Düsseldorf. Am Samstag will die NRW-SPD einen Schlussstrich unter die Wirren der letzten Jahre ziehen. Thomas Kutschaty kandidiert für den Vorsitz.
Fast vier Jahre nach der verlorenen Landtagswahl versucht die NRW-SPD am Wochenende einen Neuanfang. Thomas Kutschaty (52) soll die Partei aus ihrem Umfragetief und in einen guten Wahlkampf 2022 führen. Gegenkandidaten sind nicht in Sicht, aber nach dem Parteitag wartet viel Arbeit auf den Essener. Ein Überblick:
Die Ausgangslage
Ist denkbar schlecht. Während die Grünen den Landtagswahlschock (6,4 Prozent) verdaut haben und der SPD heute mindestens auf Augenhöhe begegnen, erreichten die Sozialdemokraten in ihrem einstigen Stammland Ende Januar in einer Infratest-Umfrage nur 17 Prozent. Die Mitgliederzahl ist unter die 100.000-er Marke gesunken.
Bei der Kommunalwahl 2020 gab es Licht und Schatten. Das symbolisch wichtige Dortmunder Rathaus wurde gehalten, das in Hamm gewonnen, dafür ging die Wahl in Düsseldorf verloren. Die Zahl der SPD-Mandate in Räten und Kreistagen sank um rund 900.
Bis heute nagt die Landtagswahl an der NRW-SPD. Hinter ihr liegen Personalquerelen um Noch-Landesparteichef Sebastian Hartmann und dessen Rivalen Thomas Kutschaty, die erst im Januar endeten, weil Hartmann auf eine erneute Kandidatur verzichtete. Hartmann war über die alte Parteielite zum Spitzenamt gekommen. Im Grunde schickt sich die Partei erst jetzt an, endgültig einen Strich unter die Ära Hannelore Kraft, Norbert Römer und Michael Groschek zu ziehen.
Der Parteitag
Unter dem Motto „Startklar“ treffen sich am Samstag 450 Delegierte und der 38-köpfige Landesparteivorstand zu einem – pandemiebedingt --digitalen Parteitag, bei dem zuerst online und später aus juristischen Gründen per Brief abgestimmt wird. Neben Thomas Kutschaty dürften viele aus der bisherigen Parteispitze für den Vorstand kandidieren, zum Beispiel Generalsekretärin Nadja Lüders, Schatzmeister André Stinka sowie die Vize-Vorsitzenden Veith Lemmen und Marc Herter.
Der Kandidat:
Thomas Kutschaty soll es richten und dürfte den größten SPD-Landesverband in die kommende Landtagswahl führen. Ein Mann, den einst Römer und Groschek nicht als Landtags-Fraktionschef und Parteivorsitzenden haben wollten. Einer, der sich mit SPD-Bundestagsabgeordneten anlegte, weil ihm die „GroKo“ in Berlin missfällt. Einer, der im NRW-Parlament durch forsche Sprüche auffällt („Armin Laschet geht erst dann einen Feuerlöscher kaufen, wenn die Bude längst in Flammen steht.“), den aber jeder zweite NRW-Bürger nicht kennt. Einer, der auf sieben gute Jahre als Justizminister zurückblickt, aber noch gegen Zweifel ankämpfen muss, ob er in die Spuren von SPD-Granden wie Rau und Kraft passt. Und dem als Essener SPD-Chef eine bittere Kommunalwahl-Niederlage anhängt.
Im November, als der Jurist sagte, er wolle SPD-Landesvorsitzender werden, ließ er sich von einem TV-Sender an der „Villa Horion“ vor der Statue von Johannes Rau filmen. Und gestattete im „Bewerbungsschreiben“ erstmals Einblicke in sein Privatleben, um zu beweisen, dass die Sozialdemokratie ein logischer Teil seiner Vita sei: Aufgewachsen in einer Sozialwohnung in Essen. Vater Eisenbahner, Mutter Hausfrau. Der erste, der in der Familie Abitur machte und studieren konnte. Der soziale Aufstieg für Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien sei heute wieder schwerer, kritisiert der Familienvater Kutschaty: Die „Postleitzahl“, also der Wohnort, entscheide über Zukunftschancen von Kindern.
Kutschatys größter Vorteil: Mut, sich gegen Widerstände in der eigenen Partei durchzusetzen. Größter Nachteil: Er kritisiert gern, dafür fehlt ihm noch die positive Ausstrahlung eines möglichen „Landesvaters“.
Die Strategie:
Der Streit in der NRW-SPD drehte sich zuletzt selten um die Inhalte. Sowohl Sebastian Hartmann als auch Thomas Kutschaty sind für einen Umbau des Sozialstaates und die Abkehr von Hartz IV. Der Kampf gegen Kinderarmut, für höhere Besteuerung von Reichen und mehr Klimaschutz ist programmatisch Konsens bei der SPD in Land und Bund. Dies und die Erfahrungen aus der Pandemie spiegeln sich auch im Leitantrag „Solidarpakt Zukunft“ für den Parteitag. Kutschaty will versuchen, diese Themenwolke in eine SPD-Geschichte zu verwandeln, die normale Bürger auch verstehen.
Die Hoffnungen:
Der Bochumer Landtagsabgeordnete Karsten Rudolph bringt auf den Punkt, was alle Delegierten umtreibt: „Ich hoffe sehr, dass mit diesem Parteitag all die personellen Irritationen über die Führung der größten Oppositionspartei vorbei sind.“ Die Lage sei „wirklich ernst“. Dieser Parteitag könne der erste Schritt der SPD zurück auf die große Bühne sein. Noch eine Hoffnung verbindet die SPD: Die Union in NRW würde geschwächt, sollte sich der neue CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet auf Dauer nach Berlin verabschieden.