Düsseldorf. Allgemeine Dienstpflicht: Pistorius-Vorstoß stößt in NRW auf Lob und Kritik. Viele Jüngere wehren sich gegen die Zwangs-Dienste.
Unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges und des Fachkräftemangels in sozialen Berufen nimmt die Diskussion über eine allgemeine Dienstpflicht für junge Menschen auch in NRW Fahrt auf. Während Verbände wie der Landschaftsverband Westfalen-Lippe und die Arbeiterwohlfahrt eine solche Dienstpflicht begrüßen, wird sie von vielen Jüngeren abgelehnt.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sieht gute Argumente für eine Dienstpflicht für jüngere Bürger. Damit könnten Katastrophenschutz, Bundeswehr und Rettungsdienste gestärkt werden. „In den vergangenen Monaten ist der Eindruck entstanden, dass manche nicht die nötige Wertschätzung für Feuerwehr und Rotes Kreuz, Polizei und Bundeswehr aufbringen.
Die allgemeine Dienstpflicht könnte helfen, die Menschen und die staatlichen Organisationen wieder ein Stück näher zusammenzubringen“, sagte Pistorius am Mittwoch. Es gehe ihm aber nicht um die Reaktivierung der Wehrpflicht.
LWL kann 500 Plätze für ein Gesellschaftsjahr anbieten
Die Spitze des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) begrüßte die Initiative. „Ich halte die Diskussion um ein Gesellschaftsjahr für sehr gut und richtig“, sagte der LWL-Direktor und Ex-Offizier Georg Lunemann dieser Redaktion. „Für mich hat der Begriff ‚Staatsbürger in Uniform‘ bei meiner ersten Berufswahl eine zentrale Bedeutung gespielt. Auf die Uniform könnte ich verzichten, aber mehr Staatsbürger als Staatsnutzer, das fände ich gut.“
Angesichts der vielen Krisen benötige Deutschland einen „neuen Generationenpakt“. Der LWL könne als Träger von sozialen Einrichtungen „nach einer ersten Schätzung fast aus dem Stand rund 500 Plätze für ein Gesellschaftsjahr anbieten.“
AWO-Chef Ruhr-Mitte: „Gute sicherheitspolitische und historische Gründe“
Für Serdar Yüksel (SPD), Chef der Arbeiterwohlfahrt Ruhr-Mitte, gibt es „gute sicherheitspolitische und historische Gründe, die Wehrpflicht und damit eine Bürgerarmee wieder einzuführen“. Er sei auch für einen sozialen Pflicht-Ersatzdienst. „Denn unsere Gesellschaft funktioniert nicht nach dem Prinzip ,Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht’.“
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Wer sich für ein soziales Jahr entscheide, werde dadurch empathischer und verantwortungsbewusster. „Das ist, christlich gesagt, Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Man kann das auch Solidarität nennen“, so Yüksel.
Das Jahr nach dem Abi für Praktika und Nebenjobs genutzt
Doch was sagen junge Menschen aus der Region dazu, die davon betroffen wären? Diejenigen, die seit zwölf Jahren keinen Zivil- oder Wehrdienst mehr leisten müssen?
Moritz Horst (25) hat nach seinem Abitur 2016 ein Jahr lang „nichts Richtiges“ gemacht. Sein Geld hat der Düsseldorfer mit Nebenjobs verdient, durch verschiedene Praktika wollte er herausfinden, was zu ihm passt. „Das brauchte ich zur Orientierung“, sagt Horst, der sich anschließend für ein Studium im Medienbereich entschied. Einen verpflichtenden Dienst hätte er nur widerwillig gemacht, sagt er. Denn: „Ich finde, ich habe ein Recht dazu, mir auszusuchen, was ich mache oder was ich nicht mache.“
NRW-Studentin: „Zwang ist immer falsch“
Anne Lützeler hat sich vor ihrem Studium für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Kulturbereich entschieden. Die Kölnerin sagt rückblickend: „Ich selbst habe in meinem FSJ nachhaltig viel lernen können und die Atmosphäre der motivierten Freiwilligen sehr geschätzt.“
Zwang sei allerdings immer falsch, findet die 25-Jährige. Einen Zivil- oder Wehrdienst „sollten nur diejenigen absolvieren, die sich bewusst für ihren Einsatz entscheiden.“
Ehrenamtler: „Zivildienst erweitert den Horizont“
Anders hingegen sieht das Sophia, die vor ihrem Studium ebenfalls ein FSJ machte. „Im FSJ lernen wir Mitgefühl, Wertschätzung und haben die Zeit, uns im Leben zu orientieren.“ So wie sie damals, findet die Düsseldorferin, könne jeder Mensch nur davon profitieren.
„Ich hätte damals gerne einen Zivildienst gemacht, wurde aber leider ausgemustert“, sagt Michael (36). Der Essener arbeitet heute im sozialen Bereich und engagiert sich nebenbei in verschiedenen Organisationen ehrenamtlich. Er ist sich sicher: „Auch wenn man später vielleicht Ingenieur werden will, erweitert ein Wehr- oder Zivildienst den Horizont.“
JuLis NRW: Auch ohne Pflicht engagiert sich jeder zweite junge Mensch
Die NRW-Jugendorganisationen der Ampel-Koalition empfinden den Ruf nach einer Dienstpflicht als unpassend. Nina Gaedike, Chefin der Jungsozialisten (Jusos), sagt: „Einen Pflichtdienst, der suggeriert, eine ganze Generation müsste mehr Engagement erst lernen, lehnen wir ab. Bereits ohne Pflicht ist das Ehrenamt wesentlicher Bestandteil der Lebensrealität vieler junger Menschen.“ Für Nicola Dichant, Vorsitzende der Grünen Jugend, ist es besser, gesellschaftliches Engagement bei jungen Menschen zu fördern „und für jeden möglich zu machen“, anstatt sie zu verpflichten.
Jungen Menschen pauschal ein Jahr Lebenszeit zu nehmen ist ein immenser Freiheitseingriff, der nicht verhältnismäßig ist“, erklärt Anna Neumann, Vize-Landeschefin der Jungen Liberalen. Jeder Zweite zwischen 14 und 25 Jahren engagiere sich freiwillig ehrenamtlich, so die 27-Jährige. Anstelle einer Wehrpflicht brauche es eine bessere Ausstattung der Bundeswehr. Und beim Bundesfreiwilligendienst könne man das Entgelt etwa an das eines freiwilligen Wehrdienstes anpassen, um die Arbeit für junge Menschen attraktiver zu machen.