Duisburg. Der Sozialindex bewertet Belastungen von Schulen durch Zuwanderung und Armut. Daran sind Förderungen gekoppelt. Was Duisburgs Schulleiter ärgert.

Der Schulsozialindex bewertet die Belastung aller Duisburger Schulen, die durch Faktoren wie Zuwanderung und Armut entstehen. Viele Schulleiter sind wütend, weil sie ihre Einstufung nicht nachvollziehen können. Und: Dass eine einzige Zahl zwischen 1 und 9 spürbare Folgen haben kann, merkten zuletzt vier Gesamtschulen, als sie bei der Verteilung von iPads aufgrund ihres Sozialindexes nicht berücksichtigt wurden, was sie als ungerecht und nicht nachvollziehbar empfinden.

Es dürfte weiteren Ärger geben, denn der Schulsozialindex wird künftig auch bei der Verteilung eines Teils der Lehrerstellen herangezogen für den sogenannten „Mehrbedarf“, etwa für Integrationsstellen oder den Ganztagszuschlag. Zum vergangenen Schuljahr landeten aus einem Stellentopf 421,9 Stellen in Duisburg, heißt es aus dem Schulministerium.

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Schulsozialindex: Duisburger Schulleiter halten ihn für intransparent

Wen man auch fragt zum Sozialindex in Duisburg, der Frust ist groß: „Das ist eine Farce“, schimpft Schulformsprecher Bernd Beckmann. Seine Gesamtschule Meiderich war früher mit dem Standortfaktor 5 bewertet – und galt damit wie sehr viele Schulen im ganzen Ruhrgebiet als höchst belastet. Jetzt wird er ziemlich weit oben mit einer 3 bewertet.

Bernd Beckmann, Schulleiter der Gesamtschule Meiderich und Schulformsprecher, ärgert sich über den Schulsozialindex.
Bernd Beckmann, Schulleiter der Gesamtschule Meiderich und Schulformsprecher, ärgert sich über den Schulsozialindex. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Und damit hatte er noch Glück: Bei der Verteilung der digitalen Endgeräte sei seine Schule voll berücksichtigt worden, die Gesamtschule Mitte mit Faktor 2 aber nicht. „Wir reden über Millionen Euro“, verdeutlicht Beckmann. Diese würden ohne transparente Begründung verteilt, sagt der Schulleiter. Nachfragen, wie es zu seiner „3“ kam, seien mit dem Hinweis abgetan worden, dass das Verfahren der Uni Bochum zu komplex sei. „Wir werden für doof verkauft!“

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Ähnlich deutlich wird Christof Haering, Schulformsprecher der Gymnasien: „Ich bin wirklich erschüttert über die Nichterklärung des Sozialindexes und die Intransparenz bei den Daten, die die Einstufung begründen.“ Ihn ärgert besonders, dass Herausforderungen wie die vielen Internationalen Vorbereitungsklassen an den weiterführenden Schulen in Duisburg nicht in die Berechnung des Sozialindex eingeflossen seien. Das Landfermann-Gymnasium bekam eine 1 – für Haering kein Anlass zur Freude, denn vergleichbare Gymnasien in Meerbusch oder Bredeney etwa seien mit einer 2 bewertet. „Da diese Zahlen zukünftig wesentlich für die Zuweisung von Stellen sind, ist das für uns sehr relevant – und deswegen sind wir sehr betroffen – und brauchen und wünschen uns unbedingt eine größere Transparenz darüber – im Sinne der Schüler:innen, im Sinne der Gerechtigkeit.“

Trotz vieler Kinder mit Zuwanderungsgeschichte ein niedriger Sozialindex

Isolde Vicktorius-Schänzer, Leiterin der Realschule Fahrn, kann über den Sozialindex nur den Kopf schütteln. Ihre Schule liegt zwischen Walsum und Fahrn im Duisburger Norden, 514 der 881 Schülerinnen und Schüler haben eine Zuwanderungsgeschichte. Früher galt sie als Standorttyp 5, „das war auch vollkommen ok“. Jetzt wird ihre Schule mit einer 2 bewertet: „Mir ist rätselhaft, wie wir da hochgerutscht sind.“

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So geht es auch Silke Richter, Schulleiterin der Erich-Kästner-Gesamtschule in Homberg. Früher, sagt sie, „waren wir eine „Typ 5“-Schule, nun laut Sozialindex eine 3“. Die meisten ihrer über 1000 Schülerinnen und Schüler haben eine Realschul-Empfehlung. 69 Prozent haben einen Migrationshintergrund, 8 bis 9 Prozent einen Inklusions-Schwerpunkt. Die Grundschulen um sie herum haben im Schnitt eine 6: „Die 3 ist nicht nachvollziehbar, ich hätte uns eher bei einer 4 oder 5 gesehen“.

Richters Schule gehört zu jenen, die bei der iPad-Verteilung leer ausgingen. Grundsätzlich sei es richtig, dort mehr zu helfen, wo der Bedarf größer ist. „Ich will es nachvollziehen können, ich muss es am Ende ja auch kommunizieren.“ Und Michaela Gerlach-Zimmermann von der Gesamtschule Mitte – ebenfalls nicht mit iPads bedacht – betont, dass es um Gerechtigkeit für alle gehen muss. Jedes Kind müsse die gleichen Chancen haben. Familien, die mit ihrem Einkommen knapp über den Grenzwerten liegen, würden jedoch nicht berücksichtigt, obwohl auch diese keine finanziellen Spielräume haben.

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Große Unterschiede beim Index für die Primarstufe und die Sekundarstufe

Es gibt weitere Ungereimtheiten. Wie kommt es, dass etwa das Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Marxloh mit einer 3 bewertet wird, während alle Grundschulen drumherum Höchstwerte zwischen 7 und 9 aufweisen? Dazu erklärt das Schulministerium, dass die Indizes nicht vergleichbar seien. Eine Grundschule in der Stufe 9 habe im Vergleich zu den anderen Grundschulen einen hohen Förderbedarf.

In der Sekundarstufe würden sich die Schulen mit allen weiterführenden Schulen messen. Der Übergang in die Sekundarstufe sei mit einer gewissen Selektivität verbunden. Hinzu komme, dass der Einzugsbereich von Gesamtschulen und Gymnasien größer sei und über das direkte Umfeld hinausgehe, erklärt die Ruhr-Uni Bochum das Prozedere.

Höchste soziale Belastung im landesweiten Vergleich an vier Duisburger Gymnasien

„Das Elly-Heuss-Knapp Gymnasium in Duisburg gehört im landesweiten Vergleich der Gymnasien zu den Gymnasien mit der höchsten sozialen Belastung“, sagt der Ministeriumssprecher. Das gilt dann allerdings auch für das Mercator-, das Max-Planck-, das Kopernikus- und das Krupp-Gymnasium: Alle wurden mit einer 3 eingestuft. Das Steinbart-Gymnasium und das Albert-Einstein bekamen eine 2, eine 1 erhielten neben dem Landfermann- noch das Mannesmann- und das Franz-Haniel-Gymnasium. Sie gehören zu den rund 88,5 Prozent aller Gymnasien landesweit, die sich in den am wenigsten belasteten Sozialindexstufen 1 und 2 bewegen.

So verteilt sich der Sozialindex der Grundschulen in Duisburg
So verteilt sich der Sozialindex der Grundschulen in Duisburg © FUNKEGRAFIK NRW Denise Ohms

Schulministerium: „Ein sehr gutes Instrument“

Aller Kritik zum Trotz hält das Schulministerium den Sozialindex für ein „sehr gutes Instrument“. Widersprüche seien allerdings im Schulministerium eingegangen, sagt ein Sprecher. Falsch oder unvollständige Eintragungen in den Amtlichen Schuldaten sowie erhebliche Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung der Schülerschaft könnten für einen anderen Index sorgen. „Unbenommen dieser Einzelfälle lässt sich kein grundsätzliches, systemisches oder methodisches Problem bei der Konstruktion des Schulsozialindex feststellen.“

Außerdem habe die Schulaufsicht die Möglichkeit, die Vor-Ort-Kenntnisse etwa bei den Stellenzuweisungen „angemessen zu berücksichtigen“.

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>>SCHULMINISTERIN: MEHR BILDUNGS- UND CHANCENGERECHTIGKEIT

  • Schul- und Bildungsministerin Yvonne Gebauer erklärt: „Mit dem schulscharfen Sozialindex hat die Landesregierung ein neues Instrument entwickelt, um Schulen, die vor besonderen Herausforderungen stehen, gezielt zu unterstützen. Mit dem schulscharfen Sozialindex macht das Land einen großen Schritt auf dem Weg zu mehr Bildungs- und Chancengerechtigkeit nach dem Prinzip, Ungleiches ungleich zu behandeln. Seit diesem Schuljahr werden Schulen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf über den schulscharfen Sozialindex in erheblichem Umfang Ressourcen zugewiesen.“