Düsseldorf. Die so harmonisch gestartete Regierung Laschet gibt nach zehn Monaten Pandemie ein unsortiertes Bild ab. Chronologie einer Entfremdung.
Bloß keine „Schnellschüsse“ bei schärferen Corona-Maßnahmen, warnte Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) noch am Dienstag und stellte sich gegen den Rat aus Wissenschaft und anderen Bundesländern. Keine 24 Stunden später kündigte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) einen „echten Jahresend-Lockdown“ an. Die 2017 so harmonisch gestartete schwarz-gelbe Koalition gibt nach bald zehn Monaten Pandemie ein unsortiertes Bild ab. Wie konnte es soweit kommen? Chronologie einer Entfremdung.
1. Pandemie-Gesetz: Ende März attackiert die FDP das weitreichende und handwerkliche schlecht gemachte „Notstandsgesetz“ der eigenen Regierung, das Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) im Krisenfall weitreichende Befugnisse sichern sollte. Im Zusammenspiel mit der Opposition wird es entschärft.
2. Lockerungsdebatte: Im April legt die FDP-Landtagsfraktion ein Positionspapier „Risikoorientierter Stufenplan für eine schrittweise Öffnungsstrategie" vor. Auch Laschet dringt immer deutlicher auf "verantwortungsvolle Normalität" und nennt Infektionszahlen eine "fast irrelevante Frage“. Die FDP wehrt sich gegen Kritik der Kanzlerin an "Lockerungsdiskussionsorgien". In einem missratenen Talkshow-Auftritt bei „Anne Will“ leistet sich Laschet wilde Virologen-Schelte. NRW steht plötzlich bundesweit als Hort risikofreudiger Lockerungen da.
Umfragewerte brechen im Sommer regelrecht ein
3. Maskenpflicht: Nach einigem Hin und Her verhängt NRW im April eine Maskenpflicht beim Einkaufen und im Öffentlichen Nahverkehr. Weil man immer wieder ausscheren will aus der strengen und populären Pandemie-Bekämpfung der Kanzlerin, macht in den Sozialen Netzwerken der Hashtag "Laschet fordert..." Karriere. Die Umfragewerte des NRW-Ministerpräsidenten fallen über den Sommer in sich zusammen: Nur noch 46 Prozent der Bürger sind im Juni mit seiner Arbeit zufrieden – ein Minus von 19 Punkten binnen zwei Monaten.
4. Handel: Im Mai ringen Gesundheitsminister Laumann und Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) um Ladenöffnungen und die Frage, ob Geschäfte ihre Quadratmeterzahl auf 800 Meter Verkaufsfläche reduzieren dürfen. „Es reicht nicht aus, die oberen Etagen eines Kaufhauses für die Kunden zu schließen", findet Laumann. Am Ende wird gelockert.
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Weihnachtsferien vorziehen? Erst hü, dann hott
5. Schulöffnungen: Im Mai pfeift Laschet öffentlich Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) zurück, die kurz zuvor die Öffnung der Schulen in einem rollierenden System verkündet hat. Das werde „korrigiert“, stellt der Regierungschef klar. Gebauer hat zu diesem Zeitpunkt längst einen schweren Stand. Das Schulministerium ist kein „klassisches“ FDP-Ressort. Hier gibt es für die Liberalen angesichts mächtiger Interessenverbände wenig zu gewinnen.
6. Wechselunterricht: Die Stadt Solingen will im Oktober wegen hoher Infektionszahlen Klassen an allen Schulen teilen und abwechselnd digital unterrichten. Das entspricht den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI), um Abstände einhalten zu können. Gebauer verbietet den „Solinger Weg“ und verweist später darauf, dass allenfalls einzelne Schulen sich das Wechselmodell genehmigen lassen dürften. Selbst CDU-Kommunalpolitiker äußern hinter vorgehaltener Hand Unmut über diese Illusion eines normalen Regelunterrichts in Corona-Zeiten.
van Laack-Affäre: Dröhnendes Schweigen der FDP
7. Weihnachtsferien: Schulministerin Gebauer bezeichnet im Oktober den Vorschlag, mit frühzeitigen Weihnachtsferien Kindern eine „Vorquarantäne“ für Familienbesuche an den Festtagen zu ermöglichen als „untauglich und unnötig“. Ministerpräsident Laschet verkündet kurz darauf genau dieses Vorziehen des Ferienstarts auf den 18. Dezember in einer Fernsehsendung.
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8. Kanzlerambitionen: Offiziell unterstützt die FDP die Kanzlerambitionen von Ministerpräsident Laschet. „Ich traue ihm das Amt des Bundeskanzlers ohne Wenn und Aber zu, er würde das sehr gut machen“, betont FDP-Landeschef Joachim Stamp noch im September. Hinter den Kulissen zeigen sich manche Liberale jedoch zunehmend genervt, dass Laschet seit einem Jahr im parteiinternen Wahlkampf um den CDU-Bundesvorsitz steckt - und dass 2021 die Hängepartie zwischen Düsseldorf und Berlin mit einer Kanzlerkandidatur inklusive Rückfahrkarte weitergehen soll. Mehr Konzentration aufs Regierungshandwerk wäre gut, wird gemahnt.
9. Lockdown light I: Laschet beschließt in der Ministerpräsidenten-Konferenz mit der Kanzlerin einen „Wellenbrecher-Lockdown“ für November. Die FDP hadert mit der Entscheidung. Landtagsfraktionschef Christof Rasche sagt ultimativ: „Die Maßnahmen müssen auf den November beschränkt bleiben“. Die Liberalen fordern mehr parlamentarische Mitsprache. Wirtschaftsminister Pinkwart (FDP) klagt: „Es ist schmerzhaft, dass jetzt Branchen wie das Hotel- und Gaststättengewerbe Sonderlasten für die Gesellschaft tragen müssen, obwohl der Nachweis fehlt, dass sie Verursacher der Krise sind."
Lockdown: FDP will ihn nicht und muss doch Verlängerung hinnehmen
10. Koch und Kellner: Laschet ist beim Koalitionspartner FDP wegen seiner umgänglichen Art persönlich beliebt. Mitten in den Lockdown-Debatten sorgt der Regierungschef bei einer liberalen Fraktionsklausur für gute Stimmung. Doch wer ist in dieser Koalition Koch und wer Kellner? In einer oft konfusen Regierungskommunikation bleibt – anders als etwa in Bayern - unklar, wer für diese Koalition spricht. Über eine „liberale Regierungsbeteiligung mit beschränkter Haftung“ spotten bereits die NRW-Grünen.
11. Lockdown light II und heavy III: Nach der Ausdehnung des Lockdowns auf den Dezember sagt FDP-Fraktionschef Rasche nunmehr: „Die FDP wird sich einer Verlängerung der Maßnahmen nicht widersetzen, auch wenn wir uns einen anderen Weg und eine längerfristige Strategie gewünscht hätten." Am Mittwoch kündigt Laschet dann sogar einen „echten Jahresend-Lockdown“ an, während Stamp tagszuvor noch zum Abwarten geraten hat.
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12. Van Laack-Affäre: Laschet steht wegen Klüngel-Verdachts bei einer millionenschweren Bestellung von Corona-Schutzausrüstung unter Druck. Sein Sohn ist mit dem Auftragnehmer van Laack geschäftlich verbandelt und hat den Kontakt zum Vater hergestellt. Von der FDP dazu seit Tagen: dröhnendes Schweigen.