und dann muss man sich gut überlegen, wem man sie geben könnte. Da geht‘s sicherlich vor allem um Prävention. Das ist ja das Ziel jedes Kinderarztes – zu verhindern, dass eine Erkrankung entsteht. Das ist aus meiner Sicht auch am wahrscheinlichsten. Es wäre aber interessant zu schauen, ob so etwas auch bei Menschen therapeutisch wirkt, die schon eine manifeste Erkrankung haben, also ein Asthma zum Beispiel.

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Wann könnte so etwas auf den Markt kommen?

Schaub: Man ist hier schon recht weit fortgeschritten. Wir hoffen, dass diese Substanzen irgendwann in die Anwendung kommen. Aber sie müssen noch die notwendigen regulatorischen Schritte durchlaufen.

Hat denn nur Stallstaub einen schützenden Effekt?

Schaub: Ein Teil des Effekts kann auch über Milch vermittelt werden. Weil Rohmilch aber Bakterien enthalten kann, die lebensbedrohliche Erkrankungen auslösen, empfehlen wir auf keinen Fall, diese roh zu trinken. Trotzdem arbeitet die Wissenschaft daran, den schützenden Effekt zu nutzen. Es soll eine prozessierte Milch hergestellt werden, die keine krankmachenden Keime enthält und trotzdem vor Allergien schützen kann.