Donezk. Vor dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkels in Kiew schafft Russland Fakten: Sein Hilfskonvoi für die Ostukraine passierte am Freitag eigenmächtig die Grenze - ohne Erlaubnis aus Kiew und ohne das Rote Kreuz. Weltweit hagelt es Protest, doch der allein konnte die Lastwagen nicht aufhalten.

Kiew/Berlin (dpa) - Unter scharfem internationalem Protest ist der russische Hilfskonvoi am Freitag ohne Erlaubnis über die Grenze in die Ostukraine gerollt. Nach wochenlangem Streit wollte der Kreml nicht länger auf das Einverständnis des Roten Kreuzes und der Regierung in Kiew warten, wie das Außenministerium in Moskau mitteilte. Am Abend erreichten alle 280 Lastwagen die Separatistenhochburg Lugansk, wie ein Sprecher der Stadtverwaltung laut Interfax sagte.

Der ukrainische Geheimdienstchef Valentin Naliwajtschenko geißelte dies als eine "direkte Invasion", und Präsident Petro Poroschenko warf Moskau einen Bruch des Völkerrechts vor. Auch die EU-Kommission bescheinigte Moskau eine "klare Verletzung der ukrainischen Grenze".

Merkel telefonierte mit Putin und Poroschenko

Kanzlerin Angela Merkel rügte, der Transit sei "ohne Zustimmung der Ukraine, ohne Begleitung durch das Rote Kreuz und zum Teil auch ohne vorherige Inspektion" geschehen. Damit nehme "Russland eine Eskalation der ohnehin schon angespannten Situation billigend in Kauf". Merkel drang in Telefonaten mit Poroschenko und Kremlchef Wladimir Putin zudem darauf, rasch zu einer Einigung über einen Waffenstillstand und die Sicherung der russisch-ukrainischen Grenze zu kommen.

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Der Konflikt müsse friedlich gelöst werden, sagte sie der Chemnitzer "Freie Presse" (Samstag). "Eine rein militärische Lösung wird es nicht geben."

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen rügte, die Konvoi-Fahrt verletze die ukrainische Souveränität. Die Allianz beobachte zudem einen "alarmierenden Aufbau" russischer Boden- und Lufttruppen nahe der Ukraine. Zudem seien seit Mitte August auch russische Soldaten auf ukrainischen Gebiet aktiv. Unter anderem beschieße russische Artillerie von diesseits und jenseits der Grenze ukrainische Regierungstruppen. "Anstatt die Lage zu deeskalieren, fährt Russland fort, sie zu eskalieren." Der russische UN-Botschafter Vitali Tschurkin bestritt Rasmussens Vorwürfe.

Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen berief am Freitag eilig eine Sondersitzung ein. Um 21 Uhr MESZ wollte sich das mächtigste UN-Gremium in New York mit dem umstrittenen Grenzübertritt des Hilfskonvois befassen. Die Sitzung sollte nicht öffentlich sein.

Kremlchef Wladimir Putin wies die Kritik am Konvoi bei einem Telefonat mit Merkel zurück. Die Führung in Kiew habe die Erlaubnis zum Grenzübertritt immer wieder verzögert, so dass Moskau schließlich eine Entscheidung treffen musste, sagte der Präsident. Putin habe Merkel seine "ernste Besorgnis" darüber mitgeteilt, dass die Regierung in Kiew Lugansk und Donezk immer stärker unter Beschuss nehme und dabei zivile Opfer in Kauf nehme.

In Lugansk beginnt jetzt die Verteilung

Die rund 280 Lastwagen trafen am Abend in Lugansk ein, wie ein Sprecher der Stadtverwaltung der Agentur Interfax sagte. Die militanten Gruppen richteten Medien zufolge mehrere Stellen für die Verteilung ein. Die Großstadt mit mehr als 200 000 Einwohnern ist nach Darstellung der örtlichen Behörden seit fast drei Wochen ohne Strom und Wasser.

Die Kolonne mit rund 2000 Tonnen Lebensmitteln war am 12. August in Moskau losgefahren und hatte danach tagelang an der Grenze gestanden. Die Ukraine hatte anfangs der Verdacht geäußert, in den Lastwagen könnten auch Waffen für die Separatisten versteckt sein.

Ukraine und IKRK machten nicht mit

Russland hatte ursprünglich eingewilligt, die Leitung des Konvois dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zu übergeben. Das IKRK wollte aber nicht ohne Sicherheitsgarantien der Ukraine losfahren. Die Führung in Kiew verweigerte Garantien mit Hinweis darauf, dass das Gebiet zwischen der Grenze und Lugansk von Aufständischen kontrolliert werde.

In der Krisenregion um Lugansk haben Unbekannte einen litauischen Diplomaten entführt und ermordet, wie das Außenministerium in Vilnius mitteilte. Der Honorarkonsul sei erschossen gefunden worden. "Bewaffnete Terroristen" hätten den Mann vor wenigen Tagen an einen unbekannten Ort verschleppt und getötet.

Konflikt um die Ukraine

Man kann es ihnen nicht ansehen, weil sie kein Hoheitsabzeichen tragen, aber faktisch hat Russland an vielen wichtigen Punkten auf der Krim Stellung bezogen.
Man kann es ihnen nicht ansehen, weil sie kein Hoheitsabzeichen tragen, aber faktisch hat Russland an vielen wichtigen Punkten auf der Krim Stellung bezogen. © REUTERS
Auch Panzer hat Moskau postiert - wie hier im Dorf Perevalnoye nahe Simferopol.
Auch Panzer hat Moskau postiert - wie hier im Dorf Perevalnoye nahe Simferopol. © REUTERS
Durch den Einsatz der Soldaten will Russland zeigen, dass es die neue Übergangsregierung der Ukraine nicht anerkennt.
Durch den Einsatz der Soldaten will Russland zeigen, dass es die neue Übergangsregierung der Ukraine nicht anerkennt. © REUTERS
Russische Soldaten halten Wache vor einer ukrainischen Militäreinheit in Perevalnoye.
Russische Soldaten halten Wache vor einer ukrainischen Militäreinheit in Perevalnoye. © REUTERS
Eine Frau fotografiert bewaffnete Soldaten in der ukrainischen Hafenstadt Feodosiya.
Eine Frau fotografiert bewaffnete Soldaten in der ukrainischen Hafenstadt Feodosiya. © AFP
Auf der Krim begegnen sich Ukrainer und Russen mit Argwohn: Ein ukrainischer Soldat beobachtet russische Militärs.
Auf der Krim begegnen sich Ukrainer und Russen mit Argwohn: Ein ukrainischer Soldat beobachtet russische Militärs. © REUTERS
In Simferopol sind russische Soldaten zurzeit ein alltägliches Bild.
In Simferopol sind russische Soldaten zurzeit ein alltägliches Bild. © REUTERS
Selbst die ganz Kleinen zeigen Flagge: In Simferopol trägt ein Junge eine Schleife in den Farben der russischen Flagge. Im Hintergrund sieht man einen ausgestellten T-34-Panzer.
Selbst die ganz Kleinen zeigen Flagge: In Simferopol trägt ein Junge eine Schleife in den Farben der russischen Flagge. Im Hintergrund sieht man einen ausgestellten T-34-Panzer. © AFP
Russische Marinemanöver im Schwarzen Meer als Drohgebärde.
Russische Marinemanöver im Schwarzen Meer als Drohgebärde. © dpa
Fotos vor Militärpanorama: Im Hafen von Sevastopol sieht man die Schiffe der russischen Marine.
Fotos vor Militärpanorama: Im Hafen von Sevastopol sieht man die Schiffe der russischen Marine. © dpa
Russland zeigt Zähne: Ein bewaffneter Mann steht in der Nähe der ukrainischen Militärbasis in Simferopol.
Russland zeigt Zähne: Ein bewaffneter Mann steht in der Nähe der ukrainischen Militärbasis in Simferopol. © Reuters
Mit kirchlichem Beistand blockieren Soldaten den Eingang eines ukrainischen Grenzpostens.
Mit kirchlichem Beistand blockieren Soldaten den Eingang eines ukrainischen Grenzpostens. © AFP
Rund 1000 Soldaten versammelten sich am Wochenende vor dem ukrainischen Grenzposten.
Rund 1000 Soldaten versammelten sich am Wochenende vor dem ukrainischen Grenzposten. © AFP
Moskau betont, mit dem Militär vor Ort wolle man die Interessen der russischsprechenden Minderheit auf der Krim verteidigen.
Moskau betont, mit dem Militär vor Ort wolle man die Interessen der russischsprechenden Minderheit auf der Krim verteidigen. © dpa
Selbstverteidigungseinheiten haben in Simferopol Stellung bezogen.
Selbstverteidigungseinheiten haben in Simferopol Stellung bezogen. © Reuters
Die prorussischen Milizen machen mit ihren blau-weiß-roten Schildern deutlich, dass die Krim russischer werden soll.
Die prorussischen Milizen machen mit ihren blau-weiß-roten Schildern deutlich, dass die Krim russischer werden soll. © REUTERS
Als das russische Parlament am Sonntag den Militäreinsatz genehmigte, demonstrierten viele Ukrainer dagegen auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew.
Als das russische Parlament am Sonntag den Militäreinsatz genehmigte, demonstrierten viele Ukrainer dagegen auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. © AFP
Während der Demonstration hält ein Mann ein Schild hoch, auf dem Wladimir Putin und Viktor Janukowitsch neben Adolf Hitler zu sehen sind.
Während der Demonstration hält ein Mann ein Schild hoch, auf dem Wladimir Putin und Viktor Janukowitsch neben Adolf Hitler zu sehen sind. © AFP
"Verschwinde, Putin!" ist die Botschaft einer ukrainischen Frau bei derselben Demonstration. © dpa
In Donezk stellen Demonstranten eine russische Flagge auf.
In Donezk stellen Demonstranten eine russische Flagge auf. © dpa
In Odessa versammeln sich Menschen zu einer Anti-Kriegs-Demonstration.
In Odessa versammeln sich Menschen zu einer Anti-Kriegs-Demonstration. © AFP
Nicht nur in der Ukraine gibt es Demonstrationen. Auch in New York gehen die Leute auf die Straße, um gegen Russland zu protestieren.
Nicht nur in der Ukraine gibt es Demonstrationen. Auch in New York gehen die Leute auf die Straße, um gegen Russland zu protestieren. © AFP
Vor dem russischen Konsulat in Almaty zeigen Menschen ihre Solidarität mit der Ukraine. Ebenso wie in ...
Vor dem russischen Konsulat in Almaty zeigen Menschen ihre Solidarität mit der Ukraine. Ebenso wie in ... © REUTERS
... Warschau. Polnische Demonstranten halten Schilder hoch mit der Aufschrift
... Warschau. Polnische Demonstranten halten Schilder hoch mit der Aufschrift "Die Krim ist ukrainisch". © REUTERS
"Wir sind jetzt alle Ukrainer" - auch in Lettlands Hauptstadt Riga fühlt man mit den Ukrainern. © dpa
Gleiches gilt für die Menschen in Georgien. Auch in Tiflis gingen sie auf die Straße, um gegen Russland zu demonstrieren.
Gleiches gilt für die Menschen in Georgien. Auch in Tiflis gingen sie auf die Straße, um gegen Russland zu demonstrieren. © AFP
Türken, die ihre Wurzeln auf der Krim haben, protestieren mit Bannern. Ein Junge hält ein Schild, auf dem steht
Türken, die ihre Wurzeln auf der Krim haben, protestieren mit Bannern. Ein Junge hält ein Schild, auf dem steht "Wir sind keine Handvoll Menschen, sondern eine vereinte Nation!". © AFP
In St. Petersburg tragen Polizisten einen Demonstranten fort.
In St. Petersburg tragen Polizisten einen Demonstranten fort. © dpa
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Kanzlerin Merkel wird an diesem Samstag in Kiew erwartet. Sie will damit ein Zeichen der Unterstützung für die von Russland bedrängte Ukraine setzen. Sie reist erstmals seit Beginn der Krise Ende 2013 in die Ukraine. Merkel will mit Präsident Poroschenko Wege zu einem Waffenstillstand im Osten des Landes erörtern. Zudem ist ein Gedankenaustausch mit den Bürgermeistern von Kiew, Donezk und Lwiw (Lemberg) sowie einem Vertreter der Krim-Tataren geplant. Im Frühjahr war die Schwarzmeerhalbinsel Krim von Russland annektiert worden.

Ein "Merkel-Plan" wie eins der Marshall-Plan?

Nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert erwägt die Bundesregierung weitere Hilfen für das Land. Es werde geprüft, ob und in welchem Maße Deutschland Beiträge zum Wiederaufbau leisten könne. Außenminister Klimkin hatte sich zuvor im ZDF in Anspielung auf das US-Programm zum Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg (Marshall-Plan) für einen "Merkel-Plan" und Hilfen der EU ausgesprochen.

Knapp zwei Drittel der Deutschen befürchten laut einer Umfrage, dass es zwischen Russland und der Ukraine zu einem Krieg kommt. Das nehmen 60 Prozent der Befragten an, wie das am Freitag veröffentlichte ZDF-"Politbarometer" ergab. 64 Prozent glauben, Russland werde versuchen, nach der Krim weitere ukrainische Gebiete anzugliedern. (dpa)