Schwerte. Von einer Abiturientin zur Kämpferin für Freiwilligendienste: Was Marie Beimen tut, um den Bund daran zu hindern, am FSJ zu sparen.
Marie Beimen (20) aus Schwerte ist in wenigen Monaten von einer Abiturientin zur bundesweit wichtigsten Kämpferin für die Freiwilligendienste gereift. Ihrer Petition folgten mehr als 100.000 Menschen und damit doppelt so viele wie nötig, um die Bundesregierung zu zwingen, ihre Kürzungspläne für „FSJ“, „Bufdi“ & Co. zu überdenken.
Die Arbeit im Schwerter Marienkrankenhaus hat Marie Beimen verändert. In der Schule, erzählt sie, habe sich vieles um einen selbst gedreht. Im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) sei sie Teil eines Teams gewesen, mit einer nie zuvor erlebten Verantwortung.
FSJ: Wie Freiwilligendienste jungen Menschen nach der Schule helfen
„Ich habe einsame, ältere Menschen getroffen, die nie Besuch hatten und die ich getröstet habe“, erinnert sie sich. Sie machte Mut und hielt Hände, Kolleginnen und Kollegen brachten ihr bei, wie man Patienten wäscht und eincremt, wie man Blutdruck, Puls und Zuckerwerte misst. Jeder Tag, jedes Zimmer, jeder Patient sei anders gewesen, freudig und hoffend die einen, andere trauernd und enttäuscht.
„Am Anfang hatte ich Distanzprobleme, war sehr emotional, musste manchmal auch weinen“, sagt die junge Frau. Im Laufe der Zeit habe sie gelernt, dass Mitgefühl im Gesundheitsberuf völlig okay sei, Mitleiden aber nicht.
Freiwilligendienste: Von der Abiturientin zur Bundessprecherin
Das Teamspiel übte Beimen noch auf einer anderen, einer politischen Ebene: Sie vernetzte sich mit Menschen, die sich im Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahr, im Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) und im Internationalen Dienst engagierten, stieg auf zur Bundessprecherin der Freiwilligendienste. Und sie brachte einen Stein ins Rollen, den die Bundesregierung nicht so einfach stoppen kann.
Als Petitentin gelang es ihr und ihrem Team, in vier Wochen nicht nur die erforderlichen 50.000 Unterschriften zu sammeln, sondern mehr als 100.000. Nun muss der Bundestag ihre Initiative „berücksichtigen“. Ob Beimens Rede im September im Bundestag die Abgeordneten nachhaltig beeindruckt hat, ist offen. „Ich war sehr aufgeregt. In dieser Petition liegt so viel Hoffnung, da wollte ich im Parlament auch liefern“, erinnert sich Beimen.
Freiwilligendienste: "Auf einmal wurde daraus ein Kampf für deren Rettung"
Zunächst ging es ihr und ihren Aktivisten „nur“ darum, der Bundesregierung die „Stärkung der Freiwilligendienste“ zu empfehlen. Aber mitten in der Kampagne signalisierte die „Ampel“, sie wolle die Förderung in den kommenden beiden Jahren um 113 Millionen Euro und damit um 35 Prozent kürzen. „Aus der Initiative zur Stärkung der Freiwilligendienste wurde auf einmal ein Kampf für deren Rettung“, sagt Beimen.
Das Thema bewegt große Anbieter von Freiwilligendiensten in NRW. Sie befürchten, bald weniger Bewerbungen zu bekommen und ihre Angebote zurückfahren zu müssen. „Freiwilligendienste bieten jungen Menschen Orientierung beim Übergang von der Schule in den Beruf“, erklärt Georg Lunemann, Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) Dieser Verband bietet jährlich 500 dieser Stellen an. „Wir brauchen keine Kürzungen, wir müssen die Dienste ausbauen“, fordert Lunemann, der sich darüber hinaus für ein „verpflichtendes Gesellschaftsjahr“ stark macht.
„Massive Kürzungen bei Freiwilligendiensten in einer Zeit, in der der gesellschaftliche Zusammenhalt ohnehin strapaziert ist, ist das absolut falsche Zeichen“, gibt auch Reiner Limbach vom Landschaftsverband LVR zu Bedenken.
Freiwilligendienste waren bisher für alle
Mathias Schmitten von der Diakonie Rheinland Westfalen Lippe beunruhigt noch etwas anderes: „Bisher war der Freiwilligendienst ein Schmelztiegel der Gesellschaft mit Freiwilligen aus allen Schichten. Die schlechtere Finanzierung wird dazu führen, dass sich immer mehr Kinder aus ärmeren Familien einen Freiwilligendienst nicht mehr leisten können.“
Marie Beimen dringt unter anderem auf ein höheres Taschengeld für die Dienstleistenden. Derzeit bekommen sie zwischen 200 und 440 Euro. Freiwillige haben in der Regel auch kein Gratis-Nahverkehrsticket. Dieses Ticket, sagt sie, wäre ein Zeichen der Wertschätzung.
FSJ: Reicht Freiwilligkeit, oder sollte es zum Pflichtjahr werden?
Freiwillige profitierten gleich dreifach vom Dienst, versichert Beimen. Ein FSJ sei ein „Lern- und Orientierungsjahr“ für den Beruf, zweitens ermögliche es Kontakt zu Menschen aus allen sozialen Schichten, drittens verbessere es die Kommunikations- und Konfliktfähigkeit.
Von einem „verpflichtenden Gesellschaftsjahr“, für das LWL-Direktor Lunemann wirbt, hält die 20-Jährige wenig. Sie meint: „Freiwilligkeit ist besser als Zwang, denn Freiwillige sind motivierter.“
Ihr „Lern- und Orientierungsjahr“ im Krankenhaus wirkt nach: Marie Beimen hat inzwischen ein Medizinstudium begonnen.
Freiwilligendienste: Die wichtigsten Infos im Überblick
Der Bund begründet seine Kürzungs-Pläne mit den Sparvorgaben der Schuldenbremse. Der aktuelle Freiwilligen-Jahrgang 2023/24 sei davon nicht betroffen.
Für den Bundeshaushalt 2024 sind Kürzungen von 78 Millionen Euro geplant, im Folgejahr noch einmal 35 Millionen Euro. Damit würde die Förderung der Dienste um ein Drittel abschmelzen.
Im vergangenen Jahr absolvierten in Deutschland 46.830 Frauen und Männer ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ, Altersgrenze: 27 Jahre), 36.255 den Bundesfreiwilligendienst (BFD/Bufdi) und 3244 ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ). 2449 Freiwillige zählte der Internationale Jugendfreiwilligendienst (IJFD).
Freiwilligendienste in NRW: Die größten Anbieter
Zu den großen Anbietern von Freiwilligendiensten in NRW zählen Wohlfahrtsverbände wie Diakonie, Caritas, Arbeiterwohlfahrt, Der Paritätische, Johanniter, Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsches Rotes Kreuz, die Landschaftsverbände, Umwelt- und Naturschutzverbände wie Nabu und Bund sowie die Sportjugend NRW. Die Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (IJGD) bieten ein „FSJ in der Politik“ an.
Lesen Sie auch:
- Duisburg: Weniger Geld für FSJ'ler und Bufdis - "Katastrophe"
- Drastische Kürzung: FSJ-Stellen in Hattingen unverzichtbar
- Bundeswehr: Freiwillige Heimatschützer für NRW gesucht
- Kunstmuseum sucht noch Mitstreiter für das FSJ Kultur
- Schulabschluss und dann? Freiwilligendienste in Bottrop
- Ruf nach Dienstpflicht wird laut -- Jüngere sind gegen Zwang