Düsseldorf. Abschlussbericht zur Kontrolle zeigt: Die Arbeitsbedingungen in vielen Schlachthöfen verletzen die Menschenwürde. Sagt der NRW-Arbeitsminister.

Die Arbeitsbedingungen in vielen Schlachthöfen in NRW „verletzt die Würde von Menschen“, sagt Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Er hat dem Landtag den Abschlussbericht der Kontrollaktion „Faire Arbeit in der Fleischindustrie“ vorgelegt. 26 von 30 überprüften Großbetrieben beuten ihre Mitarbeiter aus.

Dass die Arbeitsbedingungen in vielen Betrieben der NRW-Fleischindustrie „katastrophal“ sind und viele Arbeitnehmer aus Südosteuropa hierzulande übel ausgebeutet werden, war den NRW-Behörden schon im Herbst klar, als die ersten Ergebnisse von Arbeitsschutz-Kontrollen in 30 großen Betrieben mit insgesamt 17.000 Beschäftigten vorlagen. Nun, drei Monate später, steht das ganze Ausmaß der Verstöße fest. Es übertrifft die schlimmsten Befürchtungen.

Beispiele wie dieses scheinen typisch zu sein für diese Branche: Die Kontrolleure kamen unangekündigt auf den Schlachthof und verlangten die Arbeitszeitaufzeichnungen von 100 Beschäftigten für die vergangenen fünf Wochen. Das Ergebnis machte die Prüfer fassungslos: Sie stießen auf 697 Arbeitszeitverstöße. Die Schlachter arbeiteten regelmäßig mehr als die erlaubten zehn Stunden am Tag. An einigen Tagen wurden Schichten von fast 16 Stunden eingefordert, einer der Arbeiter absolvierte dieses Pensum sogar nachweislich ohne Pause.

Tag für Tag, Woche für Woche ohne Lärmschutz

In einer Kuttelei, in der Därme gereinigt werden, wurde eine ganze Arbeiterkolonne angetroffen, die sich ohne Gehörschutz während der ganzen Schicht in einem Lärmbereich aufhielt, „und das womöglich Woche für Woche“, wie im Abschlussbericht der Überwachungsaktion „Faire Arbeit in der Fleischindustrie“ steht. Schwerhörigkeit sei hier praktisch vorprogrammiert.

Die Beschäftigten von Werkvertragsfirmen in der Fleischwirtschaft in NRW – meist Rumänen, Bulgaren, Polen und Ungarn – werden dem Bericht zufolge systematisch benachteiligt. Indem ihnen mit fadenscheinigen Begründungen Lohn abgezogen wird, indem sie keine Schutzkleidung bekommen oder in miserablen Behausungen hausen müssen. Die Schlachthofbetreiber müssen im Gegensatz zu ihren Werkvertragsfirmen rechtlich keine Verantwortung für Mängel beim Arbeitsschutz übernehmen. „Diese Situation ist nicht akzeptabel. Sie verletzt die Würde von Menschen, die sich aus ihrer Heimat auf den Weg machen, um für ihre Familien und sich ein besseres Leben zu erarbeiten“, schreibt NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in einem Brief an Landtagspräsident André Kuper.

Mängel in 85 Prozent der kontrollierten Betriebe

In 26 der 30 kontrollierten Betriebe stellten Beamte „eine hohe Anzahl teils gravierender Arbeitsschutzmängel“ fest. Nur vier Firmen schnitten etwas besser ab. Im Vergleich zur ersten, vorläufigen Bilanz der Kontrollen im Herbst hat sich die Zahl der festgestellten Arbeitszeit-Verstöße fast verdoppelt – auf 5800. Insgesamt zählten die Behörden 8752 Verstöße. Im Oktober wurde von 900 Fällen berichtet, in denen die Vorschriften der arbeitsmedizinischen Vorsorge missachtet wurden. Am Ende sind es annähernd 2500. Die Zahl der technischen Arbeitsschutzmängel verdreifachte sich auf fast 300. Dazu zählen zugestellte Fluchtwege, gefährliche Arbeitsgeräte, fehlende Schutzausrüstung und Umgang mit gefährlichen Substanzen.

Dazu kommen „Verdachtsmomente“ zu Verstößen gegen den Mindestlohn und zu menschenunwürdigen Quartieren mit unerlaubten Vorschriften wie „Mieter darf keine Gäste empfangen“. Zu den Tricks bei der Bezahlung gehören Lohnkürzungen für Miete, für Schutzausrüstung und Transport. In dem Bericht steht ein Auszug aus einem Arbeitsvertrag mit einer „Rückzahlungsvereinbarung“. Demnach dienen die ersten zwei Monate der Beschäftigung zur Aus- und Fortbildung. Kündigt der Arbeitnehmer den Vertrag vor Ablauf von zwei Jahren oder setzt ihn das Werkvertrag-Unternehmen „aus einem wichtigen Grund“ vor die Tür, muss er die ersten beiden Monatsgehälter zurückzahlen.

Vorschriften scheinen wirkungslos zu sein

Vor drei Jahren verabschiedete der Bundestag das „Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft“ (GSA-Fleisch). Es sollte auch den Beschäftigten von Subunternehmern faire Löhne und humane Arbeitsbedingungen bescheren. Das scheint aber nicht zu wirken. Weder die Selbstverpflichtungen der Unternehmen noch das GSA-Fleisch hätten die Situation hinreichend verbessern können, heißt es im Abschlussbericht.

Die Landesregierung schlägt dem Bund nun vor, alle Unternehmen der Fleischindustrie – auch Werkvertragsunternehmen – zu einer digitalen Arbeitszeitaufzeichnung zu verpflichten, die von den Behörden „leicht und manipulationsfrei“ überprüft werden könne. Bußgelder sollten künftig so gestaltet werden, dass sie die vielen schwarzen Schafe in der Branche tatsächlich abschrecken, Schlachthöfe sollten damit rechnen müssen, „dass mindestens einmal im Jahr die Arbeitsschutzverwaltung massiv vor der Tür steht“.