Gelsenkirchen. Vor einem Jahr startete die Impfkampagne in 80 Pflegeheimen in NRW- mit wenig Vorlauf, vielen Helfern und einigen Sicherheitsbedenken
Als der Anruf kam, war Joscha Wienholt gerade im Haus unterwegs. Es war der 17. Dezember 2020 und das ASB Begegnungs- und Pflegezentrum Am Schlosspark in Gelsenkirchen hatte erst vor Kurzem einen Corona-Ausbruch erlebt. Sieben Menschen waren verstorben. An diesem Dezembertag nun erfuhr Einrichtungsleiter Wienholt am Telefon, dass das ASB-Heim ausgewählt worden war: Seine Bewohnerinnen und Bewohner sollten zu den ersten Menschen in NRW gehören, die gegen das für sie so gefährliche Coronavirus geimpft werden.
Er wisse nicht mehr, was genau er am Telefon geantwortet habe, sagt Wienholt heute. Aber der Mittdreißiger erinnert sich noch, dass seine Finger zitterten, als er den Impfstoff zwei Wochen später tatsächlich entgegennahm.
Heute impfen 11.000 Ärzte in NRW - vor einem Jahr gab es einzelne Impfteams
Ein Jahr ist es her, dass die bislang größte Impfkampagne ihren Anfang genommen hat. Inzwischen impfen über 11.000 Ärztinnen und Ärzte in NRW, die Städte haben außerdem rund 800 Impfstellen eingerichtet. Angefangen hat diese beispiellose Kampagne allerdings in sehr viel kleinerem Rahmen: mit einzelnen Impfteams in rund 80 Pflegeheimen. Etwa 9.500 Menschen sollten am 27. Dezember 2020 erstmals gegen Sars Cov-2 geimpft werden. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte damals, das Impfen sei der „schönere Teil der Pandemie“. Wie viele hatte auch er die Hoffnung, dass nun ein Stück alte Normalität zurückkehrt.
In Gelsenkirchen spürte Joscha Wienholt das auch. „An diesem Tag kamen Mitarbeiter aus ihrem Urlaub, um ehrenamtlich bei der Aktion zu helfen. Viele brachten noch Angehörige zum Anpacken mit. Das war eine besondere Stimmung, auch bei den Bewohnern.“
Impfen im Pflegeheime hieß auch: Schlösser austauschen
Drei Tage nach dem offiziellen NRW-Impfstart war das ASB-Heim an der Reihe. Wienholt und sein Team hatten zwei Wochen Vorbereitungszeit. Das hieß nicht nur, Impfärztin und Apotheker zu finden, provisorische Impfkabinen in die frühere Cafeteria zu schaffen und Einverständniserklärungen einzusammeln – Wienholt rief zunächst einmal den Schlüsseldienst an.
Denn das gab es auch: „die Sorge, dass irgendwelche Banden Impfstoff stehlen konnten“, erinnert er sich. „Es gab einige Sicherheitsvorkehrungen.“ Der Leiter trug kurzerhand einen Medikamentenkühlschrank in sein Büro und ließ das Schloss auswechseln. Die Polizei rief gleich dreimal vor der Lieferung an und kontrollierte zur Sicherheit auch nachts mit Streifenwagen die Gegend. Einer der Streifenwagen stand auch an dem Mittag vor dem Heim, als ein Mann aus dem blauen Transportwagen stieg und eine Art Lieferbox wie vom Pizzadienst an Wienholt übergab. Darin: 145 Dosen des Biontech-Impfstoffs für Pflegekräfte und Pflegebedürftige, bei minus 70 Grad gekühlt und als „äußerst empfindlich“ beschrieben.
„Da zittern einem schon die Hände, wenn man die Impfdosen herausnehmen und selbst kontrollieren soll“, sagt Wienholt. Der Heimleiter musste dann auch noch selbst Hand anlegen und das Behältnis mit den wertvollen Gläschen so zurechtschneiden, dass es in den Kühlschrank passte. Einen Tag später sollte geimpft werden.
Mit 88 Jahren die erste Corona-Impfung: „Die Sache war klar“
Von dem Drumherum hat Josef Ziegler nicht viel mitbekommen. Der 88-Jährige liest aufmerksam die Zeitung, „ich wusste also schon länger, dass in NRW zuerst die Heime geimpft werden sollten und habe abgewartet“, sagt der Bewohner des ASB-Heims. Wie sicher war er sich mit der Impfung? „Ich habe mir alles durchgelesen und dann war die Sache klar.“ Auch Zieglers Frau lebt in dem ASB-Heim, sie ist stark pflegebedürftig. Besonders um ihren Schutz sei es ihm gegangen.
Wie aufgeregt war er denn? „Ach, das lief doch gut. Ich wusste, wann ich an der Reihe war, dann gab es die Spritze und fertig. Ich gehe ja auch jedes Jahr zur Grippeschutzimpfung.“
Für NRW war es das durchaus. Der Impfstoff war knapp. Nur wenige Tage nach dem Impfstart beklagten Kritiker das schleppende Tempo. Erst Mitte Februar waren die Heime „weitestgehend durchgeimpft“. Die 53 NRW-Impfzentren hatten kurz zuvor ihre Türen geöffnet und über eine Million Menschen über 80 Jahren erlebten ein regelrechtes Terminchaos, das die Opposition im NRW-Landtag den „Tiefpunkt der Pandemiepolitik in NRW“ nannte.
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Wie groß war die Erleichterung? Joscha Wienholt schüttelt mit dem Kopf. „Mit der Impfung hat sich nicht viel an unserem Schutzverhalten geändert“, sagt er. „Wir waren und sind weiterhin sehr vorsichtig.“ Trotz Booster-Impfung sei er auch heute noch in Habachtstellung. Über Impfskeptiker will er nicht lange sprechen, auch nicht den Frust benennen, in einem zweiten Pandemie-Winter zu stecken. Er spricht lieber über sein Team aus 65 Mitarbeitenden: „Wir haben ein aufreibendes Jahr hinter uns. Dadurch sind wir zusammengewachsen.“