Berlin. . Schutzgelderpresser, Schleuser und Rauschgiftschmuggler handeln nie alleine. Doch auch bei Delikten wie Raub, Betrug, Autoklau und Ladendiebstahl sind in Deutschland zunehmend organisierte Banden am Werk. So leiten etwa ehemalige KGB-Offiziere Banden mit zehntausenden Einbrechern.

Die Organisierte Kriminalität (OK) ist inzwischen „an der Haustür angekommen“. Bei Einbrüchen, Betrügereien und Autodiebstählen stellt das Bundeskriminalamt (BKA) häufig Bezüge zur Organisierten Kriminalität fest. Dahinter stünden professionelle Strukturen, warnte der BKA-Präsident Jörg Ziercke am Mittwoch in Berlin.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) will deswegen die OK-Bekämpfung neu ausrichten – mehr internationale Zusammenarbeit – und kriminell erlangte Vermögen besser abschöpfen. Bisher gelingt das etwa zu einem Viertel. „Das ist unbefriedigend“, sagte de Maizière. Zierckes Lagebild im Detail:

Die nüchterne Statistik

2013 ermittelten die Behörden in 580 Verfahren – plus zwei Prozent. Die Zahl der Tatverdächtigen stieg um 15 Prozent auf 9155. Sie hatten über 100 Nationalitäten. Zu 40 Prozent waren es deutsche Staatsbürger. 78 Prozent der Verfahren hatten Bezüge zu 128 Staaten. De Maizière verwies auf den Balkanstaaten, Italien, Rumänien, Russland, Georgien.

„Diebe im Gesetz“

Die Personalstärke der russisch-eurasischen Kriminalität schätzt Ziercke auf 20 000 Leute. Sie haben sich in Brigaden organisiert und sich Deutschland in 22 Reviere aufgeteilt. Jede Region hat einen Anführer. Russische Pflegedienste betrügen die Kassen - auch ein Gutteil der 150.000 Wohnungseinbrüche sollen auf das Konto der „Diebe im Gesetz“ gehen. Sie nennen sich so, weil sie eigenen Gesetzen folgen. In deutschen Gefängnissen sitzen rund 5000 russischsprachige Kriminelle. Die Zahl der Anführer wird weltweit auf 400 (russische Experten) bis 950 geschätzt (Interpol). Zu einem Drittel kommen sie aus Georgien. Auch Ex-Mitglieder der sowjetischen Geheimdienste sind dabei. Im Zuge der Ukraine-Krise hat die Zusammenarbeit mit Russland bei der Kriminalitätsbekämpfung gelitten. „Wir spüren eine deutliche Zurückhaltung“, sagte der BKA-Präsident. Es dauere lange, bis man Antworten aus Moskau bekäme.

Mafia in Deutschland

In Deutschland halten sich nach Zierckes Darstellung zahlreiche Mafiosi auf. Es laufen 26 Verfahren gegen Mafia-Organisationen. Ihre Personalstärke wird auf 500 Leute geschätzt, jeder Zweite von ihnen aus der kalabrischen Ndrangheta. Sie handeln mit Kokain, verschieben gestohlene Autos, zur Geldwäsche drängen sie immer mehr ins legale Geschäftsleben. So geht das BKA aktuell einer Investition in erneuerbare Energien nach.

Die Geografie der Organisierten Kriminalität

Der Autoklau wird vom Baltikum und Polen aus gesteuert. Das BKA weiß von 19 OK-Gruppen allein aus Litauen. In Deutschland sind derzeit 35 500 Wagen zur Fahndung ausgeschrieben. 19 400 wurden 2013 aus dem Verkehr gezogen. Der Lotteriebetrug ist wiederum in der Türkei zu Hause. Die Zahl der Opfer betrug 2013 eine Million meist älterer Menschen und hat selbst Ziercke überrascht: „Ich habe meinen Augen nicht getraut.“ Über Call-Center in der Türkei werden deutsche Rentner angerufen. Man erzählt ihnen zum Beispiel, dass sie ein Auto im Wert von 35 000 Euro in der Türkei gewonnen haben; man möge jetzt 3000 Euro überweisen, um die Modalitäten zu regeln. Darauf fallen tatsächlich viele rein. Der Schaden wird auf 120 Millionen Euro taxiert.

„Deep Web“

Auch interessant

Cybercrime ist laut Ziercke „weiter auf dem Vormarsch“ und hat das Potenzial zum Massendelikt. Fast jedes Kriminalitätsfeld habe eine Internetdimension, erläuterte er. Die Hemmschwelle ist niedrig. „Niemand muss dem Opfer mehr Auge in Auge gegenübertreten“, erläutert der BKA-Präsident. Vieles spielt sich im so genannten Deep Web ab, in jenem Teil des Netzes, der mit normalen Suchmaschinen nicht zu finden ist. Hier kann man Drogen, Waffen, Kreditkartennummern anbieten. Ziercke nennt es ein „kriminelles Kaufhaus“.

Auch interessant

Er kämpft seit Jahren um Waffengleichheit und setzt auf die Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung. Das BKA hätte gern mehr Zugriffsrechte. Wie aus einer internen Analyse von 250 Fällen hervorgeht, setzen OK-Gruppen zu 70 Prozent auf moderne Krypto- Technologien. Sie verschlüsseln ihre Kommunikation, wohlwissend, dass die Behörden oft machtlos sind. Ziercke: „Die kennen die Lücken, die wir haben.“ Der BKA-Präsident, der in diesen Tagen aus dem Amt scheidet, schloss sein Lagebild pikiert mit einem Appell. Nötig sei ein breiter Diskurs darüber, „ob die Kriminalität im Internet genauso konsequent und nachhaltig zu verfolgen ist wie in der realen Welt.“