Düsseldorf. In der Krise richten sich fast alle Augen nur auf die Regierenden. Die Opposition in NRW hat es derzeit schwer, mit ihrer Meinung durchzudringen.
„Opposition ist Mist“, sagte einst Franz Müntefering in Berlin kurz vor seiner Wahl zum SPD-Vorsitzenden. 16 Jahre später gäbe es in NRW für SPD und Grüne gute Gründe, den klassischen Satz des knorrigen Sauerländers „Münte“ noch mit drei fetten Ausrufezeichen zu versehen. Denn in der Krise dringt die Opposition kaum noch durch. Armin Laschet und sein Kabinett haben seit März praktisch die ganze politische Bühne für sich.
Freitagmorgen, Landtag: Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) und sein Fraktionskollege Stefan Zimkeit laden zur Pressekonferenz. Ihr Thema: „Sozialer Neustart“. Eine Handvoll Journalisten kommt, ein paar schauen per Videostream zu. Wenig später lädt die Staatskanzlei zum Gespräch. Die Runde ist groß, die Musik spielt an diesem Morgen einmal mehr bei den Regierenden.
SPD-Fraktionschef lobt Test-Strategie von Markus Söder (CSU)
Es ist fast schon tragisch, wie sehr die Opposition gerade aus dem Blickfeld gerät. Im Grunde können die, die nicht regieren, nur möglichst eingängige Sätze sagen und auf grobe Fehler der anderen warten. Thomas Kutschaty versucht es mit harten Vorwürfen. Er wirft Armin Laschet (CDU) zum Beispiel „Fahrlässigkeit“ vor, weil der Ministerpräsident in NRW nicht, wie Markus Söder (CSU) in Bayern, flächendeckende Coronatests will, sondern nur dort, „wo es brennt“. „Laschet geht also erst dann einen Feuerlöscher kaufen, wenn die Bude längst in Flammen steht“, sagt Kutschaty. In der Hoffnung, dass sich solche Sätze einbrennen und Wirkung erzielen. Die Gefahr ist dabei, dass er überdreht und als Sprücheklopfer endet.
Um Laschet zu ärgern, stellt Kutschaty dessen im Moment sehr populären bayerischen Rivalen Söder als leuchtendes Vorbild bei den Testungen dar. Genügend Kapazitäten für groß angelegte Tests gäbe es auch in NRW, sagt er. Zumindest in Altenheimen, Kliniken, in Schulen und Kitas könnten Menschen hierzulande regelmäßig auf den Virus getestet werden.
Sigmar Gabriel enttäuscht ausgerechnet jetzt seine Partei
Für einen Moment begibt sich der Essener auf sehr dünnes Eis, als er die Kontakte der NRW-Politik zum Fleischbaron Clemens Tönnies verteufelt. Alle, die ihm zuhören, denken gleich an den früheren SPD-Chef Sigmar Gabriel, der sich gerade für seinen gut bezahlten Berater-Job bei Tönnies rechtfertigen muss, und grinsen sich eins. „Ich bin maßlos enttäuscht von Gabriel“, kriegt Kutschaty dann doch noch die Kurve. Der Ex-Vizekanzler solle sich mal daran erinnern, was er selbst früher von der Fleischindustrie gefordert habe.
Die Momente, in denen Kutschaty als Oppositionsführer punkten kann, sind rar, seit der Ministerpräsident und seine Minister eine nachrichtenstarke Video-Pressekonferenz nach der nächsten abliefern. Manchmal gleich zwei am Tag. Zur Maskenpflicht, zum Fördergeld für Not leidende Künstler, zur Lage in Warendorf und Gütersloh. Neulich, bei Laschets Regierungserklärung im Parlament, hatte Kutschaty mal die Bühne, die er sich wünscht. Da warf er dem Regierungschef Alleingänge beim Corona-Krisenmanagement vor: „Weil sie mit dem Kopf durch die Wand und als schillernder Sieger vom Platz gehen wollen.“
Regierung kann sich nur selbst ein Bein stellen
Das Warten auf Fehler der Regierenden scheint derzeit für SPD und Grüne Erfolg versprechender zu sein als prägnante Forderungen und markante Sätze. Die Pressekonferenz der Landesregierung mit dem Bonner Virologen Hendrik Streeck im April zu Zwischenergebnissen der „Heinsberg-Studie“ hallt heute noch nach, weil der Professor in den Verdacht geriet, eine Gefälligkeitsstudie für die Regierung geschrieben zu haben. Ein Auftritt Armin Laschets in der Sendung „Anne Will“ im April geriet zum Fiasko, weil er unbedacht über Virologen und die Kommunen im eigenen Land herzog.
Das Problem für die Opposition ist nur: Einer wie Laschet, der trotz aktuell mauer Umfragewerte weiter als künftiger CDU-Bundesvorsitzender und möglicher Kanzlerkandidat der Union gehandelt wird, hat wenigstens die Chance, von „Will“, „Lanz“, „Illner“ & Co. eingeladen zu werden, weil er als wichtiger Player gilt.
Und so experimentieren Thomas Kutschaty, Grünen-Fraktionschefin Monika Düker oder SPD-Landesvorsitzender Sebastian Hartmann mit eigenen, kleinen Video-Konferenzen, rufen an, bringen sich in Erinnerung. Es ist ein mühsames Geschäft, sich aus diesem „Lockdown“ zu befreien. Opposition ist Mist. Heute noch mehr als sonst.