Berlin. Wir haben Therapeuten gefragt, wie sie ihre persönlichen Krisen bewältigt haben. Ihren wichtigsten Rat können auch Laien umsetzen.

  • Sie haben Psychologie studiert und doch sind sie gegen Lebenskrisen nicht gefeit: Therapeutinnen und Therapeuten
  • Drei von ihnen berichten hier von ihren persönlichen Krisen – und wie sie sie bewältigt haben
  • Ein wichtiger Rat vereint sie alle und ist auch für Laien wertvoll

Scheidung, Nachbarschaftsstreit, Patienten in schweren Lebenskrisen, deren Schicksal einem nahe geht – auch Psychologen und Therapeuten sind vor Tiefpunkten des Lebens nicht gefeit. Und was man den Menschen in der Behandlung mit auf den Weg gibt, scheint plötzlich wenig hilfreich, wenn man selbst vor dem Abgrund steht. Hier berichten ein Psychologe und zwei Therapeuten von ihren persönlichen Krisen – und wie sie sie überwunden haben.

Psychologe plagten Selbstzweifel: „Bin ich ein schlechter Therapeut?“

„Es ist ein Ammenmärchen, dass Therapeuten keine eigenen Probleme haben“, weiß der Psychologe Dr. Claus Koch (74) aus eigener, schmerzvoller Erfahrung. Bei ihm waren es Ohnmachtsgefühle, die ihn überkamen, als er einen stark suizidgefährdeten Patienten behandelte. Zwar habe die Gefahr eines Suizides bald nicht mehr bestanden – allerdings habe er es nicht geschafft, dem Patienten aus seiner Medikamentenabhängigkeit zu helfen oder dabei, von zu Hause auszuziehen. Er habe sich immer wieder gefragt: „Woran liegt es, bin ich ein schlechter Therapeut, habe ich irgendwas übersehen? Was hätte ich vielleicht besser machen können? Mehr Druck ausüben?“

Dr. Claus Koch
Dr. Claus Koch ist Diplom-Psychologe und arbeitet mit Kindern und Jugendlichen. Er hat das „Pädagogische Institut Berlin“ mit Udo Baer gegründet.  © Stefan Gelberg | Stefan Gelberg

Mittlerweile habe er aufgrund seiner Berufserfahrung gelernt, realistischer mit solchen Fällen umzugehen. In schwierigen Zeiten helfen Claus Koch andere Menschen. „Das Gefühl, angenommen zu werden, ist unheimlich wichtig. Bei Menschen, die mir nahestehen, wie meiner Frau oder den Kindern, muss ich mich nicht groß öffnen mit dem, was gerade in mir vorgeht“, so Koch. Er fühle sich gehört und gesehen. Der Psychologe betont: „Viele unterschätzen, welche große Rolle das spielt, sich angenommen zu fühlen für die Person, die man ist.“

Nachbarschaftsstreit raubte Therapeuten den letzten Nerv: „Das war der Horror“

Auch wenn die Krise von Dr. Bärbel Wardetzki (72) nicht das Familiäre betrifft, spielte auch sie sich im eigenen Zuhause ab: Die Therapeutin lebt in einem Reihenhaus in München – irgendwann zog nebenan eine fünfköpfige WG ein. „Das war der Horror. Da musste ich viel an mir arbeiten“, erzählt sie. Die WG habe den Garten zur Feierzone gemacht, Gefühl für Grenzen und Respekt für andere sei nicht vorhanden gewesen, so Wardetzki. Auch andere Nachbarn hätten sich beschwert, aber nichts gesagt. Nicht so Wardetzki: „Ich habe viel durch diesen Konflikt gelernt: meine Position zu behalten und mich zu verteidigen. Dafür war das sehr lehrreich. Ich wohne hier allein, hätte ich einen Mann gehabt, hätten die viel mehr Respekt gehabt“, sagt sie.

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Die Therapeutin erinnert sich an ein Gespräch mit ihrem Nachbarn, bei dem sie gewaltfreie Kommunikation angewandt habe: „Ich habe ihm gesagt, wie es mir geht, was ich mir wünsche und was ich nicht akzeptieren kann, aber in einem moderaten Tonfall, um keine unnötige Aggression zu schüren“, erzählt sie.

Dr. Bärbel Wardetzki
Die Psychotherapeutin Dr. Bärbel Wardetzki betreibt eine eigene Praxis für Psychotherapie, Supervision und Coaching in München. © Maik Kern | Maik Kern

Danach habe sich ein Stückchen Normalität eingeschlichen, auch wenn sie nie Freunde geworden seien. Doch das Drama brachte auch Positives: So habe sie eine neue Therapeutin gefunden, zu der sie auch heute noch zur Psychohygiene gehe. Wardetzki sagt, sie habe die Fähigkeit, sich Hilfe zu holen: „Ich bin niemand, die sagt: ‚Ich muss das allein lösen‘“, betont sie. Auch habe sie eine Strategie, wenn es schwierig wird: „Ich gehe immer davon aus, dass das Leben mir eine Herausforderung gibt, so nach dem Motto: Wer weiß, wozu es gut ist“, sagt Wardetzki.

Therapeut berichtet über Scheidung: „Nicht selbst in Tränen auszubrechen, ist ultrahart“

Für den Therapeuten Dr. Alexander Noyon (57) war es seine Scheidung und die Auswirkung auf seine Familie, die ihn in die Krise stürzte. „Ich habe insgesamt vier Kinder, zwei aus erster Ehe und zwei aus zweiter Ehe. Das impliziert, dass es da irgendwo einen Crash bzw. eine Scheidung gab“, so Noyon. Jedes Anzeichen davon, dass das Wohlergehen seiner Kinder durch die Scheidung gelitten haben könnte, sei mit Schuldgefühlen verbunden gewesen. „Der lauteste Gedanke in meinem Kopf war: Meine Kinder werden irreparablen Schaden erleiden und untergehen“, erzählt der Therapeut.

Zum Zeitpunkt der Trennung seien die Kinder noch sehr klein gewesen und hätten „sehr heftig darauf reagiert“. Gerade in der Anfangszeit habe es Situationen gegeben, wo seine Tochter beim „Abliefern“ nicht bei ihm bleiben wollte und bei der Übergabe an der Tür angefangen habe zu weinen, erzählt Noyon. „Das dann durchzuziehen und nicht selbst in Tränen auszubrechen, ist ultrahart.“

Alexander Noyon
Prof. Dr. Alexander Noyon arbeitet als Professor an der Hochschule Mannheim für „Psychologie in der Sozialen Arbeit” und ist nebenbei als Psychotherapeut in eigener Praxis in Frankfurt tätig.  © Alexander Noyon | Alexander Noyon

Was dem Therapeuten half, war sein Umfeld: „Das Allerdringendste, was wir in Notlagen brauchen, ist die Möglichkeit uns ausdrücken zu dürfen. Ich brauche ein Gegenüber, das gütig und tröstend ist. Der muss dann gar nichts machen. Dieser Mensch muss nur da sein – das waren meine Freunde für mich.“ Sie hörten aber nicht nur zu, er habe durch sie auch Ideen bekommen, wie er mit seinen Kindern umgehen könne.

Krisen bewältigen: Das haben die Psychologen gemeinsam

Mithilfe seiner Liebsten habe er ein „kraftvolles Modell“ für seine Kinder entwickeln können, so Alexander Noyon. Unter anderem seien er und seine Ex–Frau in enger Nachbarschaft wohnen geblieben und er habe sein Berufsleben angepasst, sodass die Kinder einfach hin- und herwechseln und beide Elternteile im Leben behalten konnten.

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Es sei ein wichtiger Trostfaktor für den Therapeuten gewesen, dass er keine besondere Ausnahme war und seinen Kindern etwas zumutete, was nicht jeden Tag auch zig Millionen andere Kinder zugemutet bekämen. „Scheidungsquoten liegen in allen Jahren bei mehr als einem Drittel, manchmal sogar fast der Hälfte der Eheschließungen, und dann kommen noch Trennungen ohne Scheidungen hinzu“, so Noyon. Trotz der Sorgen sei alles gut ausgegangen: „Mein Sohn wird nächstes Jahr 30, meine Tochter wird 28. In der Hoffnung, mir nicht selbst in die Tasche zu lügen, glaube ich, dass sie aus der Episode unbeschadet herausgegangen sind.“

Die Verbindung zu anderen eint die Psychologen in der Überwindung ihrer Krisen. Claus Koch bringt es auf den Punkt: „Wir wollen wie alle anderen Menschen auch das Gefühl haben, verstanden und angenommen zu werden.“