Berlin. . Menschen aus Afrika und Arabien fliehen massenweise übers Mittelmeer. Schon über 100.000 Flüchtlinge sind dieses Jahr an den Küsten Italiens angekommen. Das Land ist damit sichtlich überfordert - und lässt die Ankömmlinge mit Bus und Bahn weiter nach Nordeuropa ziehen.

Die Bundespolizei greift jeden Tag illegale Flüchtlinge auf. An einem einzigen - normalen - Wochenende, vom 8. bis zum 10. August - zählte sie 395 „unerlaubt Eingereiste“. Gut die Hälfte von ihnen wurde in Baden-Württemberg und Bayern erwischt, ein Hinweis auf die Hauptroute: Sie kommen mit dem Zug, immer öfter auch mit dem Bus aus Italien über Österreich nach Deutschland. Die Italiener machen es ihnen leicht.

Weder leitet Italien ein Asylverfahren ein, noch werden die Menschen registriert. Sie werden in den Zug gesetzt - gen Norden. Und dort angekommen, verraten sie wiederum nicht den Fluchtweg. Sie wollen ja nicht zurückgeschickt werden. Da sie nicht registriert wurden, kann man sich nur denken, wo sie herkommen. Beweisen kann man es Italien selten.

Druck auf Innenminister de Maizière

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) stört sich seit Langem an dieser Praxis. „Wenn wir ehrlich sind“, setzte er gestern in Berlin beim Besuch seines italienischen Kollegen Angelino Alfano an, dann müsse man feststellen, dass die EU-Regierungen begännen, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Für seine Verhältnisse war das Klartext, zumal er den Gast öffentlich an seine Pflichten erinnerte, die Flüchtlinge zu registrieren, ihnen die Fingerabdrücke abzunehmen.

Alfano kann sich nicht taub stellen. Er hat den Vorsitz in der EU. Bis zur Innenministerkonferenz am 9. und 10. Oktober soll Alfano eine Lösung präsentieren. Die Franzosen und Deutschen haben die Initiative längst an sich gerissen. Am Samstag hatte sich de Maizière in Berlin mit seinem französischen Kollegen Bernard Cazeneuve abgestimmt. Sie gehören zu den vier, fünf EU-Staaten, die 70 bis 80 Prozent der Asylbewerber aufnehmen. Fast ein Drittel aller Asylanträge wird in Deutschland bearbeitet. So geht es nicht weiter.

Wo man hinhört: gereizte Töne

„Wir stoßen nun an Grenzen“, hatte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) erst am Wochenende erklärt. Von Bayern bis NRW, von der Union bis zur SPD wurde de Maizière bedrängt, auf den Plan zu treten und den Italienern Bescheid zu stoßen. Wo man hinhört: gereizte Töne.

Doch de Maizière weiß, dass er mit einseitigen Schuldzuweisungen nicht weiterkommen wird. Seit Monaten fischt Italien Flüchtlinge aus dem Mittelmeer, Menschen in Seenot. Mit der Operation „Mare nostrum“ rettet man Leben. Seit Anfang des Jahres kamen an die 100.000 Flüchtlinge ins Land. Italien nimmt sie auf, patrouilliert mit um die Inseln Lampedusa und Sizilien und hat laut Alfano 500 Schleuser verhaftet. Die Italiener tun was. Sie haben per Notdekret ihre Vorschriften geändert, um die Flüchtlinge zu registrieren.

Die Staaten an der Grenze tragen die Hauptlast

Aber: Die Italiener fühlen sich allein gelassen. Ihnen ging längst auf, dass Europas Grenzregime - Dublin II - ein Vertrag zu Lasten Dritter ist. Die Staaten an den Außengrenzen haben die Last der Flüchtlinge zu tragen. Auf dem Papier ist Deutschland eine Insel. Theoretisch könnten die Menschen nur mit Schiffen und Flugzeugen einreisen. Griechen und Italiener lösen Probleme auf ihre Art.

Nun diskutieren Deutsche und Franzosen einen anderen Ansatz als noch vor zehn Jahren der damalige Innenminister Otto Schily (SPD), der Flüchtlingslager in Afrika vorschlug, um Flüchtlinge bereits dort aufzuhalten: Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll Italien bei der Kontroll- und Rettungsmission ablösen. Aus „Mare nostrum“ wird „Frontex plus“.

Finanzhilfe für Italien

Den Italienern stellt man Finanzhilfen in Aussicht. Außerdem will man härter gegen die Schleuserkriminalität vorgehen. Das funktioniert nur in der Kooperation mit den Herkunftsländern und den Mittelmeer-Anrainerstaaten. Vorbild sind Spanien und Marokko.