Moskau. Putins Machtpoker im Ukraine-Konflikt: Zuhause inszeniert sich der Kremlchef als “Friedenszar“. Der Westen geht ihn jedoch zunehmend als “Aggressor“ an. Steuert der Ex-Geheimdienstchef Russland in den Krieg? Die Propaganda im Staatsfernsehen ist jedenfalls seit Monaten im Kriegsmodus.
Vor besorgten russischen Jugendlichen zeigt sich Kremlchef Wladimir Putin resolut als Landesvater. Eine starke Atommacht wie Russland müsse nichts fürchten, sagt der 61-Jährige. Der Präsident besucht wie jedes Jahr das Sommerlager am Seliger-See im Gebiet Twer unweit von Moskau. Die jungen Frauen und Männer, die dort zur politisch-geistigen und körperlichen Erbauung zusammenkommen, schauen - wie alle Russen - mit Unsicherheit auf den Kurs ihres Landes im Ukraine-Konflikt.
Doch der frühere Geheimdienstchef gefällt sich in der Rolle des Garanten für Stabilität. Die "Putin-Jugend", wie Kremlgegner die Gemeinschaft nennen, schätzt den Präsidenten als "Helden", der den USA Paroli bietet, den Drohgebärden der Nato trotzt und auch unter der "Knute" schmerzhafter Wirtschaftssanktionen nicht nachgibt.
Propaganda im Staatsfernsehen ist seit Monaten im Kriegsmodus
Verbreitet ist in der See-Idylle die Meinung, die USA und auf das Geld des Westens erpichte Oligarchen hätten die Krise in der Ukraine heraufbeschworen. Aber es gibt auch Fragen.
Wie soll Russlands "Macht-Poker" mit dem Westen um geopolitischen Einfluss in der Ukraine enden? Zieht Putin womöglich sein nach dem Zerfall der Sowjetunion und den chaotischen 90er Jahren mühsam auf die Beine gekommenes Land in einen Krieg gegen das Brudervolk?
Die Propaganda im Staatsfernsehen ist seit Monaten im Kriegsmodus. "Kontranastuplenije" - zu Deutsch: Gegenoffensive - ist in großen Lettern über den Kriegsreportagen aus dem zerbombten Konfliktgebiet Donbass zu lesen. Die prorussischen Aufständischen machen demnach Boden wett im Kampf gegen die ukrainischen Regierungstruppen.
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Eingeführt in den Reportagen ist längst der Name Noworossija (Neurussland), wie das Gebiet zu Zarenzeiten hieß. Auch Putin nennt die Region schon seit April zum Ärger der ukrainischen Führung so. Er bemüht in dem Konflikt gern die russische Geschichte, um nicht zuletzt dem oft fassungslosen Westen Moskaus strategische Interessen zu erklären.
Sieht sich Putin als Ziel des Westens?
Erst ging es um den Anschluss der Schwarzmeerhalbinsel Krim, den EU und USA als Völkerrechtsbruch kritisierten. Nun geht es um die blutigen Abspaltungstendenzen in der Ostukraine, die der Westen allein russischen "Aggressoren" zuschreibt.
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Was Putin in der Ostukraine will, lässt nicht nur im Westen viele grübeln. Weitgehend einig sind sich Beobachter, dass es ihm um ein Fernhalten der Nato aus Russlands Vorhof gehe. Kremlgegner meinen aber auch, Putin fürchte nach dem Sturz des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch in Kiew, dass er wegen zunehmend autoritärer Tendenzen das nächste Ziel des Westens sein könnte.
Kremlkritiker sehen Putin als "Amokläufer"
Der Publizist Viktor Schenderowitsch nennt Putin einen "Tyrann", der für den eigenen Machterhalt ein 140-Millionen-Volk in "Geiselhaft" nehme. Kremlkritiker sehen ihn als "Amokläufer", dessen Politik inzwischen zu massiven Preissteigerungen und anderen Nachteilen führe. Der Rubel verliert an Wert. Existenzängste bei Unternehmern machen sich breit.
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Es drohe eine internationale Isolation Russlands, warnt das Magazin "The New Times". Putin spiele ein "Ein-Mann-Poker", der nach 15 Jahren an der Macht allenfalls noch auf Geheimdienstler, aber am liebsten nur noch auf seine innere Stimme höre. Doch das sind Minderheitsmeinungen.
"Die Konfrontation mit dem Westen - besonders um die Wirtschaftssanktionen und den Informationskrieg gegen Russland - hat dem russischen Patriotismus einen kraftvollen Schub gegeben", sagt der Politologe Dmitri Trenin im Carnegie Center in Moskau. Putin punkte extrem als Verteidiger traditioneller Werte.
Ukrainische Regierung befürchtet Zerfall des Landes
Viele russisch-orthodoxe Christen in der umkämpften Ostukraine sehen sich durch den Westkurs der proeuropäischen Regierung in Kiew in ihren Traditionen bedroht. Nicht wenige hoffen deshalb auf einen Schutz ihrer Interessen und kulturellen Identität durch Russland, ohne dem Riesenreich beitreten zu wollen.
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Putin fordert seit Monaten Sonderrechte für die russischsprachige Bevölkerung in der Ostukraine. Dafür müsse es zuerst Waffenruhe und dann einen Dialog der ukrainischen Regierung mit den prorussischen Separatisten geben, meint er. In der Vergangenheit hatten die Russen weitgehende Autonomierechte oder sogar einen Föderationsstaat vorgeschlagen, um den Konflikt zu lösen.
Die ukrainische Regierung lehnt dies ab, weil sie einen Zerfall des Landes befürchtet. Verbreitet ist zumindest in Russland die Sicht, das Nachbarland sei ein aus verschiedenen Kulturräumen zusammengezimmertes Kunstgebilde und nicht überlebensfähig ohne äußere Hilfe.
Ukraine profitierte nach Zerfall der Sowjetunion von günstigen Preisen für russisches Gas
Es war der rechtspopulistische Parlamentsabgeordnete Wladimir Schirinowski, der schon zu frühen Zeiten im Ukraine-Konflikt mit Teilungsvorschlägen vorpreschte. In einem Brief an die Regierungen in Polen, Ungarn und Rumänien schlug er vor, sie könnten doch ihre früheren Gebiete zurücknehmen.
Zwar distanzierte sich die russische Führung von diesem öffentlichen Tabubruch. Ein Bekenntnis zur territorialen Unversehrtheit der Ukraine ist aber von Putin schon seit langem nicht mehr zu hören. Nicht wenige Beobachter gehen davon aus, dass Russland darauf setze, dass sich die Ukraine mit ihren schweren wirtschaftlichen und sozialen Problemen am Ende wie ein bankrottes Unternehmen selbst zerlege - ohne eine offene russische Militärintervention.
Zumindest hinter vorgehaltener Hand sagen Kremlbeamte, dass dann eine Einigung mit dem Westen darüber am besten wäre, wer welchen Teil der chronisch klammen Ukraine künftig unterstütze. Die Ukraine profitierte nach dem Zerfall der Sowjetunion vor allem von günstigen Preisen für russisches Gas, mit denen Moskau indirekt die Schwerindustrie des Nachbarlandes subventionierte.
Kremlchef inszeniert sich als Helfer und "Friedenszar"
Die Bereitschaft zur Hilfe für das "Brudervolk" bestehe weiter, heißt es in Moskau. Allerdings hatte Putin schon im Herbst betont, dass Russland nicht das gesamte Land mit seinen 45 Millionen Einwohnern durchfüttern könne.
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Und auch aktuell inszeniert sich der Kremlchef als Helfer und "Friedenszar". Er lässt Hunderte Lastwagen mit Hilfsgütern in die Krisenregion rollen mit Schlafsäcken und warmen Decken. Dass aber Russland selbst einen Anteil hat an der Eskalation, will dort kaum jemand hören.
Über die ungesicherte Grenze gelangt Medien zufolge weiter Militärtechnik aus Russland in die Ukraine. Neben Ultranationalisten, russisch-orthodoxen Fanatikern und Kosaken kämpfen in den nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk nun auch reguläre russische Soldaten. Viele Russen sehen sie allerdings nicht als Verbrecher, sondern als Retter einer "Russischen Welt". Bei Kundgebungen in Moskau hatten viele Russen Putin immer wieder aufgefordert, den Separatisten endlich Hilfe zu schicken.
Deutschland bereitet Lieferung für Ukraine vor
Deutschland bereitet eine Lieferung mit medizinischer Ausrüstung, Feldlazaretten und Schutzwesten an die Ukraine vor. Dies kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Angaben von Teilnehmern in einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an. Merkel versprach dabei, sich "persönlich" um eine solche Lieferung zu kümmern. Ein entsprechender Bericht der Oldenburger "Nordwest-Zeitung" (Mittwoch) wurde der Nachrichtenagentur dpa am Dienstag in Koalitionskreisen bestätigt. Eine Lieferung von Waffen an die Ukraine schließt die Bundesregierung aus.
Nach Angaben von Teilnehmern gab Merkel die Absichtserklärung bereits in der Sondersitzung der Fraktion am Montag ab, die wegen ihrer Regierungserklärung zu Waffenexporten in den Irak stattfand. Zuvor habe der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann darauf gedrängt. Die Ukraine wartet bereits seit Monaten auf 20 000 Schutzwesten aus Deutschland, die an die Streitkräfte des Landes gehen sollen. Bislang gibt es dafür keine Exportgenehmigung. (dpa)