Erfurt/Berlin. . Bodo Ramelow kann Geschichte schreiben: Gehen die Landtagswahlen an diesem Sonntag aus, wie von den Demoskopen vorhergesagt, wird er wohl der erste linke Ministerpräsident der Bundesrepublik werden. In Berlin hält sich die Erregung über den möglichen Wahlsieg von Rot-Rot in Thüringen in Grenzen.

Kurz vor der Landtagswahl in Thüringen an diesem Sonntag schickte Kanzlerin Angela Merkel einen Tadel an ihren Koalitionspartner SPD. Hilft die SPD im Fall der Fälle wirklich als Juniorpartner dem Linkenpolitiker Bodo Ramelow ins Amt des Ministerpräsidenten? „Das würde ich mir als Volkspartei nicht antun“, warnt Merkel. Es sei „eine abenteuerliche Vorstellung“, dass die SPD sich klein mache, damit ein Linker gewinnen könne. Thüringen werde seinen „Erfolgskurs“ unter einem Ministerpräsidenten der Linken nicht fortsetzen können.

So klingt Wahlkampf, klar. Aber Protest meldet Merkel bei ihrem Koalitionspartner bislang nicht an. Dass 25 Jahre nach dem Mauerfall erstmals ein Linken-Ministerpräsidenten ein Land regieren könnte, wäre eine Zäsur für die deutsche Politik. Doch die Koalitionsparteien in Berlin gehen damit vor der Wahl überraschend gelassen um.

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Die SPD sieht Rot-Rot als Chance für neue Konstellationen

Die Bundes-CDU blickt wohl mit Sorge auf die Entwicklung, aber die Kanzlerin will die Arbeit ihrer Regierung nicht von Thüringer Landespolitik belasten lassen. Und die SPD-Führung kann, von einer kritischen Minderheit abgesehen, Rot-Rot auch in dieser Form überraschend viel abgewinnen.

Offiziell hält sich Parteichef Sigmar Gabriel heraus und versichert, die Entscheidung sei allein Sache des Landesverbandes. In Wahrheit unterstützen führende SPD-Politiker das Experiment nach Kräften: Es würde das Spielfeld von SPD und Linken auch bundesweit vergrößern, das Verhältnis entspannen, neues Vertrauen schaffen.

"Wir haben das Thema entkrampft"

So sind SPD-Spitzenleute seit Wochen damit beschäftigt, Bedenken gegen Rot-Rot zu zerstreuen. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann etwa sagt: „Wir haben das Thema entkrampft. In den Ländern haben SPD und Linke längst gezeigt, dass sie erfolgreich zusammen regieren können.“ Der aus dem Westen stammende Ramelow sei kein typischer Linken-Politiker, versichern andere Sozialdemokraten. „Der könnte genauso bei uns Mitglied sein, er würde nicht mal zum linken Flügel gehören.“ In der Landespolitik gebe es ohnehin keine großen Differenzen.

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Der SPD spielt in die Hände, dass sie mit der Linken in der Außenpolitik wegen der Krisen in der Ukraine oder im Irak derzeit so über Kreuz liegt, dass ein Bündnis im Bund derzeit kaum vorstellbar scheint – die Aufregung über Rot-Rot in Erfurt werde entsprechend gering sein, kalkulieren SPD-Strategen: „Das ist in zwei Wochen vorbei.“ Gabriel, der im Juni bei einem geheimen Spitzentreffen mit den beiden Linkspartei-Chefs auch über diese Landtagswahl gesprochen hatte, versichert: „Was immer in Thüringen passiert, es wird eine regionale Entscheidung bleiben“. Mit der Bundestagswahl 2017 habe das nichts zu tun. So erklären es auch Politiker der Linken.

Wandert die SPD nach links, wird's in der Großen Koalition kompliziert

Aber so einfach ist es schon deshalb nicht, weil die Linke über Thüringen auch stärker im Bundesrat mitmischen würde. Und in beiden Parteien gibt es Politiker, die Ramelows mögliche Wahl als Startsignal für intensivere Gespräche über Bündnisoptionen auf Bundesebene sehen. Die Reformer in der Linkspartei und der linke Flügel der SPD eint die Hoffnung, dass es 2017 trotz allem zu einer Links-Koalition kommen werde. „Wir wollen wieder selbst eine Regierung stellen und schließen keine Machtoption aus“, sagt SPD-Vize Ralf Stegner, Vormann des linken Parteiflügels.

Entsprechend misstrauisch ist mancher in der CDU. Ein rot-rotes Bündnis in Erfurt werde Gabriels Mitte-Kurs als „leeres Gerede“ entlarven, warnt CDU-General Tauber. Wenn die SPD auf diese Weise nach links wandere, werde das die Arbeit in der Großen Koalition „nicht leichter machen.“