Düsseldorf. . Serap Güler gehört zu den interessantesten Akteuren in der CDU Ihr Lebensweg begann im Ruhrgebiet, zwischen ehrlichen Malochern

Kopftuch, doppelte Staatsangehörigkeit, Fremdenhass und Antisemitismus – die Themen der Integrations-Staatssekretärin Serap Güler gehören zu den anspruchsvollen im politischen Geschäft. In Talkshows überrascht sie, weil das Publikum so eine Frau nicht gleich mit der Union zusammenbringt: Muslima aus einer Arbeiterfamilie im Ruhrgebiet, Twitter-affin, großstädtisch.

Die 39-Jährige ist eine der spannendsten Figuren in der CDU. Sie gehört zu einer Handvoll ehrgeiziger junger Politiker aus NRW, die die CDU von morgen prägen könnten: Staatskanzlei-Chef Nathanael Liminski (34), Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (39) und CDU/CSU-Bundestags-Fraktionsvize Carsten Linnemann (42).

Der „Dammbruch“ von Thüringen, die Wahl eines FDP-Kandidaten mit Hilfe der AfD, hat die Zerrissenheit innerhalb der CDU offen gelegt: Die Identitätskrise, die Reibung zwischen Liberalen und Konservativen, die Gräben zwischen West und Ost, der Kampf um die Kanzlerkandidatur, die Schwächen der Noch-Vorsitzenden „AKK“, der Autoritätsverlust der Noch-Kanzlerin Angela Merkel. Serap Güler wird in diesen für die Union so unruhigen Zeiten in Medienberichten sogar für mögliche kommende Aufgaben in der Bundesregierung gehandelt.

"NRW-CDU ist weiter als die CSU in Bayern"

Güler könnte in diesen Parteiwirren zugute kommen, dass sie einen klaren Kompass hat. Der zeigt verlässlich nach vorne, nicht zurück. Als zuletzt im bayerischen Wallerstein Sener Sahin, ein gut integrierter Zugewanderter, nicht Bürgermeisterkandidat der CSU werden durfte, weil die Parteibasis dort keinen Muslim duldete, hielt Güler hart dagegen. „Was den Umgang mit Mitgliedern mit Einwanderungsgeschichte betrifft, ist die CDU in NRW weiter als die CSU in Bayern“ beteuert sie. Es gebe inzwischen viele Christdemokraten mit Zuwanderungsgeschichte bei der Union an Rhein und Ruhr. Der wohl bekannteste Satz von Güler über ihre Partei mit dem „C“ im Namen ist einer, an dem sich manch ein Gestriger wohl trefflich reiben kann: „Die CDU ist kein Christenclub“.

Güler gehört in diesem „Club“ schon lange zum Bundesvorstand, was ihrem Förderer, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, viel Freude beschert. Laschet erkannte ihr Talent, als er noch NRW-Integrationsminister und Güler, die damals Serap Celen hieß, Referentin in seinem Büro war. Neben Güler, die 2012 ein Landtagsmandat erreichte, machte in jener Zeit mit Cemile Giousouf eine andere Türkeistämmige aus NRW in der Partei Karriere, ebenfalls mit Laschets Unterstützung. Giousouf schaffte 2013 den Sprung in den Bundestag. Es sind Lebensläufe, die Migranten, Frauen zumal, nicht in die Wiege gelegt wurden.

"Entspannte" Kindheit in Marler Bergarbeitersiedlung

Marl, nördliches Ruhrgebiet, 1980-er Jahre. In dieser damals pulsierenden Industrielandschaft wächst die kleine Serap auf: Tochter türkischer Migranten, damals „Gastarbeiter“ genannt, in einer Bergarbeitersiedlung nahe der Zeche Auguste Victoria. „Typisch Ruhrgebiet würde ich sagen“, erinnert sich die Politikerin. Angenehm sei es dort gewesen. „Es wurde oft gegrillt. Polen, Türken, Griechen, Deutsche saßen dann zusammen.“ Ihr Vater Nail Celen malocht unter Tage, der ältere Bruder auch, ihre Mutter Sevim ist Hausfrau. Von Integration ist damals noch nicht die Rede. Vom Ringen um die eigene Identität auch nicht. Güler erinnert sich gern an diese Zeit: „Ich habe mich, wie die meisten in meiner Umgebung, damals einfach als Türkin gesehen. Es gab noch nicht diese Zerrissenheit, diese schweren Debatten, diesen ständigen Druck, die eigene Identität zu erklären. Es war alles viel entspannter.“ Heute sei das Leben für junge Menschen mit Einwanderungsgeschichte komplizierter als für die Kinder, die damals in den Bergarbeiterquartieren groß wurden.

Familie insistierte: Mach' das Abitur

Diese Nachbarschaft bietet dem Mädchen in den 1980-er und 90-er Jahren Geborgenheit. Eine gute Basis, um Karriere zu machen, ist diese Umgebung allerdings nicht. Die meisten Kinder hier gehen mit dem Realschulabschluss von der Schule. Dann machen sie eine Lehre. Ans Studieren denkt hier fast niemand. Vor wenigen Tagen, als der Rapper Eko Fresh in Duisburg-Marxloh seinen Song „1994“ präsentierte, sang er eine Zeile, die jene Zeit in Marl recht gut einfängt: „War für uns der Weg vorherbestimmt, arbeiten zu gehen“, heißt es in dem Lied.

Serap Güler stemmte sich gegen diese Bestimmung und hatte das Glück, dass ihre Familie sie zum Lernen ermutigte. Dabei stammt sie aus einem „bildungsfernen Haushalt“, wie man heute sagen würde. Vater Nail hat in der Türkei nach der 5. Klasse die Schule verlassen, der Bruder hat einen Hauptschulabschluss. Serap aber will und soll mehr erreichen. Sie macht das Fachabi und möchte danach arbeiten. Aber der Vater, die Mutter, der Bruder insistieren energisch: „Häng noch ein Jahr dran. Mach das Abitur!“

Gespräche mit Jugendlichen über Auschwitz

Seit der Landtagswahl 2017 ist Serap Güler Staatssekretärin im Integrationsministerium und kann den Ministerpräsidenten bei Terminen vertreten, zum Beispiel Ende Januar im Kolping-Berufsbildungswerk in Essen. Es ist ein Abend, der die sensible Seite der Politikerin erfordert. Denn das Thema ist Auschwitz.

„Das ist so grausam. Unglaublich, dass Menschen anderen Menschen das antun“, sagt Patrizia. Die 16-Jährige hält eine Rose in der Hand, ihre Freundin Pia (19) ebenfalls. Die beiden Mädchen, Auszubildende des Kolping-Werkes, haben kurz zuvor ein Theaterstück über das finsterste Kapitel der deutschen Geschichte aufgeführt. Sie haben mit anderen Azubis auf der Straße mit Menschen über den wieder aufkommenden Hass auf Juden gesprochen. Sie haben ihrem Publikum aufwühlende Fragen zugerufen: Was ist ein Ghetto? Warum haben die Nachbarn damals geschwiegen? Nach dem Schlussapplaus reden Pia und Patrizia mit Serap Güler, die vor der Aufführung eine Rede gehalten hat. Mit Botschaften wie dieser: „Die Anständigen, die Demokraten sind noch viel zu leise. Lassen sie uns lauter werden.“

Shitstorms, Hass und Häme

Nicht leise sein. Laut sagen, was man denkt – das ist nicht nur eine Lehre aus der Geschichte, es ist auch ein Lebensmotto der 39-Jährigen Kölnerin. Serap Güler lässt sich nicht den Mund verbieten. Damit verschafft sie sich Respekt. Damit eckt sie aber auch an. Heute mehr noch als früher, weil sie als Staatssekretärin ständig in der Öffentlichkeit steht. Shitstorms, also massive, beleidigende Kritik in sozialen Netzwerken, hat sie schon als Landtagsabgeordnete erlebt. Hass und Häme seien noch stärker geworden, seit sie der Landesregierung angehört, erklärt sie. Ermutigung und Unterstützung aber auch.

Sie erntet Lob und Kritik dafür, dass sie ein Pflegeabkommen zwischen der Türkei und Deutschland fordert, damit sich Türkei-Zuwanderer der ersten Generation in der Türkei pflegen lassen können. Oder für ihren Vorstoß, der ersten Gastarbeiter-Generation die doppelte Staatsangehörigkeit (Doppelpass) zu ermöglichen. 2018 sorgte Güler bundesweit für Aufsehen, als sie sich dafür aussprach, Kleinkindern in staatlichen Einrichtungen das Tragen von Kopftüchern zu verbieten. Ein solches „Kopftuchverbot“ wird es in NRW zwar doch nicht geben. Es ist rechtlich umstritten. Güler hält es aber nach wie vor für richtig.

Keine Wunscherfüllerin für Migranten-Verbände

Während der eine oder andere Altgediente in der CDU noch daran gewöhnen muss, dass diese Partei kein „Christenclub“ ist, müssen Repräsentanten von Migranten verdauen, dass die Landespolitikerin Serap Güler nicht einfach ihre Wunscherfüllerin in der NRW-Regierung ist. Das zeigte sich beim Streit um den Umbau der kommunalen Integrationsräte in so genannte Integrationsausschüsse. In Köln gerieten Güler und der renommierte Chef des Landesintegrationsrates, Tayfun Keltek, 2017 deshalb hart aneinander. „Wir brauchen keine Kaffeekränzchen, die sich damit beschäftigen, das nächste Straßenfest zu organisieren“, sagte Güler damals. Keltek warf sie sogar eine „Ego Show“ vor. Der Kölner Integrationsrat schimpfte daraufhin, man sei „bestürzt, irritiert und nachhaltig verärgert“.

Kein Blatt vor den Mund nimmt Güler auch immer dann, wenn sie nach der Türkei unter dem autokratisch regierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gefragt wird. Für die AfD ist Güler ein Gegner. Die Rechtspopulisten unterstellen der durch und durch demokratischen Politikerin gar, mit türkischen Faschisten zu „tanzen“.

Fettnäpfchen Herrenwitz

Ausgerechnet einem unbedachten Satz über Serap Güler hatte es im Februar 2017 der damalige NRW-Integrationsminister Rainer Schmeltzer (SPD) zu verdanken, dass er bundesweit in die Schlagzeilen geriet. Weil er seine Gegenspielerin im Landtag als „gut aussehende schwarzhaarige Dame“ bezeichnete, deren Pressemitteilungen „Gott sei Dank“ keiner abdrucke, hatte Schmeltzer plötzlich eine Sexismus-Debatte am Hals. Ironie des Schicksals: Schmeltzer ist heute einfacher Landtagsabgeordneter, Güler ist Regierungsmitglied.

Wohin führt der Weg der Staatssekretärin Serap Güler? Wird sie künftig auch in Talkshows und zu Interviews eingeladen werden, die sich nicht um Kopftuch, Staatsbürgerschaft oder Erdogan drehen? Möglich ist das schon. Der Rapper Eko Fresh singt in dem Song „1994“ über die Nachkommen der ersten Zuwanderer-Generation: „Ihr werdet es im Leben einmal deutlich weiter bringen.“ Optimismus ist angebracht. Serap Gülers politischer Weg führte fast direkt nach oben. Und dürfte noch nicht zu Ende sein.

Zur Person:

Name: Serap Güler geb. Celen
Geburtstag: 7. Juli 1980
Geburtsort: Marl
Wohnort: Köln
Familienstand: verheiratet
Staatsangehörigkeit: deutsch (seit 2010)
Beruflicher Werdegang: Abitur, Ausbildung zur Hotelfachfrau, Magister in Kommuniktionswissenschaften und Germanistik, Referentin im Büro des Integrationsministers, Pressesprecherin im Gesundheitsministerium, Regierungsrätin.
Politischer Werdegang: 2009 Eintritt in die CDU, 2012 Landtagsabgeordnete und Mitglied im CDU-Bundesvorstand, 2014 stellvertretende Vorsitzende der CDU in Köln, seit 2017 Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration im Kabinett von Armin Laschet.

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