Essen. . Ermittler erheben schwere Vorwürfe gegen die Politik: Weil die gesetzliche Neuregelung für das Speichern von Verbindungsdaten auf Eis liege, werde die Polizei bei Fahndungen massiv behindert. So laufe wegen nicht verfügbarer Daten jede vierte Ermittlung wegen Kinderpornografie ins Leere.

Die Polizei in Nordrhein-Westfalen hat in den letzten drei Jahren zahlreiche schwere Straftaten nicht aufklären und wohl auch den schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes nicht verhindern können, weil ihr Telefon- und Internetanbieter keine Verbindungsdaten geliefert haben. Darunter sind Vorgänge im Ruhrgebiet, zum Beispiel aus dem „Duisburger Rockerkrieg“. Insgesamt ging wegen der nicht verfügbaren Daten im Jahr 2013 nach WAZ-Informationen jede vierte Polizeiermittlung wegen Kinderpornografie im Internet ins Leere.

Hintergrund: Die Speicherung von Verbindungsdaten durch die Anbieter ist in Deutschland derzeit nicht erlaubt, nachdem das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Rechtsgrundlagen für eine solche „anlasslose“ Speicherung für rechtswidrig erklärt hatten.

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Als Verbindungsdaten werden diejenigen Daten bezeichnet, die beim Telefonieren oder Surfen wiedergeben, wer mit wem wann kommuniziert. Kommunikationsinhalte werden dabei nicht registriert. Früher speicherten die Anbieter die Daten automatisch, weil sie so die Telefonkosten errechneten. Seit Verbreitung der Flatrates ist das zumindest aus wirtschaftlichen Gründen unnötig. Eine Speicherung hat aber für die Polizei den Vorteil, dass sie die Daten nach dem Bekanntwerden einer Straftat bei den Netzanbietern abrufen und die Nutzer ermitteln kann. Dies war von 2008 bis 2010 möglich.

Brandanschlag im Rockerkrieg - Handy-Daten fehlten

Die Aufzählung der Fehlschläge geht aus einem Vermerk des Landeskriminalamtes (LKA) hervor, der der WAZ vorliegt. Danach sind die Ermittlungen des „Duisburger Rockerkrieges“ 2011 zum Teil ins Leere gegangen. Handy-Daten von Verdächtigen, die in diesem Zusammenhang einen Brandanschlag mit einem Molotow-Cocktail auf ein bewohntes Haus verübt haben sollen, konnten nicht ausgewertet werden.

Im gleichen Jahr scheiterte die Identifizierung eines Deutschen, der während einer Chatsitzung offenbar ein Kind missbraucht hat und darüber seinen Gesprächspartnern „live“ berichtete. Auch hier erklärten die Provider, über die Verbindungsdaten des Mannes nicht zu verfügen. „Eine Identifizierung des Täters war nicht möglich und damit auch der Schutz des Kindes und die sofortige Missbrauchsunterbrechung durch polizeiliche Maßnahmen unmöglich“, heißt es in dem LKA-Vermerk.

Im Fall von Serieneinbrüchen konnten Täter nicht überführt werden, die unter anderem Straftaten im Kreis Kleve, Mönchengladbach und Aachen verübt haben sollen.

Täter aufgespürt - nur verfolgen darf die Polizei sie nicht

Nach den Daten, die aus dem LKA-Papier hervorgehen, scheiterte aufgrund der fehlenden gesetzlichen Regelung alleine im letzten Jahr in 105 von 497 Fällen die Ermittlung wegen des Besitzes und Verbreitens kinderpornografischer Schriften.

Auf einem Arbeitskongress der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Düsseldorf nannte LKA-Chef Uwe Jacob weitere Beispiele. In einem Fall sei die Polizei einem Kinderpornoring von 27 Männern auf die Spur gekommen, die im Internet Bilder von extremem Missbrauch austauschten. Nur drei der 27 habe man ermitteln können, weil ihre IP-Adresse und die Verbindungsdaten noch gespeichert waren, sagte Jacob. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine Vorratsdatenspeicherung brauchen“. Ähnlich argumentiert die GdP. Ihr Landeschef Arnold Plickert: „Es nutzt nichts, wenn die Polizei die Täter im Internet aufspürt, sie aber nicht verfolgen kann, weil sie ihre Identität nicht feststellen darf“.

Heftige Vorwürfe gegen SPD und Landesregierung

Auf der Veranstaltung in Düsseldorf kam es zu teils heftigen Vorwürfen von Polizeipraktikern an die Adresse der Politiker. Der Dortmunder Jürgen Kleis, im dortigen Polizeipräsidium Leiter der Direktion Kriminalität, hielt der Landes-SPD-vor, am letzten Wochenende die Vorratsdatenspeicherung aus Gründen des Datenschutzes abgelehnt zu haben, die noch vor zwei Jahren ihr Parteifreund und Innenminister Ralf Jäger massiv gefordert habe. „Die Verantwortung hat ein Gesicht“, sagte Kleis. Das sei das der Politik. „Wir stehen da wie Chirurgen ohne Skalpel. Aber wir, die Polizisten, kennen die Opfer und deren Angehörige“.

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Derzeit ist völlig offen, ob, wie und wann die gesetzliche Grundlage neu geschaffen wird und damit eine Datenspeicherung wieder möglich ist. In den nächsten zwei Jahren werde dies durch den Bundesgesetzgeber wohl nicht passieren, sagt Birgit Sippel, SPD-Europaabgeordnete aus dem Ruhrgebiet. Die Gewerkschaft der Polizei favorisiert eine Lösung, bei der die Verbindungsdaten bei bestimmten schweren Straftaten bis zu sechs Monate gespeichert werden und - nach einer Richterentscheidung - an die Polizei herausgegeben werden können. Voraussetzung ist zudem laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs, dass die Anbieter ihre Server innerhalb der EU stationieren müssen, nicht in den USA.