Düsseldorf. NRW-Städte sind verunsichert, welche Abwassergebühren sie fordern können. Das Land will Klarheit schaffen, billiger wird es für die Bürger nicht.
Die schwarz-grüne Landesregierung will die Abwassergebühren mit einem neuen Gesetz rechtssicherer machen. Das Oberverwaltungsgericht hat die bisherige Praxis der Gebührenerhebung durchkreuzt. Die Bürger sollten ich aber keine Hoffnung auf sinkende Gebühren machen. Im Gegenteil: Die Preise dürften eher noch steigen.
Warum ein neues Gesetz?
Weil das Oberverwaltungsgericht (OVG) im Mai eine jahrzehntealte Rechtsprechung gekippt hat. In einem Musterverfahren gegen die Stadt Oer-Erkenschwick stellten die Richter klar, dass diese Stadt in einem Fall um rund 18 Prozent zu hohe Abwassergebühren berechnet hatte. Bei der Berechnung der Gebühren - und damit den anfallenden Kosten für den Betrieb der Abwasserkanäle – sei mit einem zu hohen Zinssatz von 6,25 Prozent gearbeitet worden. Gleichzeitig wurde den Bürgern eine Abschreibung der Entwässerungsanlagen mit ihrem Wiederbeschaffungszeitwert (Preis für die Neuanschaffung einer Anlage gleicher Art und Güte) in Rechnung gestellt. Aus der Sicht des Gerichts eine unzulässige Kombination zu Lasten der Bürger.
Das OVG-Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, weil Oer-Erkenschwick Zulassungsbeschwerde eingelegt hat. Aber die Landesregierung meint, auf diesen Schwebezustand reagieren und ein Gesetz verabschieden zu müssen, das „Rechtssicherheit“ schafft. Das soll noch in diesem Jahr geschehen. Das bisherige Gesetz sei zu „schlank“ und damit anfällig für Klagen. Die Räte sollen nun Klarheit bekommen, welche Kosten sie bei der Gebührenrechnung ohne Risiko berücksichtigen dürfen.
Wie relevant ist das Thema Abwasser?
Sehr. „In Deutschland gibt es rund 600.000 Kilometer örtliche Straßen. Die spiegeln sich praktisch im Untergrund mit einem Kanalnetz von fast 600 .000 Kilometern Länge“, erklärt NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU). In der Regel gilt: Je größer die Stadt, desto älter das Kanalnetz. Im Schnitt sind es 56 Jahre. Würde man das deutsche Kanalnetz heute wieder errichten müssen, kostete das zwischen 500 und 700 Milliarden Euro, rechnet Scharrenbach vor. Der Erhalt des Systems verschlinge im Jahr zwischen sechs und acht Milliarden Euro. Runtergebrochen auf NRW heißt das: etwa 1,5 Milliarden Euro.
Es geht aber nicht nur um den Erhalt von Kanälen, Kläranlagen und Wasserbecken. Die Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021 hat allen vor Augen geführt, dass die Städte „wasserresiliente Zukunftsstädte“ werden müssten, so die Ministerin. Im Idealfall werden es „Schwammstädte“, die große Regenmengen aufsaugen und das Wasser bei Trockenheit wieder abgeben können. Das kostet enorm viel Geld. Die Abwassergebühren dürften also künftig tendenziell eher steigen. Die Starkregen- und Hochwasservorsorge ist in den Gebühren noch nicht abgebildet.
Warum überhaupt Gebühren und keine Steuern?
Weil Wasser die wichtigste natürliche Ressource ist und daher gelten soll: Wer viel verbraucht, zahl viel. Wer wenig verbraucht, zahlt wenig. Die Alternative wäre laut Scharrenbach, die Grundsteuern in NRW um 20 bis 40 Prozent zu erhöhen, um Kanäle instand halten und modernisieren zu können. Das wäre aus ihrer Sicht aber „ungerecht“, denn dann würde der individuelle Verbrauch der wichtigen Ressource nicht mehr berücksichtigt.
Was genau plant NRW?
Das OVG hatte beanstandet, dass bei der Zinsberechnung nicht Durchschnittswerte aus 50 Jahren herangezogen werden dürften und dass der Inflationsausgleich doppelt berechnet worden sei. Der Gesetzentwurf der Landesregierung begrenzt den Zeitraum nun auf 30 Jahre und stellt auch klar, dass eine „angemessene Verzinsung“ des betriebsnotwendigen Kapitals berücksichtigt werden darf. Die Kommunen dürfen in den Gebühren zudem die Abschreibungen für ihre Anlagen abbilden, auch auf Wiederbeschaffung.
Muss ich am Ende mehr fürs Abwasser bezahlen?
Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Es wird weiter von Stadt zu Stadt unterschiedlich sein, und in der Summe werde mit dem Gesetz einfach nur das heutige Gebührenaufkommen gesichert, so die Landesregierung. Arme Städte dürfte, wie bisher, mehr an der Gebührenschraube drehen als reiche. Und es kann gut sein, dass eine Stadt, die ein neues Kanalnetz hat, weniger Gebühren verlangt als eine mit einem alten Kanalnetz, in das viel investiert werden muss.
Was sagt der Bund der Steuerzahler?
„Die Pläne lassen nicht Gutes erahnen, und ich bin entsetzt“, sagte Rik Steinheuer Vorsitzender des Bundes der Steuerzahler in NRW, dieser Redaktion. Das OVG-Urteil sei aus Bürgersicht eigentlich positiv gewesen. Das Gericht hat der Praxis der Kommunen einen Riegel vorgeschoben, dass man mit den Abwassergebühren Gewinne machen konnte, um damit den städtischen Haushalt zu sanieren. Die Richter haben klargestellt: Abwassergebühren sind nur dazu da, den Betrieb der Abwasserbeseitigungsanlagen solide zu finanzieren. Nun soll dieses Urteil mit einem neuen Gesetz ausgehebelt werden.
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Wenn es das Ziel des Gesetzentwurfes ist, das Gebührenaufkommen stabil zu halten, dann schafft der Gesetzgeber nun doch wieder einen Weg, um Abwassergebühren zur Haushaltssanierung in Kommunen einzusetzen. Das ist gerade in dieser Situation mit der hohen Inflation unsensibel und falsch.
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