Essen. Bislang hat die Impfpflicht im Gesundheitswesen nur wenig Konsequenzen. Patientenschützer kritisieren das scharf.

Rund vier Monate nach Inkrafttreten der bundesweiten Impfpflicht im Gesundheitswesen sind die Konsequenzen für ungeimpfte Beschäftigte in NRW weiterhin überschaubar. Wie eine Umfrage unter größeren Städten zeigt, haben Gesundheitsämter bislang nur vereinzelt Tätigkeits- oder Betretungsverbote gegen Personal von Heimen oder Kliniken ausgesprochen, das nicht wie vorgeschrieben gegen das Coronavirus immunisiert ist. Viele Verfahren sind zudem noch offen – allein in Köln sind es rund 2000.

Die Angaben zeigen zwar, dass Beschäftigte zum Teil unter Androhung eines Bußgeldes Nachweise nachgereicht haben. Doch die Zahl derjenigen, die sich weiterhin dagegen sträuben, ist in einzelnen Städten weiterhin hoch.

Über 1000 Beschäftigte als ungeimpft gemeldet - nicht ein Tätigkeitsverbot

In Düsseldorf etwa haben sich seit Mitte März über 1900 Menschen beim Gesundheitsamt gemeldet und nachträglich erklärt, dass sie gegen das Virus geimpft oder inzwischen von einer Corona-Infektion genesen sind. Aktuell bleiben damit nach Angaben eines Stadtsprechers noch 1024 Ungeimpfte im Gesundheitswesen der Landeshauptstadt - doch bislang gab es nicht ein Tätigkeitsverbot.

Ähnlich ist das Bild in größeren Städten des Ruhrgebiets. In Bochum haben Arbeitgeber dem Gesundheitsamt 306 ihrer Beschäftigten als ungeimpft gemeldet. 225 Verfahren sind laut Stadt noch offen - bislang seien vier Verbote ausgesprochen worden. In Essen haben 517 Kräfte im Gesundheitswesen keinen gültigen Impfschutz; Verbote hat das Gesundheitsamt noch nicht verschickt. Und in Bottrop gibt es für aktuell noch 48 Ungeimpfte bislang ebenfalls keine direkten Konsequenzen, so dass sie weiterhin im Pflege- und Gesundheitsbereich arbeiten dürfen.

Gelsenkirchen scheint forscher voranzugehen: Bei 530 Fällen und 304 abgeschlossenen Verfahren gelten derzeit 27 Verbote.

Kritik von Patientenschutz-Organisationen

Bei Organisationen zum Patientenschutz in NRW sorgt das Vorgehen für Kritik. Sie sehen NRW allerdings nicht allein in der Nachbesserungspflicht: In den Bundesländern gebe es praktisch keine konsequente Umsetzung der Teil-Impfpflicht, sagt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz mit Sitz in Dortmund. Er verweist gegenüber dieser Redaktion auf „aktuell hohe Infektionszahlen beim Pflegepersonal“, die die Versorgungslage verschärften, und warnt davor, dass sich die Krise im Herbst zuspitzen werde.

Frauke von Hagen, Geschäftsführerin des BIVA-Pflegeschutzbundes in NRW, spricht von einem Scheitern der inzwischen durch das Bundesverfassungsgericht bestätigten Teil-Impfpflicht und sieht den Grund in politischem Versagen. Die fehlende allgemeine Impfpflicht und Personalsorgen der Gesundheitsämter hätten Akzeptanz und Druck gemindert. „Ausbaden werden es erneut die Pflegebedürftigen“, sagt von Hagen. Sie befürchtet erneute Einschränkungen für Heimbewohnerinnen und Heimbewohner, die schon jetzt in der „Sommerwelle“ von Quarantäne und Besuchsbeschränkungen betroffen seien.

NRW-Arbeitgeber insbesondere aus der Pflegebranche hatten immer wieder betont, dass unter ihren Beschäftigten eine deutlich höhere Impfquote herrsche als in der Gesamtbevölkerung, und kritisiert, dass die Pflege in der Impfdebatte herausgepickt werde. Warnungen vor Personalengpässen wurden laut. Im Frühjahr hatte das NRW-Gesundheitsministerium Daten veröffentlicht, nach denen rund neun von zehn Pflegekräften geimpft waren.

Träger: In der Pflege sind deutlich mehr Beschäftigte geimpft als in der Bevölkerung

Seit Mitte März gilt das Gesetz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Arbeitgeber mussten den Gesundheitsämtern melden, wenn Beschäftigte keinen Impf- oder Genesenennachweis vorgelegt haben. Wer nicht geimpft war, konnte ein ärztliches Zeugnis vorzeigen. Fehlte auch das oder bestand Zweifel an der Echtheit der Dokumente, musste das ebenfalls gemeldet werden. In NRW sollten Gesundheitsämter die Meldungen bis Mitte Juni prüfen und spätestens dann aktiv werden.

Arbeitgeber können ihrem Personal bescheinigen, dass es „unabkömmlich“ ist. In der Praxis wird diese Möglichkeit längst nicht in jedem Fall genutzt: In Essen gibt es solche Bescheinigungen für 60 Beschäftigte – mehr als jede zweite musste aber nachgebessert werden. In Düsseldorf hoffen 350 Ungeimpften auf eine Ausnahme vom Gesetz.

Bislang kaum Klagen an den Verwaltungsgerichten

Sorgen von Verwaltungen und Betrieben, dass die Teil-Impfpflicht zu einer Klagewelle führen könnte, bewahrheiten sich noch nicht: Am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen liegen vier Klagen vor, am Kölner sind es bislang drei, in Minden zwei Verfahren. Streit gab es um ärztliche Untersuchungen, die die Gesundheitsämter anordnen konnten. In anderen Bundesländern hatten Gerichte klargestellt, dass die Behörden Nachweise nicht unter Androhung von Bußgeldern einfordern dürfen.

Unterdessen mehren sich Stimmen, dass die Teil-Impfpflicht bereits Ende September und damit drei Monate früher als geplant wieder ausgesetzt wird. Ab Oktober müssen Beschäftigte geboostert oder genesen und doppelt geimpft sein. Die Einrichtungen und die Gesundheitsämter stünden damit erneut vor Herausforderungen, so Bayerns Gesundheits- und Pflegeminister Klaus Holetschek.