Düsseldorf. Seit zwei Monaten ist Hendrik Wüst Ministerpräsident in NRW. Die neuen Aufgaben könnten aktuell nicht anspruchsvoller sein. Ein Interview.
Wieder ein Weihnachtsfest unter Pandemie-Bedingungen und auch für 2022 ist kein Befreiungsschlag in Sicht. Falsche Versprechungen will der neue NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) den Bürgern nicht machen und schwört sie zum Jahreswechsel auf weitere coronabedingte Einschränkungen ein. Dennoch sieht er Anlass zur Hoffnung auf ein Ende der Zumutungen und auf eine Befriedung der Gesellschaft. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht der 46-Jährige über das Impfen, die bevorstehende Landeswahl, seine Familie und die Wucht des neuen Amtes.
Frage: Die Bürger haben in den vergangenen Pandemie-Monaten viel Zick-Zack-Kurs erlebt. Wird sich das ändern?
Hendrik Wüst: Die Pandemie hat vielen Menschen viel abverlangt. Gerade Kinder und junge Leute haben viele Einschränkungen hinnehmen müssen, besonders Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte leisten Herausragendes. Wir tun alles für die baldige Rückkehr zur Normalität, aber wir als Politik müssen ehrlich sein: Corona wird uns auch im neuen Jahr noch sehr beschäftigen und viel abverlangen. Auch im neuen Jahr werden Einschränkungen im Alltag nötig bleiben. Omikron ist eine ganz neue Dimension der Herausforderung. Mit einem verlässlichen, gradlinigen Kurs schaffen wir bei den Menschen das Vertrauen, das wir auch in den nächsten Monaten brauchen werden. Und trotzdem werden wir auch im weiteren Verlauf dieser Pandemie immer wieder dazu lernen.
Was werden die wichtigsten Corona-Schutzmaßnahmen in den kommenden Monaten sein?
In diesen Wochen geht es darum, die Kontakte wieder deutlich zu reduzieren – so schwer das fällt. Die bekannten Hygienemaßnahmen und das Tragen von Masken werden uns noch mehrere Monate begleiten. Die Auffrischungsimpfungen und etwaige weitere Impfungen sind der wichtigste Baustein der Pandemiebekämpfung.
Können Sie den Bürgern Hoffnung auf ein Ende der Pandemie machen?
Durch die Verfügbarkeit von genügend Impfstoff haben wir ja die Chance, uns gut zu schützen. Die geringe Impfquote in manchen Teilen Deutschlands hat uns jedoch bislang einen Strich durch die Rechnung gemacht – nur deshalb denken wir jetzt ernsthaft über eine Impfpflicht nach. Ich hoffe, dass die Impfpflicht zügig kommt und dazu beiträgt, dass es dann eine gesellschaftliche Befriedung gibt. Der Weg heraus aus der Pandemie führt nur über die Impfung.
Glauben Sie wirklich, dass die Impfpflicht zur gesellschaftlichen Befriedung beiträgt, wenn man die Demonstrationen auf den Straßen sieht?
Nicht jeder, der nicht geimpft ist, ist gleichzeitig ein Corona-Leugner. Es gibt noch eine ganze Menge Menschen, die wir überzeugen können, dass die Impfung sie schützt und Leben rettet. Bei den zwei Millionen Impfungen pro Woche in Nordrhein-Westfalen sind auch noch viele Erst- und Zweitimpfungen dabei.
Wie und wann wird der erwartete, an Omikron angepasste Impfstoff in den nächsten Monaten auf die Länder verteilt?
Für die Impfstoffverteilung an die Länder gibt es Verteilungsschlüssel. Der Expertenrat der Bundesregierung empfiehlt aber ausdrücklich, nicht darauf zu warten, sondern das jetzige Booster-Angebot anzunehmen und dann später die angepassten Impfstoffe ebenfalls zu nutzen. Ich halte das für richtig, denn für die nächsten Wochen wird entscheidend sein, so viele Menschen wie möglich bestmöglich zu schützen. Warten ist keine Option.
In fünf Monaten wird bereits ein neuer Landtag gewählt. Stünden Sie auch für andere Koalitionen bereit als Schwarz-Gelb?
Die Corona-Pandemie und viele andere wichtige Themen erfordern gerade unseren ganzen Einsatz und unsere volle Aufmerksamkeit. Über Wahlkampf und etwaige Wahlergebnisse machen wir uns dann Gedanken, wenn es soweit ist. CDU und FDP arbeiten in Nordrhein-Westfalen vertrauensvoll, freundschaftlich und vor allem erfolgreich zusammen. Das möchte ich sehr gerne fortsetzen.
Wo sehen Sie denn Schnittmengen mit den Grünen?
Demokraten müssen untereinander immer gesprächsfähig sein, und wenn es drauf ankommt, wären wir es auch. Dennoch bleibt für uns klar: wir wollen das Erfolgsprojekt von CDU und FDP auch über 2022 hinaus fortsetzen.
Könnten Sie sich vorstellen, Juniorpartner einer Regierung zu sein?
Mein Ziel ist, auch die nächste Regierung in Nordrhein-Westfalen anzuführen.
Stellen Sie sich schon auf eine Dreier-Koalition in NRW ein?
Volksparteien und Zweier-Koalitionen wurden schon oft totgesagt und waren dann doch immer wieder erfolgreich. Unsere christlich-liberale Koalition in Düsseldorf ist dafür das beste Beispiel. Mit der CDU Nordrhein-Westfalen ist jedenfalls zu rechnen.
Womit wollen Sie denn bei denn bei den Wählern punkten?
Wir müssen aus dem Klimaschutz-Thema ein Versöhnungsprojekt machen. Das ist ein Generationenprojekt. Es gibt auf der einen Seite die jungen Menschen, die sich große Sorgen machen wegen der globalen Erwärmung, die auch Angst haben. Dann gibt es andere junge Leute, die haben Sorge um ihren Arbeitsplatz und um bezahlbare Mobilität. Wir müssen diese beiden Gruppen junger Leute zusammen- und ihre Interessen in Einklang bringen. Das geht nur, wenn wir konsequenten Klimaschutz betreiben und dabei Industrieland bleiben. Nur so werden wir die gesamte Gesellschaft auf diesem Weg mitnehmen. Nur so wird Klimaschutz auch zum Exportschlager. Nur so werden auch andere Länder auf dieser Erde Klimaschutz umsetzen. Wenn wir unseren Wohlstand verlieren, wird es uns keiner nachmachen.
Mit welchen Themen außerhalb der Corona-Bekämpfung wollen Sie außerdem wahrgenommen werden?
Mir geht es vor allem um die Chancen für junge Leute. Unser Land hat dann alle Chancen, die großen Herausforderungen der Zeit zu lösen, wenn unsere Kinder alle Chancen haben. Die Kinder und Jugendlichen haben in der Pandemie einen hohen, manchmal einen zu hohen Preis gezahlt für den Schutz der Anderen. Gerade Kinder, die beim Lernen zu Hause nicht viel Unterstützung haben, haben in besonderer Weise gelitten. Das muss man ehrlich so sagen. Der Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft hat damit wieder an Schärfe gewonnen und das muss man klar benennen. Wir steuern mit unserer Bildungspolitik dagegen. Mit unseren Talentschulen, weil wir glauben, dass die besten Schulen in die schwierigsten Stadtviertel gehören. Durch Sonderprogramme, die sozial schwächere Kinder mit digitalen Endgeräten ausstatten. Aber es gibt natürlich noch viel zu tun. Grundsätzlich ist mir wichtig, dass wir bei allen Problemen, die groß, manchmal übergroß erscheinen mögen, auch immer die Chancen sehen und sie offensiv nutzen. Sei es beim Klimawandel oder der Corona-Pandemie.
Das heißt, Sie möchten in den nächsten Monaten mehr Optimismus, mehr Zuversicht verbreiten?
Unsere Generation ist so gut ausgebildet und kann so einfach und schnell auf weltweites Wissen zugreifen, dass wir mehr über die Chancen sprechen sollten, mit diesem Wissen Probleme zu lösen. Es gibt keinen Grund zu verzagen. Aus Verzagen und Ängsten erwächst Vieles, was wir an den politischen Rändern sehen – etwa Verschwörungstheorien. Wenn man mitten im Schlamassel steckt und keinen Ausweg sieht, dann werden oftmals Schuldige gesucht. Das ist nicht gut für die Gesellschaft.
Käme es für Sie mittelfristig in Frage, in Berlin ein Spitzenamt zu übernehmen - in der Partei oder in einer Regierung?
Mein Platz ist in Nordrhein-Westfalen. Aber, wie man auch an meiner Tätigkeit als MPK-Vorsitzender sieht, ein nordrhein-westfälischer Ministerpräsident ist auch immer auf Bundesebene gefordert.
Sie sind binnen kürzester Zeit vom Landesverkehrsminister zum obersten Corona-Bekämpfer in NRW und Sprachrohr der Länder im Bund aufgestiegen: Wie hat die Wucht des neuen Amtes Ihr Leben verändert?
Als Ministerpräsident in der Pandemie zu arbeiten, ist natürlich eine große Verantwortung, die auch viel Zeiteinsatz fordert. Die Tage sind auch mal ein bisschen länger geworden. Dennoch bleibt es dabei: Die erste Stunde des Tages am frühen Morgen gehört immer noch meiner Tochter. Das ist mir sehr wichtig.
Die erste Stunde des Tages ist um wie viel Uhr bei Ihnen?
Gegen sechs Uhr.
Ist das Amt des Ministerpräsidenten ein schönes Amt?
Ich glaube, es gibt schönere Momente, ein solches Amt zu tragen als in einer Pandemie. Aber ich trage die Verantwortung mit der von Angela Merkel sprichwörtlich eingeführten „Fröhlichkeit des Herzens“. Bange machen gilt nicht.
Zur Person: Hendrik Wüst ist seit rund zwei Monaten Ministerpräsident von NRW, Chef der NRW-CDU und Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK). Der 46-jährige verheiratete Vater einer kleinen Tochter ist in allen Ämtern Nachfolger von Armin Laschet, der nach seiner gescheiterten Kanzlerkandidatur im Bundestag sitzt. Zuvor war Wüst Verkehrsminister in Laschets schwarz-gelbem Kabinett. (dpa)