Bochum. “Wir setzen die Segel auf Rot pur“, heißt es bei der NRW-SPD. Von Hartz IV in seiner bisherigen Form will die Partei nichts mehr wissen.
Die NRW-SPD versucht nach der verlorenen Landtagswahl einen Neuanfang, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Doch „das bessere Morgen“, das die gebeutelte Partei anstrebt, beginnt mit einer Reise in die Vergangenheit: Zurück zu den Wurzeln, ist die Devise. Zurück zu jenen Idealen, mit denen die SPD in der Schröder-Ära gründlich aufgeräumt hatte. Die Sozialdemokratie an Rhein und Ruhr rückt programmatisch weit nach links.
„Wir setzen die Segel auf Rot pur“, rief NRW-SPD-Chef Sebastian Hartmann im Bochumer Ruhrcongress. Und: „Die Gesellschaft, die wir wollen, ist nicht kalt und herzlos.“ Der ganze Vorstand hält diesen Kurs für richtig, fast einstimmig folgten die 450 Delegierten. Der Applaus für den Vorsitzenden fiel allerdings nur höflich und nicht wirklich herzlich aus.
Linken-Spitze gehörte zu den Gästen
In Hartmanns Wortwahl spiegelte sich der Schwenk nach links. In jedem dritten Satz beschwor er die „Solidarität“. Grund und Boden müssten „der Spekulantenhand entrissen“ werden, um bezahlbare Wohnungen bauen zu können. Ein „grenzenloser Kapitalismus“ bedrohe die Demokratie. Die Arbeitswelt von heute bringe ein „neues, digitales Proletariat“ hervor, dessen Sehnsucht nach Sicherheit größer werde.
Bemerkenswert: Zu den herzlich begrüßten Gästen in Bochum zählte die Doppelspitze der NRW-Linkspartei, Inge Höger und Christian Leye. Sie seien zum ersten Mal eingeladen worden, sagte Leye. Auf dem Weg zum ihrem Leitantrag „Rot pur“ hatte die NRW-SPD auch den Rat des Armutsforschers Christoph Butterwegge eingeholt. Der parteilose Professor war 2017 für die Linke Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten.
Höhere Steuern für Reiche, mehr Geld für Arbeitslose und Kinder
Die NRW-SPD beschäftigt sich im „Rot pur“-Programm vor allem mit bundesweit wichtigen Themen. Der größte SPD-Landesverband übt damit Druck auf die ganze Partei aus. Er fordert unter anderem: Eine höhere Besteuerung für Reiche; eine Abschaffung des Hartz IV-Systems zugunsten einer bedingungslosen Grundsicherung von 570 Euro und einer Kindergrundsicherung von 628 Euro monatlich; 12 Euro Mindestlohn; höhere Altersbezüge und eine Abkehr von der einst von der SPD selbst eingeführten „Riester-Rente“; mehr sozialen Wohnungsbau unter staatlicher Kontrolle.
Mit der Großen Koalition im Bund scheinen die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen schon gebrochen zu haben. „Die Menschen fragen immer wieder: Wie unterscheidet ihr euch eigentlich noch von der Union?“, sagte SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty. Die DGB-Landesvorsitzende Anja Weber warnte zwar in Bochum: „Macht die Berliner Koalition nicht schlechter als sie ist.“ Ohne die SPD in der Bundesregierung dürften die vom Braunkohleausstieg betroffenen Regionen jetzt nicht mit so viel Unterstützung rechnen. Nennenswerten Applaus bekam Weber für diese Haltung aber nicht.
Harte Attacken auf Laschet und Reul
Das Thema, das am vergangenen Wochenende ganz Deutschland bewegte – die Fridays-Demonstrationen und das Klimapaket der Bundesregierung – ging bei den Sozialdemokraten in Bochum fast unter. Bundesumweltministerin Svenja Schulze verteidigte nur am Rande des Parteitags vor Journalisten den Kompromiss der Großen Koalition. Sie hätte sich zwar einen höheren Preis für das klimaschädliche CO2 gewünscht, aber noch vor einem Jahr sei solch ein Preis noch grundsätzlich undenkbar gewesen.
Die noch immer offenen Fragen rund um die Umstände der Räumung des Hambacher Forstes vor einem Jahr nutzte Hartmann zu einer Abrechnung mit der Landesregierung. Der Hambacher Forst sei die „Abbruchkante“ und der Anfang vom Ende der Regierung Armin Laschet. Der Ministerpräsident habe „auf Kommando eines Konzerns erst die Polizeiknüppel schwingen lassen“ und sei danach auf Tauchstation gegangen. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), der zuletzt von Grünen und SPD im Landtag als Handlanger des RWE-Konzerns bezeichnet wurde, sei entweder „amtsunfähig oder ein notorischer Lügner“, so Hartmann.
Linken-Vorsitzender Christian Leye sagte am Rande des Parteitags, es sei, „überfällig“, dass sich die SPD wieder mehr um die soziale Gerechtigkeit kümmere. Den neuen Kurs beobachte er „mit Interesse“.