Essen. Die FDP befindet sich im freien Fall. An diesem Sonntag droht der Partei bei den Wahlen in Thüringen und Brandenburg gleich ein doppeltes Debakel. Die Gründe für ihren beispiellosen Absturz müssen die Liberalen vor allem bei sich selbst suchen. Sie haben ihr politisches Profil bis zur Unkenntlichkeit verwässert: Es gibt keinen Grund mehr, FDP zu wählen.

"Keine Sau braucht die FDP." Dieser Wahlslogan der sächsischen Liberalen, gedacht als ironische Selbstbespiegelung in schier auswegloser Situation, wurde für die Partei auf bittere Weise zur Realität: Sie flog aus dem Dresdner Landtag. Alle Umfragen sagen ihr für diesen Wahlsonntag in Potsdam und Erfurt das gleiche Schicksal voraus. Die Wahlforscher führen die FDP nur noch unter "Sonstige" - zusammen mit der Rentnerpartei und den Bibeltreuen Christen.

Gut fünf Jahre nach dem Triumph bei der Bundestagswahl 2009, als die Liberalen mit fast 15 Prozent ein historisches Ergebnis einfuhren, steht die Partei vor einem Scherbenhaufen. Dem Sturz aus dem Bundestag im letzten Herbst folgte ein Debakel bei der Europawahl. Verpasst die FDP nun den Wiedereinzug in die Landtage von Brandenburg und Thüringen, ist sie nur noch in sechs Landesparlamenten vertreten. Die Landtage im Osten wäre komplett FDP-freie Zonen.

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"Es gibt keine Bestandsgarantien für Parteien", kommentiert nüchtern der Politikexperte Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen den Niedergang. Und er sieht auch kein Thema, das der FDP eine Trendwende bescheren könnte: "Entweder gibt es die gesellschaftlichen Konfliktlinien nicht mehr, die von der FDP propagiert wurden", so Korte, "oder andere Parteien haben die Problembearbeitung übernommen." Und der Neoliberalismus, der noch vor wenigen Jahren den Markenkern der FDP bildete, ist längst in der Versenkung verschwunden.

"Das Problem besteht darin, dass Selbstständigkeit, Marktglaube, Eigentumsverpflichtung im Segment der Unternehmer nicht ausreichen, um über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen", analysiert Korte. Die FDP brauche "ein zweites unverwechselbares Thema", was nur sie kompetent anbieten könne - gewissermaßen als Problemlöser wichtiger Fragen: "Danach muss die Partei suchen."

Die entscheidende Frage ist also: Welches ist dieses Thema? 

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Beim FDP-Klassiker Bürgerrechte und Datenschutz müssten die Liberalen eigentlich die Nase vorn haben - zumal ihnen die Massenspionage des US-Geheimdienstes NSA eine veritable Vorlage liefert. Aber: In dieser Debatte ist die Stimme der FDP kaum zu vernehmen. Statt sich energisch an die Spitze der Datenschutz-Bewegung zu setzen, verzettelt man sich im Klein-klein. Das andere Mega-Thema, der Umweltschutz, ist fest in grüner Hand. Die Innere Sicherheit ist bei Union und SPD gut aufgehoben. Und als soziale Partei eignet sich die FDP spätestens seit Guido Westerwelles Wort von der "spätrömischen Dekadenz" ohnehin nicht.

Auch Parteichef Christian Lindner, der von NRW aus die Partei führt, hat es bislang nicht geschafft, der FDP ein neues Profil zu geben. Nach dem Debakel bei der Sachsenwahl verkündete er unverdrossen, das politische Angebot der Liberalen sei "unverändert attraktiv" - das klingt arg nach Durchhalteparole. Personell steht Lindner fast allein allein auf weiter Flur. Nicola Beer etwa, seit immerhin Dezember 2013 Generalsekretärin der Bundes-Liberalen, agiert weithin unbeachtet von der Öffentlichkeit.

Innerparteiliche Querelen werfen die FDP immer wieder zurück 

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Hinzu kommen innerparteiliche Querelen. So warf kürzlich die Hamburger FDP-Landesvorsitzende Sylvia Canel die Klamotten hin - und feuerte zum Abschied eine Breitseite gegen Lindner: "Ich bin von ihm enttäuscht", so Canel. Es gebe einen "falschen Korpsgeist in der FDP", mit dem jede Diskussion erstickt werde.: "Ich habe das Gefühl, dass man innerhalb der FDP nicht mehr frei sagen kann, was man denkt."

Paradox: Obwohl der gebeutelten Partei aktuell ganz offensichtlich das Leitthema fehlt, zieht sie neue Mitglieder an. "Insgesamt sind seit der Bundestagswahl mehr als tausend Mitglieder neu eingetreten", heißt es beim Landesverband NRW. Vor Ort berichten Mitglieder auch in anderen Landesverbänden davon, dass Veranstaltungen für Neu-Liberale großen Zuspruch finden. "Es ist sehr oft überlaufen", so Partei-Bundesvize Wolfgang Kubicki, "die Leute wundern sich ja selbst, dass sie noch Stühle heranschleppen müssen." Bei Wahlen schlägt sich dieser Trend allerdings nicht nieder.

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Eine Regeneration auf lokaler Ebene wird für die FDP ohnehin schwierig. Zum einen war sie nie eine Kommunalpartei, wie etwa die SPD. Zum anderen führte der Absturz auf Bundesebene auch zu schwachen Kommunalwahl-Resultaten. In NRW beispielsweise ist die FDP noch mit rund 800 Sitzen in Stadt- und Gemeinderäten vertreten - vor der letzten Kommunalwahl waren es noch mehr als 1500 Mandate.

Die wichtigsten Wahlen für die FDP sind NRW und der Bund 2017 

Sollte die FDP also tatsächlich mittelfristig von der politischen Landkarte in Deutschland verschwinden? Politik-Experte Korte ist da vorsichtig. Die vergangenen und die drohenden Wahlpleiten im Osten seien letztlich nicht entscheidend für den künftigen Weg der Partei, glaubt er. Denn die in Berlin regierende Große Koalition verschaffe den kleinen Parteien automatisch Auftrieb. "Es geht für die FDP um die Wahlen in Nordrhein-Westfalen und im Bund im Jahr 2017 - alles vorher ist unwichtig", glaubt Korte. 2017 müsse es in Berlin "die FDP mit Gesicht und Stimme und einem zentralen Thema geben - sonst hat sie keine Chance".

Bleibt die Frage, ob ihr Vorsitzender Christian Lindner und seine Team den Laden bis dahin zusammenhalten können.