Berlin. . In ganz Deutschland fordern Intensivmediziner harte Corona-Maßnahmen. Die Lage auf den Stationen wird derweil immer dramatischer.
Die Situation auf den Intensivstationen von Deutschlands Krankenhäusern spitzt sich massiv zu. Von Niedersachsen über Thüringen, über Brandenburg, Sachsen, Berlin, Hamburg oder Nordrhein-Westfalen.
- Auf einen Blick: So ist die Lage auf den Intensivstationen
Allerorts warnen Intensivmediziner vor weiter steigenden Corona-Infektionszahlen und den damit einhergehen Folgen für die medizinische Pflege. Denn je höher die Corona-Infektionszahlen, desto mehr Corona-Erkrankte müssen auf den Intensivstationen behandelt werden.
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Hamburg: UKE verzeichnet neuen Höchststand an Corona-Intensivpatienten
In Hamburg leitet Prof. Stefan Kluge die Intensivmedizin des Universitätsklinikums Eppendorf, dort musste am Donnerstag die dritte Corona-Intensivstation eröffnet werden. „Die Situation ist sehr angespannt“, sagt der Mediziner auf Nachfrage unserer Redaktion am Telefon. „Wir haben inzwischen den Höchststand an COVID-19-Intensivpatienten im UKE überschritten, den wir bisher in der zweiten Welle im Dezember verzeichnet hatten.“ Und er warnt: „Die nächsten Tage werden sehr kritisch und deutlich anstrengender für das medizinische Personal.“
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Auch Michael Hallek, Direktor der Universitätsklinik in Köln, sieht einen weiteren Anstieg der Intensivpatienten mit dem Coronavirus voraus: „Das bedeutet, dass wir statt im Moment 4700 Corona-Patienten auf Intensivstationen in Deutschland insgesamt in ein paar Wochen 6000 oder 7000 Patienten behandeln werden müssen“, sagte er in den „Tagesthemen“.
RKI: Zahl der Neuinfektionen steigt nach Ostern wieder stark an
Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 23.804 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 219 neue Todesfälle verzeichnet. Das geht aus Zahlen von Samstag hervor. In seinem aktuellen Lagebericht schreibt das RKI: Nach einem vorübergehenden Rückgang der Fallzahlen über die Osterfeiertage setzt sich der starke Anstieg der Fallzahlen fort. Besonders in den jüngeren Altersgruppen seien die Zahlen gestiegen. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner lag bundesweit bei 160,7. Am Vortag hatte das RKI diese Sieben-Tage-Inzidenz mit 160,1 angegeben, vor vier Wochen hatte sie noch bei 99,9 gelegen.
Auch Stefan Kluge aus Hamburg kann bestätigen, dass sich der Altersdurchschnitt der Menschen mit Corona auf den Intensivstationen verjüngt hat. Während der ersten und zweiten Welle habe der Altersdurchschnitt auf Hamburger Intensivstationen bei 68 Jahren gelegen, bei der akuten dritten Welle bei 61 Jahren. „Wir sehen hier fast keine 80-Jährigen mehr, die sind inzwischen durch die Impfungen geschützt. Das Hauptinfektionsalter ist im Moment 35 bis 59 Jahre, und wenn sich so viele in diesem Alter infizieren, erwischt es einige von denen auch schwer und die kommen dann auf die Intensivstation.“ Lesen Sie auch: "Humanitäre Katastrophe“: Corona-Lage in Brasilien eskaliert
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Operationen müssen wegen Corona verschoben werden
Ein weiteres Problem, das sich zwangsläufig ergibt: Bundesweit müssen viele Patienten mit anderen schweren Erkrankungen auf ihre Operationen oder Behandlungen warten, weil diese verschoben werden. „Bei einer nicht dringlichen Operation ist das nicht so schwerwiegend, aber bei Tumorpatientinnen und -patienten kann das gravierende Folgen haben“, warnt Kluge.
Auch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) schlug am Freitag in der Bundestagsanhörung zur geplanten Infektionsschutzgesetz-Änderung erneut Alarm und drängte auf schnelle Gegenmaßnahmen. Lesen Sie dazu auch: Corona-Notbremse: Warum die Länder dringend handeln müssen
Von den Betroffenen seien knapp 60 Prozent intubiert und beatmet, sagte Divi-Generalsekretär Florian Hoffmann. Etwa in Köln, Bremen, Berlin, in Thüringen und in Sachsen gebe es in den Kliniken Engpässe. Patientinnen und Patienten würden von dort ausgeflogen und konkurrierten in anderen Regionen mit Patienten etwa mit Herzinfarkten, nach Notfall-Operationen und Unfällen. Frei seien noch knapp 2000 Intensivbetten, macht pro Station knapp ein Bett.
Der Druck auf die Intensivstationen sei jetzt wirklich sehr groß, „in Köln und Bonn sind sie zum Beispiel richtig voll“, sagte der Intensivmediziner Christian Karagiannidis von der Lungenklinik Köln-Merheim dem „Spiegel“. In sieben bis zehn Tagen rechne er „mit einem deutlichen Anstieg der Intensivbelegungen“.
Man solle beginnen, Patienten aus dem Raum Köln/Bonn in andere Regionen zu verlegen, um Kapazitäten zu schaffen. „Aber irgendwann ab nächster Woche muss es dann endlich für mindestens zwei Wochen strenge Kontaktbeschränkungen geben, um die Fallzahlen zu senken“, so Karagiannidis, der auch zur wissenschaftlichen Leitung des Divi-Intensivregisters gehört.
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Corona: Kliniken müssen Notfälle abweisen
Intensivmediziner Kluge aus Hamburg berichtet, dass das UKE schon jetzt manchmal die Feuerwehr darum bitten muss, das Klinikum für die nächsten zwei Stunden nicht mit Notfällen anzufahren. „Wir haben in der letzten Nacht vier Notfallpatienten von der Feuerwehr bekommen, daran sieht man wie schnell die Betten belegt sein können.“
Auf die Frage, ob es als Folge der Corona-Pandemie im Hamburger UKE schon einmal zu einer Triage, also die Einteilung der Kranken nach ihren Überlebenschancen gekommen sei, antwortet Stefan Kluge: „Nein, wir müssen nicht triagieren. Aber es ist ein unglaublicher Kraftakt, das nicht zu müssen.“ Man habe genug Betten in Deutschland, genug Beatmungsgeräte. Die Ausstattung sei nicht das Nadelöhr der Intensivpflege, sondern das fehlende Pflegepersonal.
Das DIVI und die Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege (DGF) haben gemeinsam bereits Ende März vor einem fortschreitenden Fachkräftemangel in der Pflege gewarnt: Denn in Deutschland haben 9000 Intensivpflegekräfte während der Pandemie die Pflege verlassen. Mit einem Maßnahmenplan wollen beide Organisationen zeigen, wie man den Beruf der Intensivpflege wieder attraktiver machen könnte. Experten wie Stefan Kluge glauben, dass es dabei zwar auch um Personalschlüssel und Gehalt ginge, aber vor allem sei die Zeit für die Pflege ein entscheidender Faktor.
Intensivmediziner halten harte Corona-Maßnahmen für alternativlos
Die Ableitung aus den aktuellen hohen Infektionszahlen und der schon jetzt stark belasteten Intensivstationen sei für Kluge, aber auf für fast alle Intensivmediziner in Deutschland, „einheitliche, flächendeckende harte Maßnahmen“. „Das ist alternativlos“, sagt Kluge. Jeder Tag, der vergehe, mache die Situation schwieriger. „Wir haben eine Riesenangst vor dem exponentiellen Wachstum.“
Die persönlichen und wirtschaftlichen Einschnitte, die solche harten Maßnahmen wie eine Ausgangssperre mit sich bringen, seien zwar heftig. Aber auf der anderen Seite sterben die Corona-Patienten zu 30 Prozent auf den Intensivstationen und viele der Patienten würden unter den Long-COVID-Folgen leiden. Lesen Sie dazu auch: Studie: Covid-19-Erkrankung könnte Hörschäden verursachen
Studien haben ergeben, dass selbst von den Erkrankten, die nicht in einem Krankenhaus behandelt worden seien, jeder zweite noch Monate später an Symptomen leide. „Das kann von einer leichten Luftnot oder Müdigkeit bis zu schweren Einschränkungen der Lungenfunktion reichen, manche Patienten sind nicht mehr arbeitsfähig“, erklärt Stefan Kluge. Dass viele Menschen sich nicht an die Regeln hielten und sich Schlupflöcher suchten, habe zu den hohen Infektionszahlen geführt. „Und die Menschen unterschätzen die britische Virusvariante. Das ist eine Fehleinschätzung, die gerade viele Leben kostet.“
Daher sei es schade, dass sich die Politik nicht auf einen zentralen Maßnahmenkatalog einigt. Das sei sehr frustrierend - nicht nur für Intensivmediziner.
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