Essen. Noch gut 700 ungeimpften Kräften in Essens Pflege- und Gesundheitswesen drohen Betätigungsverbote. Selbst einige Klinikärzte haben keine Impfung.

Einige Hundert Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Essener Arztpraxen, Seniorenheimen und Krankenhäusern bekommen dieser Tage Post vom Gesundheitsamt: Das hakt nach, ob sie mittlerweile komplett gegen das Coronavirus geimpft sind. Auch wenn noch keine Strafen verhängt wurden, scheint die einrichtungsbezogene Impfpflicht bereits Wirkung zu entfalten: Von den 1182 ungeimpften Beschäftigten, die Anfang Mai erfasst wurden, haben laut Stadt inzwischen 312 „einen gültigen Immunitätsnachweis gegen Covid-19 vorgelegt“.

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200 und damit die meisten der Nachmelder kommen aus Kliniken, gefolgt von Altenheimen (73) und ambulanten Pflegediensten (14). Bemerkenswert ist, dass viele wohl gar keine Impfgegner sind, wie Stadtsprecherin Silke Lenz erklärt: „Der Großteil der Personen hatte bereits vor Meldung einen gültigen Immunisierungsnachweis, diesen jedoch nicht rechtzeitig bei der Einrichtungsleitung vorgelegt.“ Die Arbeitgeber mussten die vermeintlich Ungeimpften daher dem Gesundheitsamt melden.

Einen Aufschub haben sich jetzt weitere 140 gemeldete Beschäftigte verschafft, die zwei Impfungen nachmelden konnten: Bis Ende September gilt das als ausreichend, erst ab Oktober werden drei Impfungen verlangt. Ungeimpft sind demnach noch rund 700 der mehr als 50.000 Essener, die im Medizin- und Pflegebereich arbeiten. Bevor sie mit Tätigkeits- oder Betretungsverboten belegt werden, muss die Stadt nun Anhörungen durchführen: mit Betroffenen und Arbeitgebern.

Essener Seniorenheimträger hat eine Impfquote von 99 Prozent

Heribert Piel, Geschäftsführer der GSE, die sieben Seniorenheime in Essen betreibt, hat in seiner Antwort ans Amt darauf hingewiesen, „dass wir jeden Mitarbeiter brauchen“. Bei einer Impfquote von 99 Prozent gehe es allerdings nur um eine Handvoll der 1300 GSE-Beschäftigten: Von Januar bis März hätten sich noch etliche impfen lassen. Von den Pflegekräften seien noch zwei, drei ungeimpft, schätzt Piel. „Das ist kein Riesendrama, wir können das notfalls auffangen.“

„Ich persönlich halte auch Hygienemaßnahmen und Maskenpflicht für zielführend, wenn auch ein Restrisiko bleibt“, sagt Heribert Piel, Geschäftsführer der GSE, die in Essen sieben Seniorenheime betreibt.
„Ich persönlich halte auch Hygienemaßnahmen und Maskenpflicht für zielführend, wenn auch ein Restrisiko bleibt“, sagt Heribert Piel, Geschäftsführer der GSE, die in Essen sieben Seniorenheime betreibt. © Bettina Steinacker

Der GSE-Chef, der die Impfpflicht kritisch sieht, würde ohnehin am liebsten alle Mitarbeiter weiterhin einsetzen. „Ich persönlich halte auch Hygienemaßnahmen und Maskenpflicht für zielführend, wenn auch ein Restrisiko bleibt.“ Zuletzt sei im Februar eine – schwer vorerkrankte – Bewohnerin an Corona gestorben. Seither habe das Virus viel von seinem Schrecken verloren: Selbst eine 95-Jährige sei nach mildem Verlauf genesen.

Bleibt abzuwarten, wie die Stadt solche Argumente wertet. Zwei Wochen haben die Beteiligten Zeit, auf die Post zu antworten. „Diese Stellungnahmen werden bei der weiteren Prüfung berücksichtigt“, sagt Lenz. Bei der Frage, ob man Verbote gegen Ungeimpfte verhänge, sei „auch die konkrete Situation in der Einrichtung zu berücksichtigen“. Sprich: So hoch man den Schutz von Bewohnern und Patienten bewerte, müsse man ja auch berücksichtigen, „wie die gesundheitliche und/oder pflegerische Versorgung bei Personalausfällen gesichert ist“.

Ungeimpfte gibt es auch unter Klinikärzten

Das könnte, ahnt Dr. Andreas Grundmeier, eine komplexe Angelegenheit werden. Mit 81 Ungeimpften unter 2750 Beschäftigten stehe man nicht schlecht da, sagt der Corona-Einsatzleiter an den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM). „Aber nehmen wir mal an, wir hätten in einem Bereich sechs Ärzte und ausgerechnet von denen fallen vier als ungeimpft aus ...“ Das Beispiel sei aus der Luft gegriffen, aber die KEM seien schon „Spiegel der Gesellschaft“, heißt: Ungeimpfte gebe es bei den Ärzten wie bei Pflege- oder Hauswirtschaftspersonal.

„Ich freue mich auch über jeden, der seinen Impfausweis noch findet“, sagt Dr. Andreas Grundmeier, Corona-Einsatzleiter der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM).
„Ich freue mich auch über jeden, der seinen Impfausweis noch findet“, sagt Dr. Andreas Grundmeier, Corona-Einsatzleiter der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM). © FFS | Ulrich von Born

Vielleicht gebe es noch ein paar, die Gründe wie eine Schwangerschaft fürs Nicht-Impfen vorbringen, oder andere, die sich doch impfen lassen. „Ich freue mich auch über jeden, der seinen Impfausweis noch findet“, sagt Grundmeier. Am Ende müsse er darlegen, wie sich ein Personalausfall auf die Versorgungslage in den drei Häusern der KEM auswirken würde. Dann müsse er abwarten, ob das Gesundheitsamt wirklich Tätigkeitsverbote ausspreche. Er persönlich vermute, dass die Impfpflicht am Ende noch Gerichte beschäftigen werde.

Die Uniklinik hat 76 ihrer rund 10.000 Mitarbeiter als nicht vollständig immunisiert gemeldet. Inzwischen habe sich vermutlich „weniger als eine Handvoll“ von ihnen noch impfen lassen. Was die verbleibenden Impfverweigerer angehe, sei nun das Gesundheitsamt am Zug: „Mitarbeitenden, die Patientenkontakt haben, droht ein Beschäftigungsverbot“, weiß die Klinik. Trotz des aktuell laufenden Streiks hoffe man, weitere, durch die Impfpflicht verursachte Personalausfälle abfangen zu können.

Krankenhaus will selbst keine Sanktionen gegen Ungeimpfte verhängen

„Aufgrund der geringen Anzahl der betroffenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind Funktion und Arbeitsfähigkeit der Häuser und die Versorgung unserer Patienten vollständig sichergestellt“, hofft die Contilia. Auch wenn jeder einzelne Ausfall spürbar sein werde.

An allen Contilia-Standorten wie etwa dem Elisabeth-Krankenhaus in Huttrop oder dem Philippusstift in Borbeck habe es schon vor Einführung der Impfpflicht eine beinahe 100-prozentige Impfquote gegeben: Daher habe man zum Stichtag Mitte März pro Haus im Schnitt nur sechs ungeimpfte Beschäftigte an die Stadt melden müssen. Noch laufe die Prüfung der Einzelfälle, noch habe das Amt keine Verbote ausgesprochen, sagt Unternehmenssprecher Thomas Kalhöfer.

„Von uns gibt es keine Sanktionen“, sagt Hille Ahuis, Sprecherin der Krupp-Krankenhäuser in Essen-Rüttenscheid und Steele.
„Von uns gibt es keine Sanktionen“, sagt Hille Ahuis, Sprecherin der Krupp-Krankenhäuser in Essen-Rüttenscheid und Steele. © WAZ | Horst Müller

In den Krupp-Krankenhäusern mit seinen zwei Standorten Rüttenscheid und Steele liegt die Quote der Ungeimpften weiter bei knapp 2,5 Prozent. Auf von der Stadt verhängte Betätigungsverbote habe man sich mit „Kompensationsmechanismen“ vorbereitet, sagt Sprecherin Hille Ahuis. Klar sei auch: „Von uns gibt es keine Sanktionen.“

Die Impfpflicht gilt nur bis Jahresende

Gegen ungeimpfte Beschäftigte in Pflege- und Gesundheitswesen kann das Gesundheitsamt Betretungs- und/oder Tätigkeitsverbote aussprechen. Die Stadt Essen weist darauf hin, dass gegen diese Sanktionen weder ein Widerspruch noch eine Anfechtungsklage eine aufschiebende Wirkung haben.

Die Verbote gelten allerdings nur bis zum Jahresende, da das Impfschutzgesetz am 1. Januar 2023 außer Kraft tritt. Wenn ein ungeimpfter Mitarbeiter die Impfung schon vorher nachholt, wird ist das Betretungs- oder Tätigkeitsverbot aufgehoben.